Als junge freie Reporterin war Yemile Bucay in Krisengebieten häufig allein unterwegs oder die einzige Frau in riskanten Situationen: "Ich wusste damals nicht, dass es Sicherheitsberater gibt. Nur, dass ich Risiken ausgesetzt bin und Sicherheit brauche, um den Journalismus, den ich machen möchte, fortführen zu können."

Vor fünf Jahren hat die gemeinnützige Organisation International Women's Media Foundation ein einjähriges Programm gestartet, um Sicherheitstrainerinnen auszubilden. Der Beruf, der damals sehr männlich geprägt war, sollte so Frauen und nonbinären Personen zugänglicher gemacht werden. Bucay, die an diesem Programm teilgenommen hat, hat sich in die Arbeit verliebt und berät seither große Nachrichtenorganisationen und freie Journalisten in Sicherheitsfragen.

Im Interview spricht Bucay über ihren Beruf und die zunehmenden Gefahren, mit denen Journalistinnen konfrontiert sind. Dabei redet sie über Hass im Netz und erklärt, wie Redaktionen ihre Journalisten und Journalistinnen besser schützen können.

Sicherheitsberaterin Yemile Bucay.
Yemile Bucay: "Ohne Sicherheit kann es keine Berichterstattung geben."
Yemile Bucay

"Bedrohung für Frauen ist unverhältnismäßig groß"

STANDARD: Was kann man sich unter dem Beruf Sicherheitsberater vorstellen?

Bucay: Große Redaktionen wie die BBC, New York Times, Reuters oder Associated Press haben Sicherheitsberater. Redaktionsteams arbeiten mit ihnen zusammen, um Sicherheitsbewertungen für bestimmte Geschichten vorzunehmen. Einige Beraterinnen arbeiten aber auch außerhalb von Nachrichtenorganisationen und beraten Journalisten bei einzelnen Recherchen. Außerdem werden Sicherheitsberater häufig von Nachrichtenorganisationen beauftragt, um Richtlinien für die Redaktion zu entwickeln. In unserem Beruf geht es sowohl um physische als auch digitale, psychologische, rechtliche sowie finanzielle Bedrohungen.

STANDARD: Wie sieht ein regulärer Arbeitstag für Sie als Sicherheitsexpertin aus?

Bucay: Es gibt keinen regulären Alltag. Das ist es, was ich an der Arbeit so schätze. Vor ein paar Wochen habe ich mit einem Kollegen gesprochen, der Sicherheitschef bei einer großen globalen Nachrichtenorganisation ist, und er sagte mir: "Oh, diese Woche wollte ich an einem Programm arbeiten, das ich zum Thema Onlinebelästigung und Sicherheit entwickle. Aber dann kam die Krise in Haiti. Also habe ich nur noch daran gearbeitet." Das ist typisch. Die Nachrichtenlage ändert sich, und damit auch die Art unserer Arbeit.

STANDARD: Abgesehen von physischen Bedrohungen, denen Reportern in Krisengebieten ausgesetzt sind, werden Journalisten immer häufiger mit Hass im Netz konfrontiert. Wie können Redaktionen ihre Redakteurinnen davor schützen?

Bucay: Ich kann fast jedem Redaktionsleiter garantieren, dass es in seiner Redaktion Menschen gibt, die mit Onlinegewalt konfrontiert sind. Wenn sie es nicht wissen, liegt es wahrscheinlich daran, dass sich ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht wohlfühlen, dieses Thema anzusprechen. Es muss also in Redaktionen deutlich gemacht werden, dass dieses Thema ernst genommen wird.

STANDARD: Wie kann das umgesetzt werden?

Bucay: Redaktionen sollten Überwachungsmechanismen einrichten. So könnte zum Beispiel ein E-Mail-Postfach hilfreich sein, in dem Journalisten Drohungen melden können. Diese sollten von einer Person oder einem Komitee entgegengenommen werden. Wenn Journalistinnen Belästigungen im Netz ausgesetzt sind, kann dies zu Depressionen, Angstzuständen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung, führen. Schlimmstenfalls auch dazu, dass sie sich selbst zensieren und letztendlich vom Beruf abwenden. Das kann verhindert werden, indem die Social-Media-Kanäle der Betroffenen für eine gewisse Zeit von einer anderen Person innerhalb der Redaktion überwacht werden. Ebenso wichtig ist es, Redakteuren psychologische Unterstützung sowie Arbeitspausen in Krisenphasen anzubieten. Im Nachhinein müssen Nachrichtenorganisation reflektieren: Wie haben wir agiert? Was haben wir falsch gemacht? Gibt es Maßnahmen, die wir ändern können?

STANDARD: Sowohl Männer als auch Frauen sind von Hass im Netz betroffen. Allerdings fallen die Angriffe gegenüber Frauen deutlich häufiger und brutaler aus. Warum erleben Journalistinnen immer noch mehr Hass als Männer?

Bucay: Ich denke, es ist wichtig zu erwähnen, dass jeder online angegriffen werden kann. Allerdings ist die Bedrohung für Frauen tatsächlich unverhältnismäßig groß. Bei Journalistinnen, die zusätzlich noch anderen marginalisierten Gruppen angehören, wächst die Bedrohung. Unser Onlineraum ist ein Spiegelbild unserer Offlinewelt. Wir erleben immer noch so viel Misogynie und Rassismus, und das manifestiert sich auch online. Meiner Meinung nach wird die Bedrohung für Frauen oft nicht so ernst genommen, weil wir immer noch in sehr patriarchalischen Onlinestrukturen leben. Häufig heißt es, Frauen sollen einfach ein dickeres Fell haben und die Angriffe nicht persönlich nehmen. Aber wie soll ich es nicht persönlich nehmen, wenn mir jemand sagt, dass er mich oder meine Kinder vergewaltigen will? Ich denke, es ist lächerlich zu glauben, dass so etwas keinen Schaden anrichtet.

"Wir sehen in weiten Teilen der Welt einen besorgniserregenden Trend: Die Pressefreiheit nimmt ab, die Zahl autoritärer Staaten steigt, und Angriffe auf Journalisten bleiben immer öfter ungestraft."

STANDARD: Werden Journalisten Ihrer Meinung nach ausreichend von Redaktionen geschützt?

Bucay: Nein, absolut nicht. Ich denke, es entwickelt sich in die richtige Richtung, aber es gibt noch viel zu tun. Ich bin der Meinung, dass fast alle Nachrichtenorganisationen der Welt davon profitieren, dass ihre Journalisten in den sozialen Medien aktiv sind. Sie erreichen dadurch ein breiteres Publikum. Man muss diese Plattformen also nutzen, und das kommt der Nachrichtenorganisation zugute. Die meisten Redaktionen haben eine Art Richtlinie darüber, was ihre Journalisten im Netz sagen dürfen und was nicht. Aber die meisten Organisationen haben nicht die Kehrseite dieser Richtlinie. Was ist ihre Pflicht gegenüber ihren Journalisten, wenn diese online angegriffen werden? Das halte ich für notwendig.

STANDARD: Nehmen die Gefahren für Journalisten im Allgemeinen zu?

Bucay: Definitiv. Wir sehen in weiten Teilen der Welt einen besorgniserregenden Trend: Die Pressefreiheit nimmt ab, die Zahl autoritärer Staaten steigt, und Angriffe auf Journalisten bleiben immer öfter ungestraft. All das birgt Risiken. Ich glaube auch, dass die politische Polarisierung, die in so vielen Ländern der Welt stattfindet, das Risiko erhöht hat. Die Diskreditierung und Betrachtung von Journalisten als Lügner und Feinde macht es gesellschaftsfähiger, Journalisten anzugreifen. Das ist meiner Meinung nach eine der größten Gefahren.

STANDARD: Wie kann die Arbeit von Journalistinnen wieder sicher werden?

Bucay: Es muss das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass Sicherheit ein wichtiger Bestandteil des Journalismus ist und dass ohne den richtigen Schutz überhaupt keine Berichterstattung stattfinden kann. Außerdem sollten Redaktionen die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen, um eine sichere Recherche gewährleisten zu können. Und Journalisten müssen in der Gesellschaft Vertrauen für ihre Arbeit schaffen, damit die Öffentlichkeit sie zu schätzen weiß. (Annelie Eckert, 29.4.2024)