Seit Monaten steht sie im Raum, sie ist Thema geharnischter Debatten dies- und jenseits des Atlantik, westliche Würdenträger warnen vor ihr, Israels rechter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hält sie für unbedingt notwendig: eine Großoffensive der israelischen Armee in Rafah. In dem Ort im Süden des Gazastreifens vermuten die israelischen Strategen viele Hamas-Terroristen, fest steht aber auch, dass dorthin hunderttausende Zivilistinnen und Zivilisten flüchteten – um den israelischen Angriffen auf Hamas-Strukturen im übrigen Küstenstreifen zu entgehen. Auch israelische Geiseln werden, so sie nach mehr als sechs Monaten Gefangenschaft in den Händen der Terrorbanden in Gaza noch leben, in der Stadt vermutet.

Zerstörtes Haus in Rafah und Mädchen
Viele Wohnhäuser in Rafah sind schon vor der geplanten israelischen Bodenoffensive zerstört.
REUTERS/HATEM KHALED

Zuletzt haben sich die Anzeichen verdichtet, dass die Regierung in Jerusalem der Armee schon bald grünes Licht geben könnte. Und: Die Offensive dürfte lange dauern. Mindestens vier bis fünf Wochen, so heißt es aus Israel, würden jedenfalls allein benötigt, um die Zivilbevölkerung aus Rafah an sicherere Orte zu verbringen. Zuletzt war noch von drei Wochen ausgegangen worden. Der Schutz Unschuldiger wurde zuletzt auch von den USA, Israels wichtigstem Verbündeten, immer vehementer eingefordert. Die Evakuierung sei freilich nur die erste Phase der israelischen Offensive, hieß es am Donnerstag im israelischen Radio unter Berufung auf die Armee.

Nach Informationen der US-Zeitung Wall Street Journal plant Israels Armee, danach schrittweise vorzugehen, um die Zahl ziviler Opfer zu begrenzen. Die Zivilbevölkerung aus Rafah soll offenbar in Zeltlager übersiedeln, etwa in das schon jetzt mit Flüchtlingen gefüllte Lager Al-Mawasi an der Grenze zu Ägypten am Mittelmeer. Es gilt allerdings als zweifelhaft, dass dort so viele Menschen untergebracht werden können. Hilfsorganisationen fürchten eine weitere humanitäre Katastrophe.

Der ägyptische Machthaber Abdelfattah al-Sisi hat sich unterdessen erneut gegen eine Vertreibung von Palästinensern in sein Land gestellt. Diese Position habe Ägypten "von der ersten Minute" des Kriegs im benachbarten Gaza klargemacht, sagte er in einer Ansprache. Eine Militäroffensive in Rafah würde laut Kairo "katastrophale Folgen" für die Region haben.

Bericht: Israel nicht für Massengräber verantwortlich

Ein auf einem Krankenhausgelände im südlichen Gazastreifen entdecktes Massengrab ist indes einem Medienbericht zufolge nicht von der israelischen Armee angelegt worden – entgegen der Behauptung der Hamas. Der von der Terrororganisation kontrollierte Zivilschutz des Gazastreifens hatte laut dem Sender CNN angegeben, nach dem Abzug der israelischen Armee auf dem Gelände 324 Leichen freigelegt zu haben. Wie die Jerusalem Post am Mittwochabend unter Berufung auf Analysen von Bildmaterial berichtete, habe das Massengrab nahe dem Nasser-Krankenhaus in Khan Younis bereits existiert, bevor israelische Soldaten dort am Boden gegen die Hamas vorgegangen seien.

Dies, schreibt die Zeitung, habe die Auswertung von Satellitenbildern und Filmmaterial durch namentlich nicht genannte unabhängige Analysten ergeben. Die von der Hamas und arabischen Medien verbreitete Theorie, die israelischen Soldaten hätten die Leichen von Palästinensern vergraben, um sie "zu verstecken", seien somit falsch. Unabhängig prüfen lassen sich die Angaben freilich vorerst nicht.

Auch der aus Österreich stammende UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hatte den Hamas-Berichten in einer ersten Reaktion Glauben geschenkt und sich öffentlich entsetzt gezeigt. Die USA, die Israel seit Monaten um mehr Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung bitten, hatten am Mittwoch "Antworten" gefordert, wie es zu den Gräbern auf dem Krankenhausgelände habe kommen können.

Hisbollah widerspricht Israel

Die proiranische Terrororganisation Hisbollah im Libanon hat am Donnerstag israelische Angaben zurückgewiesen, wonach die Hälfte ihrer örtlichen Führungsebene durch israelische Angriffe getötet worden sei. Die Behauptungen des israelischen Verteidigungsministers Joav Gallant seien "falsch", hieß es aus Hisbollah-Kreisen. Die getöteten Hisbollah-Mitglieder in Führungspositionen könnten "an einer Hand abgezählt" werden. Israel hatte am Mittwoch verlautbart, seine Armee führe eine "Offensivaktion" mit "zahlreichen Kräften" gegen die islamistische Miliz im Süden des Libanon aus. Seit Beginn der jüngsten Krise in der Region beschießt die Hisbollah israelische Grenzgebiete regelmäßig. (Florian Niederndorfer, 25.4.2024)