Eine definitive Lieblingsart habe ich nicht, deshalb suche ich für jedes Interview eine neue aus. Ist das eh okay?“ Sowieso. Dominique Zimmermann, Insektenforscherin, seit 2007 Kuratorin am Wiener Naturhistorischen Museum und Autorin des Buches Insektengeflüster – Über das verborgene Leben auf sechs Beinen, hat die Frage, ob sie denn ein Lieblingsinsekt habe, schon öfter gehört. Wir wollen es trotzdem noch einmal wissen. "Ein Insekt, auf das ich beim Schreiben meines Buches total reingekippt bin, ist der Baumhummer."

Dominique Zimmermann hat dunkelbraune Haare und einen Pony, trägt schwarze Kleidung und ein buntes Halstuch und sitzt vor einem Mikroskop.
Dominique Zimmermann bei der Arbeit im Naturhistorischen Museum.
Helene Manhartsberger

Den nennt man wegen seines Aussehens so, es handelt sich um eine etwa zehn bis zwölf Zentimeter lange, rotbraun gefärbte Gespenstschreckenart, die bis vor über hundert Jahren auf der Lord-Howe-Insel vor Australien heimisch war. "1918 ist dort ein Schiff gestrandet – und die Ratten, die mit an Land kamen, haben diese Art ausgerottet, und man hat gedacht, sie sei ausgestorben. Doch dann hat man sie 2001 wiederentdeckt auf einem Minifelsen vor der Insel. Eine Population von nur circa 25 Tieren, aber die haben da mindestens 80 Jahre nur auf diesem Felsen im Meer überdauert. Mittlerweile hat man sie nachgezüchtet, und jetzt gibt es schon mehrere Tausend."

Die Herkunft der Insektenwörter

Eine spannende Geschichte einer spannenden Insektenart. Wie viele es insgesamt sind, wissen wir immer noch nicht. "Mehr als die Hälfte aller bekannten Tierarten sind Insekten", sagt Zimmermann, "und man geht davon aus, dass wir nur 20 Prozent von ihnen kennen." So wird sogar die Schätzung der Artenanzahl zur wissenschaftlichen Forschungsaufgabe – nach derzeitigem Forschungsstand liegen wir bei circa 5,5 Millionen Insektenarten. Diese Vielfalt war ein wesentlicher Faktor, der die studierte Biologin zur Insektenforschung gebracht hat. "Ursprünglich hat mich Humanbiologie interessiert. Doch dann hat mich während des Studiums fasziniert, wie viele Tiere es gibt, von denen ich noch nie etwas gehört habe – und wie viele davon Insekten sind."

Auf Nadeln aufgespießte Insekten mit händisch beschriebenen Beschriftungszetteln
Die Objekte werden getrocknet und genadelt – mit einer speziellen Nadel und Technik, um Bestimmungsmerkmale nicht zu zerstören.
Helene Manhartsberger

So spezialisierte sich Zimmermann auf die Entomologie. So heißt die Insektenkunde wissenschaftlich, was der Mainstream-Mensch hauptsächlich aus der rezenten Kriminalliteratur weiß: Insekten sind ein populäres Requisit bei Morden aller Art. Verwechslungen gibt es nach wie vor: "Ich habe einmal für eine wissenschaftliche Zeitschrift gearbeitet und bin erst nach zwei Jahren draufgekommen, dass es im Impressum als Journal of Etymology angeführt war." Ach ja, die unheilige Dominanz der Sprachwissenschaft.

119 Arten von Bienen

Aber was macht man eigentlich so als Entomologin? "Hier im Museum ist, ganz offiziell, meine Arbeitszeit aufgeteilt in ein Drittel Forschung, ein Drittel Sammlungsbetreuung als Kuratorin und ein Drittel Öffentlichkeitsarbeit, weil das Museum auch eine wichtige Schnittstelle ist zwischen Wissenschaft und Gesellschaft." Zimmermann hat sich auf Bienen, Wespen und Ameisen spezialisiert und ist eine von sieben Kuratorinnen und Kuratoren in der Insektenabteilung des NHM. Forschungsarbeit schaut dann etwa so aus: „Wir haben etwa im Zuge eines Projekts die Schmetterlingswiese im Donaupark untersucht. Das war sehr cool. Ein Großteil vom Donaupark ist Rasen mit ein paar Büschen, wo keine einzige Biene vorkommt. Aber auf dieser Schmetterlingswiese haben wir mit relativ wenig Aufwand 119 Bienenarten gefunden!“

Die Entomologin öffnet eine von vielen hölzernen Schubladen im Depot.
Laden voller Larven? Die entomologische Sammlung im Naturhistorischen Museum ist umfangreich.
Helene Manhartsberger

Jetzt fragt sich die Möchtegern-Darwinistin: Warum ist Artenvielfalt so wichtig? Kommen wir nicht mit ein paar weniger Spezies eh auch locker aus? Natürlich nicht, weiß Zimmermann: "Abgesehen von ethischen Aspekten bedeutet Artenvielfalt immer auch Resilienz. Je mehr Arten es gibt, umso besser kann sich ein Ökosystem an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen. Und zurzeit verändern sich die Umweltbedingungen ganz massiv." Das heißt, dass auch wir stark von der Artenvielfalt profitieren. "Wir leben von den Ressourcen der Erde, und unser Überleben hängt von einem funktionierenden Ökosystem ab."

Nicht in die Mitte stechen

Und was sagt Zimmermann als Bienenexpertin zum oft aufgebrachten Bienensterben? "Es gibt diesen Spruch, der Einstein zugeschrieben wird, jedoch gar nicht von ihm stammt: ,Stirbt die Biene, stirbt der Mensch.‘ Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen das erleben, ist sehr, sehr gering. Es gibt über 25.000 Bienenarten, und wenn wir wirklich an dem Punkt ankommen sollten, an dem alle Bienenarten aussterben, hätten wir schon sehr lange sehr viel größere Probleme."

Mit existenziell zwar um vieles kleineren, aber dennoch vorhandenen Problemen beschäftigt sich Zimmermann im Arbeitsdrittel "Sammlungsbetreuung". "Ich bin für über eine Million Individuen verantwortlich – Bienen, Wespen und Ameisen. Ein großes Thema im Museum ist aktuell die Digitalisierung. In diesen Sammlungen steckt unglaubliches Wissen über die Verbreitung und Veränderung von Arten, aber es ist nicht zugänglich, dieses ganze Wissen steckt lokal physisch auf den Objekten." Und das bei einer Insektensammlung von etwa 13 Millionen Individuen. "Wir arbeiten an einer hausweiten, homogenen Datenbank, ein riesiges Projekt." Die Wiener Insektensammlung ist eine der größten weltweit neben London, Washington und Berlin. Aufbewahrt werden die Objekte vor allem getrocknet und genadelt – mit spezifischer Technik.

Aufgespießte Insekten mit grün und blau schillernden Panzern in den Vitrinen des Naturhistorischen Museums.
Prächtige Käfer aus aller Welt gibt es in den Schauräumen zu sehen.
Helene Manhartsberger

"Man sticht im Idealfall seitlich der Mitte, weil es in der Mitte eines Insektenrückens oft Merkmale gibt, die man zur Bestimmung braucht. Es ist auch ganz wichtig, wie gestochen wird, damit ein Präparat bei der späteren Handhabung nicht unabsichtlich beschädigt wird." Auch die Nadeln selbst sind sorgfältig ausgewählt, hier werden nicht etwa Stecknadeln verwendet, sondern spezielle Nadeln aus rostfreiem Eisendraht mit kugelrundem Kopf. "Die Wahl der richtigen Nadel ist eine Wissenschaft für sich. Es gibt Insektennadeln in unterschiedlichen Längen und Dicken, je nach Größe des Insekts." Die Präparate selbst werden, wenn sie nicht Teil der Ausstellung sind, in riesigen Rollregalen gelagert – nach Spezies und Alphabet geordnet.

Die Legende, dass es einen Schaukasten nur mit Insektenpenissen gibt, widerlegt Zimmermann mit Amüsement: "Es ist zwar tatsächlich so, dass die männlichen Genitalorgane eine sehr wichtige Rolle bei der Bestimmung der Arten spielen. Bei der Präparation der Insekten stülpt man sie also oft ein bisschen nach außen, damit man sie dann besser bestimmen kann. Aber sie extra zu sammeln würde wissenschaftlich keinen Sinn machen."

Luftholende Larven

In ihrem Buch erzählt Zimmermann faszinierende Geschichten von Insekten als Architekten, Sammlern, Erfindern und Bewahrern. Es ist ein Ausflug in eine fremde Welt, die doch Teil unserer ist – also durchaus geeignet für Menschen, die den sechsbeinigen Kreaturen mit Exoskeletten nicht ganz so liebevoll zugetan sind. Graust es Dominique Zimmermann eigentlich vor irgendeiner Insektenart?

"Es gibt tropische Fliegen, die ihre Eier in die Haut legen, woraus sich dann Larven entwickeln. Wenn die Larve geschlüpft ist, muss sie alle zwei Stunden den Kopf herausstecken, um Luft zu holen. Während meines Studiums habe ich in Asien einmal eine Backpackerin getroffen, die von so einer Fliege gestochen wurde. Die hat mit einer Pinzette gewartet, bis die Fliegenlarve den Kopf heraussteckt aus ihrem Arm … und sie erwischt. Tiere, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die unter die Haut gehen, die find ich grauslich. Und Kleidermotten, die mag ich nicht. Aber wer mag die schon." (Gini Brenner, 27.4.2024)