Marianne Vlaschits
Marianne Vlaschits, Gestalterin der U6-Station Burggasse, vor ihrem Werk.
Christian Fischer

Wer die U6 regelmäßig nutzt, insbesondere die Station Burggasse-Stadthalle, kann seit einigen Wochen die schrittweise Entfaltung einer surrealen Landschaft beobachten. Das Herbarium verschiedener pflanzenartiger Ornamente wächst und wächst, von Montag bis Freitag stets über Nacht. Mittlerweile schlängelt es sich da und dort bereits durch Ab-, Auf- und Durchgänge zu den Gleisen.

Zeitgenössisches Kunstprojekt

Manch einer dürfte die charakteristische "Handschrift" vielleicht schon erkannt haben: jene von Marianne Vlaschits, Jahrgang 1983, die an der Akademie der bildenden Künste (Wien) und der Slade School of Fine Art (London) studierte.

Vergangenen Herbst gewann die in Wien geborene Künstlerin den Wettbewerb zur künstlerischen Gestaltung dieser Station. Dahinter steht eine langfristige Kooperation zwischen Kunst im öffentlichen Raum Wien (KÖR) und den Wiener Linien, die sich zeitgenössische Kunstprojekte in und um die Stationen von Wiener U-Bahnen zum Ziel gesetzt hat.

"Herbarium Burggasse": der siegreiche Entwurf für den Stiegenaufgang.
Marianne Vlaschits

Kunst und Öffis

"Kunst und Öffis", das seien "zwei wesentliche Aspekte, die aus Wien nicht wegzudenken wären", betonen die Wiener Linien. Mögliche Standorte kommen dafür ebenso infrage wie bereits bestehende, die im Vorfeld von der KÖR-Jury geprüft, "freigegeben oder abgelehnt" werden. Diesem Schritt folgen eine Vorauswahl der Künstlerinnen und Künstler über eine Ausschreibung und sodann der Wettbewerb. Die eingereichten Beiträge werden anschließend von einem Sachbeirat im Hinblick auf ihre technische Umsetzbarkeit und Einhaltung der Ausschreibungsparameter einer technischen Vorprüfung unterzogen. Erst dann entscheidet eine eigens zusammengestellte Jury aus Kuratorinnen und Künstlern sowie Vertretern der Wiener Linien und des Bezirks.

Im Falle der Station Burggasse-Stadthalle lag die künstlerische Aufgabenstellung bei der "Schaffung einer unverwechselbaren Identität", verbunden mit einer ästhetischen Aufwertung, die eine zeitgemäße und moderne Atmosphäre gewährleisten solle.

Herbarium Burggasse war der Siegerentwurf von Marianne Vlaschits betitelt, der die Vorgaben gewissermaßen übererfüllte. Denn ihrem Konzept gelinge die "harmonische Verbindung zwischen dem historischen, von Otto Wagner in den 1890er-Jahren gestalteten Bereich" der einstigen Stadtbahn-Station sowie "dem in den 2000er-Jahren neu gebauten Abschnitt", wie es in der Jurybegründung heißt. Als wesentliches Gestaltungsmerkmal fungieren dabei die von Vlaschits aufgegriffenen historischen Jugendstilelemente, der Pflanzenwelt entlehnte Motive wie Palmetten, Lorbeerblätter, Girlanden oder Akanthusblätter.

Herbarium Burggasse
Das "Herbarium Burggasse" wächst über Nacht sukzessive zu einer surrealen Landschaft.
© Christian Fischer

Surreale Bildwelt

25 Motive sind es insgesamt, die sich in unterschiedlichen Reihenfolgen wiederholen und als surreale Bildwelt eine Illusion von Natur schaffen. Betont auch durch die Farbgebung als Referenz auf Otto Wagners gestalterischen Ansatz: Resedagrün in unterschiedlichen Abtönungen, also jene auch Maschinenfarbe genannte Farbe, mit der die 1895 von Otto Wagner als Nebenprodukt entworfenen gusseisernen Geländer seit den 1950er-Jahren lackiert werden. Zuvor waren sie bekanntlich hellbeige.

Die eine oder andere Hürde lauerte bei der Umsetzung aber dann doch. Denn als die Arbeiten beginnen sollten, waren die Wände noch immer völlig verdreckt, "Kotze und Blutspuren", dazu teils löchrig, teils blätterte Farbe ab, schildert Marianne Vlaschits. Kurz und gut: kein idealer Malgrund, auf dem nun ein haltbares Wandbild entstehen sollte.

Nach einigem Hin und Her sei dann eine Firma gekommen. Ein Hochdruckreiniger kam allerdings gar nicht erst zum Einsatz, stattdessen wurde der Dreck übertüncht, da und dort ein bisserl verputzt. Die Kaugummis? Die kleben noch heute, jetzt eben unter dem Wandbild.

Nachtarbeit aus Sicherheitsgründen

Am 25. März schritt die 40-jährige Künstlerin dann gemeinsam mit zwei Assistenten zur Tat. Der Haken: Das Reinigungspersonal der Station war im Vorfeld nicht informiert worden, wähnte Vandalen und schickte sich an, die Polizei zu rufen. Die skurrile Situation konnte geklärt werden. Seither arbeitet Vlaschits von Montag bis Freitag von ein bis vier Uhr nachts, wenn der Fahrbetrieb ruht: aus Sicherheitsgründen, auch "weil die Fluchtwege freigehalten werden müssen", wie die Wiener Linien betonen.

Nebenher ist die Künstlerin in ihrem Atelier intensiv mit neuen Werken für ihre Soloshow im Kunstraum Pech (ab 8. Mai) beschäftigt. Sonderlich viel Schlaf bekommt sie derzeit nicht. Der Lohn? Sieht man von der Aufwandsentschädigung in der Höhe von 2000 Euro ab, die alle Teilnehmenden am Wettbewerb im Herbst bekamen, hat sie für den öffentlichen Auftrag bis heute keinen Cent erhalten. Weder einen Vorschuss noch eine der vereinbarten Raten, die theoretisch längst fällig wären, gesteht sie ein.

Marianne Vlaschits.
Wettbewerbssiegerin Marianne Vlaschits.
Judith Stehlik

Warten auf den Vertrag

Praktisch war der Vertrag zum Knackpunkt geworden, der von zig Fachabteilungen der Wiener Linien geprüft und unterzeichnet werden muss. Ohne einen gültigen Vertrag kann die Künstlerin KÖR allerdings keine Honorarnote stellen. Als sich Der STANDARD Ende vergangener Woche dazu informiert, geht es plötzlich recht flott. Aufgrund von Krankenständen sei es zu Verzögerungen gekommen, der Vertrag würde Mitte dieser Woche vorliegen, informierte die Sprecherin der Wiener Linien.

Nach wochenlanger Arbeit, die auch Ressourcen für andere Projekte bindet, durfte Vlaschits dieser Tage die erste Honorarnote stellen. Ein Lichtblick. Für die Umsetzung hat KÖR insgesamt 75.000 Euro kalkuliert: Abzüglich der Kosten für Material und die Assistenz wird sie als Künstlerhonorar und für ihre Tätigkeit vor Ort knapp 60 Prozent davon bekommen.

Ein Budget der Kategorie Fair Pay? Gemessen am KÖR-Jahresetat von 800.000 Euro vermutlich. Historisch betrachtet eher relativ: Für die Gestaltung der "Kunstpassage" am Karlsplatz (Ernst Caramelle) sollen vor zehn Jahren gerüchteweise gut 500.000 Euro geflossen sein. Ob inklusive oder exklusive Materialkosten, war kurzfristig nicht in Erfahrung zu bringen. (Olga Kronsteiner, 28.4.2024)