Attila Ucar
Attila Ucar gegen Ivo Cuk (links) war der Höhepunkt des MMA-Events Sparta 4.
Sparta/Brandstetter

Schwechat – Sparta 4 hebt, nun ja, spartanisch an. Es hat sich nämlich begeben, dass die Premiere eines Frauenkampfes, die das Programm eröffnen sollte, wegen der Erkrankung einer der Kämpferinnen flachfällt. Immerhin, Narges "Xerxes" Mohseni schleppt sich trotz gerade erst überstandener Lungenentzündung ins hell erleuchtete Oktogon inmitten der Mehrzweckhalle am Stadtrand von Schwechat, um sich für die Unpässlichkeit zu entschuldigen.

Der gebürtigen Iranerin, von Ringsprecher Andreas Pfeiffer angemessen bedauert, wird freundlich Applaus zuteil. Der kann aber nicht aufbranden, weil an den 40 fein gedeckten Tischen, die rund um den Käfig der Wahrheit angeordnet sind, noch wenig Publikum sitzt und auch die steil aufragenden Tribünen längst nicht voll sind.

Fast familiär

Jonas, der Mann für die Öffentlichkeitsarbeit, wirkt deshalb nicht beunruhigt. "Das wird bis obenhin voll", versichert der stets lächelnde junge Mann mit dem tief ins Gesicht gezogenen Bucket-Hat. Jonas ist viel unterwegs in der durchgehend gut beschallten Halle, aber immer entspannt. 2500 Leute werden nach und nach kommen, sagt er. Die VIP-Tische, à 2500 Euro für je zehn Personen, sind sowieso ausverkauft. Das ist keine Überraschung, Sparta 3 hat im Vorjahr die Wiener Stadthalle mit mehr als 8000 Fans gemischter Kampfkünste gefüllt. Es war das größte Wiener Indoor-Kampfsportspektakel seit den legendären Auftritten von Boxer Hans Orsolics in den 1970ern. Im Multiversum ist es dagegen fast familiär, "wie zu Hause", sagt Jonas.

Multiversum
Im Multiversum wird zum Hauptgang ausgesuchte Gewalt serviert.
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Tatsächlich hat die Szenerie zumindest auf den teureren Plätzen familiäre Züge, auch wenn ganz überwiegend Männer von Hostessen an die Tische geleitet werden, wo sie sich unter Umarmungen begrüßen. Es trifft sich die Kampfsport-Familie, wie unschwer zu erkennen ist. Lässig-sportlich bis elegant ist die Kleidung, Ahnung von Muskeln unter T-Shirts und Sakkos, da und dort in den Gesichtern längst verheilte, aber unübersehbare Spuren einschlägiger Betätigung.

Wie einst die 300

Unprätentiös ist auch der Auftritt von Magomed Ozniev, dem aus Tschetschenien stammenden Herrn des Events, der zusammen mit seinem Landsmann Muslim Danaev die Marke Sparta aufgebaut und in kürzester Zeit zur österreichischen Nummer eins im boomenden MMA-Markt gemacht hat.

Magomed Ozniev tritt unprätentiös auf.
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"Showtime" war Oznievs Kampfname, seine Spezialität Thaiboxen. Er stand vor dem Sprung in die Ultimate Fighting Championship (UFC), den weltweiten Marktführer, ehe er beschloss, als Veranstalter in Österreich Erfolg zu haben. Eine ausgewogene Mischung aus Entertainment und Kampfsport strebt Sparta an. Das Marketing funktioniert in Anlehnung an die populäre Comicverfilmung 300 über das Schicksal von 300 Spartiaten unter ihrem König Leonidas an den Thermopylen. Der boomende Körperkult, besonders unter heranwachsenden Jugendlichen, die sich in der einen oder anderen Form messen wollen, tut sein Übriges zur Belebung der Szene.

Sechs Leitsätze

Mit "Spartaner!" begrüßt Ozniev sein Publikum, das im besten Fall die sechs Leitsätze seines Unternehmens intus hat: "Respekt ist unser Herzschlag, Gewaltprävention ist unser zentraler Fokus, Integration ist unser Leitprinzip, Entschlossenheit ist unsere Triebkraft, Integrität ist unser unerschütterliches Fundament, Disziplin ist der Schlüssel zu unserem Erfolg."

Diszipliniert geht es auch während der Veranstaltung zu. Szenen wie zuletzt im Rahmen eines Wiener Boxabends, der in eine veritable Schlägerei ausartete, ließ die Veranstalter die Zahl der Securitys auf 65 erhöhen. Die Kosten für den Polizeieinsatz – eine Hundertschaft ist in der und um die Halle verteilt – seien ohnehin der größte Posten, sagt Jonas. Der ist einer eigenen Marketingidee geschuldet.

Im März 2023 kämpften zwei Männer bei Sparta 2, die sich selbst der Fanszene der Wiener Austria und Rapids zuordnen – dementsprechender Besuch kam. Bei Sparta 4 fällt der Kampf wegen der Verletzung eines der Kontrahenten aus, von gegenüberliegenden Tribünen wird der Streit mit dümmlichen bis derben Sprechchören ausgetragen, aber der Spuk ist schnell vorbei. Nicht zum Schaden der Stimmung.

Die steigert sich ohnehin vom Kampf zu Kampf, kaum einer geht über die volle Distanz von dreimal fünf Minuten, die Referees verhindern Auswüchsen der Action, einer Mischung aus Boxen, Thaiboxen, Karate, Jiu-Jitsu und Judo. Ringsprecher Pfeiffer preist das Gebotene eloquent und scherzt nach einem Abbruchsieg in der ersten Runde über "gut bezahlte Kurzarbeit". Ab 2000 Euro aufwärts schwer sind die Gagen der Kämpfer, wie Jonas verrät, "wir zahlen am besten in Österreich". Vergleiche mit den Börsen der UFC, die allerdings Stadien füllt, sind aber nicht angebracht.

Kleiner Appetitzügler

An den Tischen wird unterdessen Räucherlachs, Roastbeef und Putenschnitzel gespeist, allenfalls appetitzügelnd ist ein Kampf gegen Mitte des Abends, in dem ein offenbar beliebter Lokalmatador seinen unterlegenen, aber tapfer den Kopf hinhaltenden Konkurrenten so lange karnifelt, bis der Referee ungeachtet der angerichteten Sauerei dazwischengeht. "Kann jemand die Blutlachen aufwischen", sagt Ringsprecher Pfeiffer, während im Publikum ein sachkundiges "Harter Schlag, hartes Ende" zu vernehmen ist und der oberflächlich gesäuberte Unterlegene mit seinem Bezwinger für Erinnerungsfotos posiert.

Sparta
Der Referee verhindert die schlimmsten Verheerungen.
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Erst der Hauptkampf des Abends zwischen den Herren Atilla Ucar (42) und Ivo Cuk hatte Eskalationspotenzial, zumal "The Machine" Ucar mit einem letzten Erfolg Abschied nehmen wollte und zu diesem Behufe Fans und Freunde an 20 Tischen platziert hatte. Im Moment seiner Niederlage durch K. o. drohte das Oktogon kurz von "Spartanern" gestürmt zu werden, die vielleicht ihr Simonides-Epigramm im Hinterkopf hatten: "Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl."

Vielleicht hatten sie aber auch ganz anderes im Hinterkopf. (Siegfried Lützow, 29.4.2024)