Aus einem Punkteraster wölbt sich bei Victor Vasarelys
Aus einem Punkteraster wölbt sich bei Victor Vasarelys "Vega Mat" eine riesige, mondhafte Kugel.
Dorotheum

Über Serge Poliakoff heißt es, er habe einer Mumie im Museum Material abgeschabt, um deren Farbigkeit zu analysieren. Die unzulässige Entnahme erzählt einiges von seiner Obsession für die Malerei: Seit den 1950er-Jahren sind die vom Künstler selbstgemischten Farben, ihre Schichtungen und Überlagerungen charakteristisch für seine Farbflächenbilder, auf denen er geometrische Formen puzzleartig ineinander verzahnt.

1900 in Moskau geboren, floh Poliakoff 1920 nach Paris, wo der ausgebildete Gitarrist zunächst von seinen Auftritten als Musiker lebte. Inspiriert von Wassily Kandinsky begann er ab 1937, seine Kenntnis musikalischer Kompositionstechniken ins Visuelle zu übertragen: Die vorliegende Arbeit aus der Serie Composition abstraite (1960) ist ein harmonisches Neben-, In- und Übereinander roter, blauer, weißer und schwarzer Flächen. An manchen Stellen schimmert der weiße Untergrund durch und erzeugt räumliche Tiefe und Durchlässigkeit.

Vereinzelt durchkreuzte Linien

In die Tiefe und in die Bewegung gehen auch Georges Mathieu und Victor Vasarely, die wie Poliakoff in Paris lebten und deren Bilder aus einer Privatsammlung abstrakter Kunst stammen. Darunter die beiden Bilder Ohne Titel (1968) und Gatines (1969) von Mathieu, dem Begründer der Lyrischen Abstraktion: Auf monochrom rotem bzw. blauem Malgrund sind feine Strukturen, Striche und Punkte zu sehen, vereinzelt durchkreuzen Linien das gesamte Bild. Während diese dem prozesshaften, aktionistischen Farbauftrag geschuldet sind, lassen die vertikale Ausrichtung und die angedeutete Lesbarkeit Mathieus intensive Beschäftigung mit japanischer Kalligrafie erkennen.

Von einer individuellen Handschrift hat sich Victor Vasarely zu diesem Zeitpunkt bereits entfernt. Mit seinen geometrischen Formen und leuchtenden Farben nahm er das (bevorstehende) Ereignis der Mondlandung zum Anlass für Bildfindungen. Hold-KK (1967/69) war 1970 Teil der Ausstellung Moon and Space in der Galerie Beyeler in Basel und zeigt vier bildfüllende Kreise auf monochromem Grund. Ein gradueller Farbverlauf erzeugt die Illusion von Ferne und Nähe, gibt den Kreisen einen zahnradartigen Dreh.

Jenseits von Farbigkeit und Spielerischem adressiert Vasarely die Fehlerhaftigkeit der menschlichen Wahrnehmung: Am schwersten tut sich diese mit kleinteiligen Mustern und Farbkontrasten, die er etwa beim Bild Vega Mat (1969) einsetzte: Aus einem mit weißen Punkten überzogenen, goldenen Raster wölbt sich scheinbar dreidimensional eine riesige, mondhafte Kugel aus der Fläche heraus.

In West und Ost

Der kroatische Künstler Julije Knifer hat im Jugoslawien der 1960er-Jahre nicht nur den Austausch mit der internationalen Avantgarde (darunter Vasarely) gesucht, sondern in dem sozialistischen Land provokanterweise die Autonomie der Kunst proklamiert. Ab etwa 1960 beschäftigte er sich mit der Form des Mäanders; ein eckiges, schwarzes Ornamental auf weißem Grund, MA1 (1970), ist eines seiner frühesten Mäanderbilder. Es steht formal dem Neokonstruktivismus nahe, während Knifers Methoden der Repetition und der radikalen Reduktion mit jener der Minimal Art und Konzeptkunst verwandt sind.

Von einem zutiefst strukturellen Denken war auch das Werk der Ungarin Dóra Maurer geprägt, das ab 1972 "Verschiebungen" galt. Die vorliegende Arbeit V-Diagonal (1975) stammt aus dieser Zeit, in der sie zwei verschiedene "Systeme" verschränkt, um die Wahrnehmung für das räumliche Umfeld zu sensibilisieren: Für ihre Installation benötigt sie nur ein paar Holzbretter, schwarze Farbe und ein Blatt. Auf ihm hat sie den Bauplan für ihre minimale räumliche Verschiebung und Ausdehnung notiert. (Christa Benzer,10.5.2024)

Armbanduhren unter Extrembedingungen

Rolex; Dorotheum
Rolex, von der Tiefsee bis ins All.
Dorotheum

Meter unter dem Meeresspiegel mag nicht die naheliegende Maßeinheit für Zeitmesser sein und hat doch seine Berechtigung: wenn es um Zuverlässigkeit unter Extrembedingungen geht, wie zwei Modelle der Marken Rolex und Omega im aktuellen Auktionsangebot der Sparte Armband- und Taschenuhren belegen. Als Jacques Piccard 1960 an Bord der Trieste 10.916 Meter tief in den Marianengraben abtauchte, überdauerte eine an der Außenwand montierte Rolex Deep Sea Special diese Tiefseereise unversehrt. Aus der Nachfolgegeneration sucht im Dorotheum eine Rolex Oyster Perpetual Date Submariner in der Variante "Kermit" mit grüner Lünette (siehe Abb.) einen neuen Besitzer.

Den Griff zu den Sternen in 385 Millionen Metern über dem Meeresspiegel repräsentiert eine Omega Moonwatch (Speedmaster Professional Chronograph), deren Vorläufer das strenge Auswahlverfahren der Nasa für das Apollo-Raumfahrtprogramm bestand: Bei der ersten Mondlandung am 20. Juli 1969 trugen Buzz Aldrin und Neil Armstrong eine solche. (kron)

Neuentdeckungen bei Bildern der Moderne

Oppenheimers
Verpasstes Matt in zwei Zügen, Oppenheimers "Das Schachspiel".
Dorotheum

Max Oppenheimer (MOPP) war ein leidenschaftlicher Schachspieler, und es begleitete ihn dieses als Motiv in unterschiedlichen Phasen auch in seinem künstlerischen Schaffen. In der Sparte Moderne wartet jetzt eine Neuentdeckung, die nur ohne Abbildung und Maßangaben über eine Ausstellung der Wiener Secession von 1935 dokumentiert war.

Für Das Schachspiel wählte MOPP eine die Spannung steigernde Komposition in extremer Nahsicht, auch die "sprechenden" Hände und Finger sind, wie schon bei seinen Musikerbildern, charakteristisch. Der nächste Zug des Weißspielers scheint von entscheidender Bedeutung zu sein. An dessen Handbewegung lässt sich erkennen, dass er seinen Turm vorwärts (vermutlich Txf6), nicht seitwärts nach links (Te1+) ziehen will, wie STANDARD-Schachreporter Anatol Vitouch analysiert. Als versierter Schachspieler wollte der Künstler hier womöglich eine Partie mit einem typischen "Patzer" aus dem Kaffeehaus zeigen, der das Matt in zwei Zügen, das er als Weißspieler geben könnte, nicht findet. (Olga Kronsteiner, 11.5.2024)