Auf Wiens Spielplätzen ist Fallen ausdrücklich erwünscht. Klingt brutal, und viele Eltern setzen, nachdem sie diesen Satz gelesen haben, vielleicht schon zur Beschwerde an. Doch halt: Fallen ist gut. Wer es nicht in jungen Jahren lernt, lernt es vielleicht nie.

Jeder Spielplatz in Wien wird mindestens vier Mal pro Jahr überprüft.
Heribert Corn

Dass dabei trotzdem keine Verletzungen mit schwerwiegenden Folgen passieren, dafür sorgen Gerhard Pitsch und seine 20 Kolleginnen und Kollegen. Sie sind zertifizierte Spielplatzprüfer der Wiener Stadtgärten (MA 42) und gehen überall dort hin, wo sonst nur die Kinder ihre Freude haben: aufs Klettergerüst oder die Rutsche. "Es schaut schon witzig aus, wenn ich als erwachsener Mann ganz oben am Klettergerüst stehe und wie wild daran rüttle", sagt Pitsch. Im nächsten Moment zückt er seinen 40 Zentimeter langen Schraubenzieher – den längsten, den er kriegen konnte, wie er sagt – und stößt ihn in die Erde des Sparefroh-Spielplatzes im Donaupark wie andere ein Bratenthermometer in ein Steak. Damit kontrolliert der Profi die Tiefe des Fallschutzes – das ist der Rindenmulch, der auf Spielplätzen verteilt wird, um die Stürze der Kinder abzufedern.

Gerhard Pitsch ist zertifizierter Spielplatzprüfer und testet die Sicherheit von Spielgeräten.
Redl

Um Spielplätze heute sicher zu machen, gibt es mehrere Hundert Seiten an Normen. Sie sollen verhindern, dass Kinder zu Tode kommen oder Verletzungen mit schweren gesundheitlichen Folgen davontragen. "Die Norm soll aber keine gebrochenen Finger und keine Platzwunden verhindern", sagt Georg Lepiczeck von der Spielplatzsicherheit, der Pitsch heute bei der Prüfung im Donaupark begleitet. In Europa sei man der Meinung, dass kontrolliertes Fallenlernen extrem wichtig sei, "damit aus unseren Kindern mutige und geschickte Erwachsene werden".

Was die Eltern sagen

Wiens Spielplätze gehören zu den besten und sichersten der Welt, da sind sich nicht nur Profis, sondern auch die Eltern einig. Eine, die sich auskennt, ist Andrea Schöniger-Hekele vom Babymamas-Newsletter, die kürzlich einen Elternguide für Familien in Buchform herausgegeben hat. Auf ihrem Blog testet sie neben Restaurants und Ausflugszielen auch Spielplätze. Regelmäßig würden Spielgeräte erneuert, und Defekte gebe es eigentlich kaum, sagt sie. Auch die Fülle an Angeboten findet sie beachtlich. "An fast jeder Ecke gibt es einen Spielplatz."

Ihre Favoriten, besser gesagt: die ihrer drei Kinder, sind der Feuerwehrspielplatz in Breitenlee, die Wasserspielplätze in Favoriten oder auf der Donauinsel sowie der Robinson-Spielplatz der Kinderfreunde in Döbling.

Sand-Matsch-Zonen sind vor allem bei heißen Temperaturen ein Anziehungspunkt für die Kinder - etwa hier im Walter-Kuhn-Park in Wien-Favoriten.
Heribert Corn

Die Eltern hätten allerdings meist andere Bedürfnisse als ihre Kinder, weiß Schöniger-Hekele. Auf ihrem Blog stellt sie deshalb auch Spielplätze mit Kiosk und Kulinarik vor, wo die Eltern mit Blick auf den Spielplatz etwas trinken können. Solche gibt es etwa im Pötzleinsdorfer Schlosspark oder auf dem Johann-Nepomuk-Vogl-Platz in Währing. Einen Spaziergang in der Natur mit einem Spielplatzbesuch zu verbinden geht etwa im Schwarzenberg- oder im Dehnepark.

Was Eltern und alle anderen Parkbenutzerinnen sich wünschen, berücksichtigt auch die bei den Wiener Stadtgärten zuständige Abteilung für Spielplatzplanung. Vor jeder Neugestaltung regt sie ein Bürgerbeteiligungsverfahren an.

So etwa auch im Leopold-Rister-Park in Margareten. Er gehört neben dem Stadtpark Atzgersdorf, der Parkanlage Nordbahnhof Freie Mitte, dem Elinor-Ostrom-Park und dem Gaswerkpark Leopoldau zu den neuesten in Wien.

Die Sitzbänke mit Pedalen davor stehen im Leopold-Rister-Park in Wien-Margareten und sollen die Beweglichkeit älterer Menschen fördern.
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Wer den Platz besucht, merkt sofort, dass hier etwas anders ist. Die Spielplatzflächen sind nicht durch einen Zaun vom restlichen Park abgetrennt, sondern über den ganzen Platz verteilt wie kleine Inseln. Dazwischen sind Aufenthaltsräume für alle vorgesehen. Es gibt überdachte Sitzgelegenheiten, Schach- und Mühletische, ein öffentliches WC, eine auf dem Boden markierte Laufstrecke, Sportgeräte für Erwachsene, Liegen und andere Sitzmöglichkeiten sowie Bänke mit Pedalen, die es auch älteren Menschen möglich machen, sich zu bewegen.

"Die Frauen und Mütter haben sich bei der Vorabbefragung Fitnessgeräte gewünscht, damit sie trainieren können, wenn sie mit den Kindern in den Park gehen", erklärt Ursula Dominikus, Landschaftsplanerin bei der MA 42. Gleichzeitig sei es ihnen ein Bedürfnis gewesen, dass die Geräte etwas abseits stünden, sodass es beim Sporteln nicht so viele Zuschauer gebe.

Die Planung ist durchdacht, vorab wurde die Bevölkerung nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt.
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Auch die Kinder sind begeistert. "Ich will da rauf", sagt der kleine Xaver (2) und greift nach der Hand seiner Mama. Der ganze Platz lädt zum Entdecken ein. Die Kinder klettern nicht nur auf den Spielgeräten, sondern auch auf den Mauern, die als Abgrenzung der einzelnen Zonen dienen. Dennoch wirkt der Platz nicht unübersichtlich.

Penible Prüfung

Zurück auf dem Sparefroh-Spielplatz im Donaupark. "Das gefällt mir nicht", sagt Gerhard Pitsch und schiebt ein paar Stücke Rindenmulch auf die Seite. Unter einem roten Federwipptier kommt das Betonfundament zum Vorschein, das gefährlich scharfe Kanten hat. "Da muss der Fallschutz aufgefüllt werden", sagt er und vermerkt es für seine Kollegen im Protokoll.

Pitsch überprüft Spielgerät für Spielgerät – darauf, ob etwas locker sitzt, eine Schraube fehlt oder ein Splitter wegsteht. Jeder Spielplatz in Wien wird mindestens viermal pro Jahr kontrolliert, Brennpunktparks auch häufiger. Einmal im Jahr gibt es eine große Inspektion, dann werden auch Fundamente freigegraben. Kleine Reparaturen macht Pitsch selbst, für größere informiert er das Reparaturteam und vergibt Fristen, bis wann sie erledigt werden müssen. Jährlich im Frühling werden Proben aus den Sandkisten entnommen, um sie im Labor auf bakterielle Verunreinigungen wie E.-coli-Bakterien zu überprüfen.

Als Nächstes ist die Schaukel dran. Pitsch holt die Leiter aus seinem Auto und überprüft die Holzbalken von oben. Mit einem Hammer klopft er drauf, daran hört er, ob das Holz angemorscht ist. Pitsch weiß auswendig, seit welchem Jahr die Schaukel hier steht und aus welchem Holz sie ist – "er kennt seine Geräte, er macht das jeden Tag", sagt sein Vorgesetzter Lepiczeck.

Gerhard Pitsch kontrolliert, ob die Balken der Schaukel angemorscht sind.
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Er erklärt, worüber viele Kinder und Eltern noch nie nachgedacht haben dürften, etwa warum Schaukelbretter aus Gummi sind und an der Unterseite viele Löcher haben: als Dämpfung, falls die Schaukel ein Kind auf dem Hinterkopf trifft. Schreckensszenarien wie dieses sind der Alltag im Spielplatzprüferbusiness. Dafür hat Pitsch auch mehrere Prüfkörper dabei, die für Körperteile von Kindern stehen.

Zwei dünne Stäbe etwa dienen als Dummies für Kinderfinger. Pitsch steckt einen durch die Kettenglieder der Schaukel. "Wenn der kleine durchpasst, muss der große auch reingehen", erklärt er. So wird sichergestellt, dass Kinderfinger, die reingesteckt werden, auch wieder rausgezogen werden können.

Schreckensszenarien sind Alltag im Spielplatzprüferbusiness. Mit Prüfkörpern geht Gerhard Pitsch sicher, dass es auf Spielgeräten keine gefährlichen Stellen gibt, bei denen Kinder steckenbleiben können.
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Zwei weitere Prüfkörper kommen ein paar Minuten später bei der Leiter auf den Rutschenturm zum Einsatz. Einer verkörpert den kleinstmöglichen Kindertorso, der andere den größtmöglichen Kinderkopf. Pitsch überprüft den Abstand zwischen Plattform und letzter Sprosse: Kann ein Kind mit dem Körper durchrutschen, muss auch der Kopf hinterher und durch die Öffnung passen, ansonsten wäre eine Strangulation die Folge. "Zack, Rübe ab", beschreibt Lepiczeck das besonders bildhaft und spricht von Hals- und Kopffangstellen, die Kindern vor der Einführung von Normen immer wieder das Leben gekostet hätten. Pitsch: "Deshalb sollte man Kindern auf dem Spielplatz immer den Helm abnehmen, dann können sie nicht steckenbleiben."

Highlight Matschzone

Schauplatzwechsel. Auch im Walter-Kuhn-Park in Favoriten steht einer der neuesten Spielplätze Wiens. Mittelpunkt des Geschehens an einem warmen Nachmittag Ende April ist der Wasserlauf, an dem alle Kinder gemeinsam matschen. Der Spielplatz ist für Zugfans ein Tipp, da es einen direkten Blick auf die Gleise gibt, die zum Hauptbahnhof führen. Louis (4) findet das Wasserspiel cool, das Kletterseil auf den Rutschenturm aber am besten. Eine Mutter wünscht sich eine Kleinkindschaukel, und alle anwesenden Eltern hätten vor allem eines gerne: mehr Schatten. Der ist Mangelware. Eine Pergola gibt es zwar, unter der auch an diesem Nachmittag alle versammelt sind, der Rest des Spielplatzes liegt allerdings in der prallen Sonne. Die Bäume, die neu gepflanzt wurden, sind noch ganz jung und spenden kaum Schatten.

Walter-Kuhn-Park Spielplatz Favoriten
Auf dem Spielplatz im Walter-Kuhn-Park in Wien-Favoriten gibt es zu wenig Schatten.
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Abkühlung und Schatten sind auch bei der MA 42 großes Thema. In letzter Zeit achte man vermehrt darauf, und immer wieder werde nachgeschärft. Einzelne Spielgeräte oder Sandspielbereiche werden dann nachträglich beschattet. Auch das Thema Wasser auf dem Spielplatz werde immer wichtiger, sagt Landschaftsplanerin Dominikus – nicht nur, weil es bei den Kindern beliebt ist, auch als Abkühlung in immer heißer werdenden Sommern.

Raufheben als No-Go

Zurück im Donaupark hat Pitsch seinen Zollstock gezückt und zeigt, wie hoch der Einstieg zur Rutsche ist, also der Abstand vom Boden bis zur ersten Sprosse. 40 Zentimeter sind es mindestens bei allen Geräten, die von Kleinkindern nicht beklettert werden dürfen, erklärt Lepiczeck. Denn wenn ein Gerät nicht für Zwei- oder Dreijährige geeignet ist, gibt die Norm vor, dass sie auch nicht raufkommen sollen. Dass Eltern ihren Kindern aufs Klettergerüst helfen, ist laut Pitsch ein absolutes No-Go. "Dann kann es sein, dass der Fallschutz aus einer Höhe von 1,70 Metern für einen Zweijährigen nicht ausreicht."

Die meisten Unfälle auf Spielplätzen passieren, "weil die Kinder patschert sind", wie Lepiczeck es nennt. In seltenen Fällen sind auch defekte Spielgeräte die Ursache. Zu den klassischen Verletzungen gehören Verknöcheln, Knochenbrüche, Holzsplitter oder Abschürfungen.

Kommt ein Kind alleine rauf, kommt es auch alleine wieder runter, davon ist Gerhard Pitsch überzeugt.
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Immer wieder stellt sich nach solchen Zwischenfällen die Frage der Haftung, und dann werden die Spielgeräte oder der Fallschutz nachträglich überprüft. Vor Gericht sei er aber noch nie gestanden, sagt Lepiczeck, obwohl er seinen Job seit zehn Jahren mache.

Die absolut höchste Fallhöhe liegt auf Wiens Spielplätzen übrigens bei drei Metern. Für viele Eltern klingt das schwindelerregend hoch; sie wollen ihrem Nachwuchs am liebsten hinterher, um ihn zu beschützen, das wissen auch Lepiczeck und Pitsch. Und obwohl alle Spielgeräte so ausgeführt sind, dass Erwachsene die Kinder im Notfall retten können – und auch Spielplatzprüfer wie Pitsch darauf Platz haben und überall hindurch passen –, seien sie nicht dafür gedacht, dass Erwachsene sie regelmäßig beklettern. "Wenn das Kind motorisch so weit ist, dass es allein raufkommt, kommt es auch allein wieder runter", ist sich Pitsch sicher.

In seinem Arbeitsalltag begegnet er seinen kleinen Kundinnen und Kunden freilich auch oft persönlich. "Dann ziehen sie an meinem Hosenhaxen und fragen mich, was ich da mache, wo ich doch viel zu groß bin für den Spielplatz", erzählt er, und der Stolz ist ihm dabei richtig anzusehen. Der Job sei seine Berufung, sagt er: "Wenn ich fertig bin, muss der Spielplatz zu 110 Prozent sicher sein, das ist meine Verantwortung." Und das erklärt Pitsch dann auch den Kindern: dass er nur deshalb da sei, damit ihnen nichts passiere. (Bernadette Redl, 9.5.2024)