Martin Österdahl von der EBU (European Broadcasting Union) weiß nun, wie sich Theatermenschen fühlen. Als er das Song-Contest-Voting eröffnete, übertönte ihn eine einzigartige Buhwelle. Sie entlud sich wohl ob der Disqualifikation des Niederländers Joost Klein, dem aggressives Verhalten vorgeworfen wird. Wie die EBU-Verantwortlichen versuchten, angesichts der wegen des Gazakriegs aufgeheizten Atmosphäre einfach durchzutauchen, war auch einige Buhs wert. Der Versuch, Politik herauszuhalten, ist verständlich. Dieser Karneval der Vielfalt soll nicht durch tagespolitische Parolen erdrückt werden. Es reicht, wenn Weltanschauung im jeweiligen Showakt mit künstlerischen Mitteln angedeutet wird.

Israels Kandidatin Eden Golan bekam Morddrohungen.
AP/Martin Meissner

Sich nicht gründlich darauf vorbereitet zu haben, dass sich die Politrealität in den partyseligen Wettstreit der Nationen einschleichen würde, zeugt jedoch von Naivität, die zur Überforderung wurde. Womöglich war man teils auf verlorenem Posten. Etwa wenn es darum ging, die Israelin Eden Golan, die schon Morddrohungen erhalten hatte, vor Störungen ihrer Performance zu schützen. Wie sie behandelt wurde, war brutal; die EBU wirkte hilflos. Sie sollte aber zukünftig einen Weg finden, den Contest produktiv im Spannungsfeld zwischen dem schönen Motto "United by Music!" und der Realität zu halten. Denn in einem solchen Spannungsfeld zwischen Friedenstraum und Wirklichkeit wird er bleiben. (Ljubiša Tošić, 12.5.2024)