Der Höhenflug an der Wall Street hat wieder Fahrt aufgenommen. Auslöser waren erfreuliche US-Inflationsdaten für April, da sich der Preisauftrieb auf 3,4 Prozent um 0,1 Prozentpunkte verringert hat. Die sogenannte Kerninflation, bei der Energie und Nahrung ausgeklammert werden und auf deren Entwicklung die US-Notenbank Fed bei ihren geldpolitischen Entscheidungen großes Augenmerk legt, verringerte sich von 3,8 auf 3,6 Prozent. Das hat die Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen wiederaufleben lassen und die Börsen wieder auf Rekordkurs getrimmt – worauf der Dow-Jones-Index am Donnerstag im Handelsverlauf erstmals die Marke von 40.000 Punkten übersprungen hat.

Damit liegt das bekannteste US-Börsenbarometer seit Jahresbeginn rund sechs Prozent im Plus, auf Sicht von fünf Jahren beträgt der Wertzuwachs etwa 55 Prozent. Die Zugpferde dieser Entwicklung waren einmal mehr die Schwergewichte aus dem Technologiesektor, denen zuletzt die anhaltende Euphorie rund um Künstliche Intelligenz (KI) und die Hoffnung auf baldige Zinssenkungen die Sporen gegeben haben. Wie lange kann diese Party an der Wall Street noch andauern? Ist das Ende der Fahnenstange schon bald erreicht?

Passanten vor dem Gebäude der New Yorker Börse in der Wall Street.
Auch die neu aufgeflammte Hoffnung auf bald sinkende Zinsen unterstützte den Dow-Jones-Index auf seinem Weg zur 40.000-Punkte-Marke.
AP/Peter Morgan

Die Superstars an den US-Börsen sind die sogenannten Magnificent Seven, also die sieben führenden Technologiekonzerne Apple, Amazon, Alphabet, Microsoft, Meta, Nvidia und Tesla, auf die ein Großteil der Gewinne entfällt. Aber obwohl neben dem Dow Jones auch andere US-Indizes wie der technologielastige Nasdaq 100 oder der von Börsenprofis vielbeachtete S&P 500 laufend neue Rekordstände erreichen, fehlt es dem Anstieg an Breite. Denn abgesehen von Technologiekonzernen konnten zuletzt nur wenige Einzelaktien neue Rekordstände erzielen.

Dafür haben es diese auf die Spitze getrieben, allen voran der Chiperzeuger Nvidia, der als einer der Hauptprofiteure des KI-Booms gilt. Weil Programme wie ChatGPT viel Rechenkraft benötigen, reißt die Kundschaft dem US-Halbleiterkonzern seine Produkte derzeit geradezu aus den Händen. Die Folge: Im Schlussquartal des Vorjahrs konnte der Konzern seinen Umsatz im Jahresvergleich verdreifachen. Fachleuten zufolge linderten die Zahlen die Ängste der Finanzwelt, dass das starke Wachstum der KI-Branche bald zu Ende sein könnte.

Abnehmende Inflation

Auch im Hause Raiffeisen Research blickt man wegen sinkender Inflationsraten, die Zinssenkungen erlauben, und solider wirtschaftlicher Daten mit Optimismus auf den weiteren Jahresverlauf: "Für das restliche 2024 sehen wir eine Fortsetzung der aktuellen Trends mit Potenzial für Volatilität rund um die US-Präsidentschaftswahl und eine Verbreiterung der Aktienrally", erklärt Analyst Raphael Schicho. Das bedeutet, der Aufschwung soll wieder von mehr Titeln als den Magnificent Seven getragen werden, wobei selbst bei diesen zuletzt manche wie Tesla schwächelten.

Da auch das Gewinnwachstum an den Aktienmärkten in die richtige Richtung zeige, lautet Schichos Fazit: "Aus unserer Sicht spricht kurzfristig wenig dagegen, dass sich diese Rally fortsetzt, wenn auch mit etwas weniger Schwung." Man sei zudem überzeugt davon, dass auch die Technologiebranche weiterhin eine gute Performance zeigen könne. Nach einer etwas unruhigeren Phase rund um die US-Wahl erwartet er bis Jahresende einen weiteren Anstieg des Dow Jones auf 40.500 Punkte.

Länger für weniger

Dieser hat übrigens im Jänner 2017 erstmals die Marke von 20.000 Zählern übersprungen und im November 2020 die 30.000er-Hürde geknackt. Für den ersten Anstieg um insgesamt 50 Prozent brauchte der Index weniger als vier Jahre, für die nächsten 10.000 Punkte wurden aber vier Jahre und vier Monate benötigt, obwohl es sich dabei bloß um einen Zuwachs um ein Drittel handelte. Der Schwung hat an der Wall Street also schon etwas nachgelassen. Völlig offen ist freilich noch, wann die nächste runde Marke bei 50.000 Zählern fallen wird – es könnte sich aber eine gemächlichere Gangart an der Wall Street abzeichnen.

Denn US-Aktien sind schon sehr ambitioniert bewertet, gemessen an dem sogenannten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Dieses besagt, wie viele Jahresgewinne benötigt werden, um den derzeitigen Kurs zu erreichen – je mehr, desto teurer. Und desto geringer ist in der Regel auch das zukünftige Kurspotenzial. Dazu sagt Raiffeisen-Analyst Schicho: "Beim Blick auf die KGV-Werte in den USA über die letzten 50 Jahre wird schnell klar, dass wir uns hier mit einem KGV von über 26 auf einem durchaus hohen Niveau befinden." Es handle sich zwar nicht um einen Extremwert, die Luft werde aber dünner. Kurzfristig sollte dies seiner Ansicht nach zwar keine gravierenden Auswirkungen haben, langfristig Investierende sollten dies aber im Auge behalten.

Keine Entwarnung

Zumal es auch kritischere Stimmen hinsichtlich der weiteren Geldpolitik der Fed gibt. "Obwohl die Märkte erleichtert schienen, dass die beobachteten Inflationsdaten anders als im März keinen über den Erwartungen liegenden Anstieg zeigten, sehen wir die Daten immer noch als besorgniserregend an", betont Ökonomin Tiffany Wilding vom US-Vermögensverwalter Pimco. Es brauche aber eine deutlichere Verlangsamung der Konsumgüterinflation, bevor die Notenbank eine Lockerung der Geldpolitik in Betracht ziehen könne. "Konkret könnte das sogar bedeuten, dass die Entscheidungsträger das aktuelle Zinsniveau im restlichen Jahresverlauf 2024 beibehalten werden", ergänzt die Expertin.

Im Windschatten der Wall Street ging es auch an Europas Börsen wieder aufwärts. Der deutsche Leitindex Dax erzielte dieses Jahr bereits 30-mal ein neues Rekordhoch – wobei in einem Durchschnittsjahr nur zwölfmal ein neuer Rekordstand fällig wird. Allerdings sind europäische Aktien im Mittel nur mit dem 15-fachen Jahresgewinn (KGV) bewertet, sind also wesentlich günstiger als ihre US-Pendants. Wegen geringerer Gewinnzuwächse und vergleichsweise wenigen zukunftsträchtigen Technologietiteln könnten Europa Börsen aber auch weiterhin das Nachsehen gegenüber der Wall Street haben. (Alexander Hahn, 16.5.2024)