Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mag es farbenfroh in ihrem Büro. Kulturpolitisch war zuletzt nicht alles rosig.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mag es in ihrem Büro farbenfroh. Kulturpolitisch war zuletzt nicht alles rosig.
APA/HELMUT FOHRINGER

Kultur lässt sich nicht verordnen, und wo doch, geht das gehörig schief. Das lehrt nicht nur die Geschichte des Autoritarismus, das zeigt – weniger dramatisch besehen – auch das Fallbeispiel Tangente. Ja, "tangieren", also berühren hätte es einen sollen, jenes Festival für Gegenwartskultur, das die Stadt St. Pölten im Verbund mit dem Land Niederösterreich als Ersatz für die gescheiterte Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt veranstaltet. Eröffnet wurde am Dienstag, laufen soll das Spektakel bis Oktober, kosten wird es 17 Millionen Euro, berühren, also tangieren, tut es derweil nicht gar so viele. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich in St. Pöltens lokaler Kulturszene ein bisschen umhört. Nicht nur die spanische Autorin Cristina Morales läutete dem Festival mit ihrer Eröffnungsrede ("Ich bin Ihre Feindin") bizarrerweise schon zum Start das Totenglöckl, auch bei der Party am Abend war von Feierstimmung wenig zu spüren.

Wen tangiert sie also, die Tangente? Freilich die Kulturpolitik, die, einhellig wie selten zuvor als Stadt-SPÖ und Landes-ÖVP, mit einer erfolgreichen Bewerbung als Kulturhauptstadt der jüngsten Landeshauptstadt Österreichs mehr Profil hatte geben wollen. Frühzeitig zeigte man sich 2019 siegesgewiss, mit der mächtigen Landeskulturholding Nöku im Rücken sollte eigentlich nichts schiefgehen. Ist es dann halt doch. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hatte es zwar gut gemeint, ihre allzu laute Unterstützungsbekundung samt budgetärer Bedeckung tat dem Projekt aber einen Bärendienst. Die EU-Jury verlangte nach "bottom-up", also von Bürgerinitiativen ausgehenden Bewerbungen, was St. Pölten lieferte, war "top-down": verordnete Kultur. Also fiel die Wahl auf das von der Politik nur zögerlich mitgetragene Bad Ischl / Salzkammergut, wo sich 23 Partnergemeinden auf ein Packl hauen mussten. Heißt das nun, dass in der Bergseenregion alles rund läuft? Nein, denn auch der ach so schönen Vielstimmigkeit des "bottom-up" ist eine Kehrseite, Chaotik und Streit nämlich, strukturell eingeschrieben.

Elisabeth Schweeger, die künstlerische Leiterin des Kulturhautstadt-Jahres im Salzkammergut, bei dessen Eröffnung. Der Funke ist noch nicht recht übergesprungen.
Elisabeth Schweeger, die künstlerische Leiterin des Kulturhautstadt-Jahres im Salzkammergut, bei dessen Eröffnung. Der Funke ist noch nicht recht übergesprungen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Zentralismus hier, Zerstreuung dort. Bei beiden Projekten, so scheint es, will der Funke nicht recht überspringen – weder aufs vielbeschworene lokale Publikum noch aufs eingeschworene Fachpersonal. Man soll zwar nicht ungerecht sein: Bei beiden Projekten sind fähige Leute am Werk, an beiden Orten treten spannende Kunstschaffende auf, und was jetzt nicht ist, das kann noch werden. Das Ideal eines Festivals aber, das vom Wirtshaus bis ins Politbüro breitestes Interesse generiert, das in seiner Bedeutung verstanden, angenommen und mit Leben erfüllt wird, bleibt doch ein Traum. Bis 2033 sind nun erst einmal alle Startplätze für die Europäische Kulturhauptstadt vergeben. Mehr als genug Zeit also, um zwischen "bottom-up" und "top-down", zwischen Graswurzelbewegung und Generalstabsplanung, das richtige Maß zu finden. (Stefan Weiss, 3.5.2024)