Dating App
Vor allem das aggressive Bezahlmodell wird etwa bei Tinder oftmals als Grund genannt, die App wieder verlassen zu wollen.
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Zum "Daten" geht man schon lange nicht mehr in eine Bar – und die eigene Telefonnummer in die Hand einer anderen Person zu schreiben ist dieser Tage wohl auch eher selten der Start einer romantischen Beziehung. Stattdessen starren viele von uns mittlerweile sogar in öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei Festivals nur noch aufs Handy. So hat sich auch die Partnersuche verstärkt ins Netz verlagert.

Nach einer ersten Phase der Neugierde, die immerhin rund zehn Jahre gedauert hat, und punktueller Erfolgserlebnisse macht sich derzeit Katerstimmung auf Tinder, Bumble und Co breit. Menschen fühlen sich als Ware behandelt, technische Rahmenbedingungen scheinen sich in den letzten Jahren eher verschlechtert zu haben, und Studien zeigen, dass allein die Minderheit überattraktiver Menschen Chancen bei diesem Datingkonzept hat.

Suche nach der großen Liebe

Das Konzept ist eigentlich genial. Ein paar Bilder hochladen, Eckdaten zur eigenen Person ergänzen und dann mit einfachen Wischbewegungen den Traumpartner oder die Traumpartnerin finden. Mit diesem Versprechen ging Tinder 2012 an den Start, kurze Zeit später Mitbewerber wie Bumble oder Hinge und noch viele mehr.

Im Vorjahr veröffentlichte passend dazu die ebenfalls auf Onlinepartnerschaften spezialisierte Plattform Parship eine Studie, die zeigte, dass mittlerweile jeder zweite Single eine potenzielle Partnerin oder eine Bekanntschaft im Internet sucht. Zum Vergleich: Im eigenen Freundeskreis findet nur noch jeder Fünfte eine solche kurz- oder längerfristige Beziehung.

Die Suche nach der großen oder zumindest einer kleinen Liebe hat sich – wie so viele andere Dinge – ins Netz verlegt, wo man als Suchender nun von Onlineplattformen abhängig ist, die vor allem von der Monetarisierung und dem Misserfolg der Kundinnen und Kunden leben. Wer fündig wird, deinstalliert die App voraussichtlich. Wer weitersucht, wirft weiter Geld ein.

Attraktivität ist ausschlaggebend

Viele der Apps haben mittlerweile ein Abo-Modell oder eine In-App-Währung, mit der man diverse "Boosts" kaufen kann, um besser gesehen zu werden. Anders ist es nämlich kaum mehr möglich, in Suchen aufzuscheinen, vor allem, wenn man männlich ist und nicht aussieht wie Henry Cavill. Letzteres bestätigten im Vorjahr mehrere Studien.

Weder passende Interessen noch geografische Nähe waren ausschlaggebend für die Partnervorschläge, sondern die generelle Beliebtheit. Übersetzt heißt das, die Chance, vom Algorithmus der Plattform empfohlen zu werden, steigt signifikant, je höher der durchschnittliche Attraktivitätswert der jeweiligen Person ist, was in Form von "Empfehlungen" anderer User ermittelt wird.

Frustration statt Liebesglück

Wohl auch deshalb ist die Stimmung gegenüber Tinder und Co trotz der breiten Verwendung in den letzten Monaten in offene Frustration gekippt. Sieht man sich auf Austauschplattformen wie Reddit um oder auch bei den Rezensionen der Apps im App Store, häufen sich Negativmeldungen in einer noch nie dagewesenen Fülle.

Vor allem das aggressive Bezahlmodell wird etwa bei Tinder oftmals als Grund genannt, die App wieder verlassen zu wollen. Speziell Männer beschweren sich, dass sie kein "Match" bekommen. "Außer Depressionen und einem leeren Konto erreicht Mann hier nichts", schreibt ein Kunde in den Rezensionen unter viele gleichlautende Kommentare. 20 Prozent der Nutzer erhalten 100 Prozent der Aufmerksamkeit, wurde im Vorjahr statistisch erhoben, der Rest geht leer aus. Des einen Freud ist der vielen Leid.

Speed-Dating-Revival

Viele Menschen suchen aufgrund der immer stärker werdenden Monetarisierung der Dating-Apps die Flucht bei KI-Chatbots, sogenannten Girlfriend-Apps. Die dazugehörigen Anwendungen boomen derzeit und bieten zumindest Chats, wo die Grenzen von vornherein klar und positive Antworten keine Seltenheit sind.

Auch reale Treffen sind zumindest in den USA als Speed-Dating-Revival zu erkennen. Tinder und Co wollen hier natürlich gegenlenken. Im August 2023 verkündet die Match Group, der mehrere Dating-Apps gehören, dass man künftig ebenfalls auf KI setzen möchte. Digitale Menschen seien kein Ersatz für echte Beziehungen, weshalb man Künstliche Intelligenz dazu nutzen möchte, die bestehenden Algorithmen zu verbessern und etwa bei der Bildauswahl zu helfen.

Das Unglück anderer bleibt also weiterhin ein breites Feld, das Firmen und Unternehmen mit den unterschiedlichsten Plattformen monetarisieren möchten. Wem das alles zu anstrengend klingt, der sollte sein Glück in Sachen Dating vielleicht doch wieder einmal in einer Bar probieren. Vielleicht findet man eine zweite Person, die ausnahmsweise nicht auf dem Smartphone nach dem perfekten Partner sucht, der dort wohl genauso schwierig zu finden ist wie im realen Leben. (Alexander Amon, 19.4.2024)