Vor rund einem Monat überraschte das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit einer erfreulichen Nachricht: Die Kindersterblichkeit ist weltweit seit dem Jahr 2000 um 51 Prozent gefallen, und seit dem Jahr 1990 sogar um 61 Prozent. Zwar ist die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren in manchen Entwicklungsländern noch immer viel zu hoch, in manchen afrikanischen Staaten beträgt sie mehr als zehn Prozent aller Lebendgeburten, aber gerade dort wurden in den vergangenen Jahrzehnten die größten Fortschritte erzielt.

Rückschritte durch Pandemie und Kriege

Auch bei anderen Indikatoren, die mit der Lebensqualität von Menschen in enger Verbindung stehen, gibt es zahlreiche positive Entwicklungen. Die Lebenserwartung ist fast überall in der Welt gestiegen, der Hunger ist zurückgegangen, die Alphabetisierung hat große Fortschritte gemacht. Mehr Menschen haben Zugang zu sauberem Wasser, zu medizinischer Versorgung, zu Bildung und zu Arbeit, die ihnen ein Einkommen gibt.

Nun hat es gerade in den vergangenen fünf Jahren schmerzhafte Rückschritte gegeben, oft verursacht oder verstärkt durch die Corona-Pandemie und zuletzt durch neue Kriege. Aber wenn man den Zeitraum von zumindest einer Generation, also von 30 Jahren oder mehr, betrachtet, entsteht ein anderes Bild: eines, in dem sehr wenig schlechter und vieles besser geworden ist – und das weltweit.

Mann geht an zerstörtem Panzer vorbei.
Der Gewalteinfluss ist im letzten Jahrhundert deutlich zurückgegangen, wobei vor allem der russische Überfall auf die Ukraine diese Bilanz wieder verschlechtert hat.
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Ära der größten Fortschritte

Ein Vergleich der Welt von heute mit der von 1994, 1984 oder 1974 fällt nüchtern betrachtet zum Großteil positiv aus. Anders als manchmal behauptet sind diese globalen Fortschritte nicht auf China und Ostasien beschränkt, sondern auch in vielen Staaten in Afrika, dem ärmsten Kontinent, zu spüren.

Diese Zahlen sind bekannt, aber sie werden selten berichtet und noch seltener geglaubt. Die Überzeugung, dass sich die Welt in eine schlechte Richtung entwickelt, ist weitverbreitet. Dafür werden gerne Globalisierung, Neoliberalismus und überhaupt der Kapitalismus verantwortlich gemacht und einzelne Beispiele gebracht, in denen Konzerne durch ihre Tätigkeiten Schaden anrichten. Ja, die gibt es, aber das ändert nichts daran, dass die Ära der größten Fortschritte in der menschlichen Entwicklung auch jene war, in der sich die Marktwirtschaft weltweit ausgebreitet hat.

Wie der prominente amerikanische Wissenschafter Steven Pinker in seinen Büchern darlegt, ist auch die Zahl der Opfer durch Gewalteinfluss, vor allem Kriege, im letzten Jahrhundert deutlich zurückgegangen, wobei vor allem der russische Überfall auf die Ukraine diese Bilanz wieder verschlechtert.

Auch bei der Entwicklung der Demokratien ist der Zeitrahmen entscheidend. In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl autoritärer Regime wieder gestiegen, aber es leben heute immer noch viel mehr Menschen unter einer demokratischen Regierung als etwa vor 1990. Das gilt vor allem für Osteuropa, aber auch für Lateinamerika und Teile Afrikas.

Wien Menschen an Donau im Sommer
Bis in die 1990er-Jahre war Wien eine graue, oft langweilige Stadt, Österreich durch den Eisernen Vorhang bis 1989 ziemlich isoliert.
APA/FLORIAN WIESER

Aber bei uns?

Okay, aber gilt das auch für Europa, gilt das für Österreich? War hierzulande nicht früher vieles besser, etwa in den goldenen Siebzigerjahren der Kreisky-Ära? War das Wohnen damals nicht billiger, das Gesundheitssystem besser, der Sozialstaat noch nicht abgebaut?

Auch diese gängige Meinung können die nüchternen Zahlen nicht belegen. Es stimmt, man zahlte damals niedrigere Mieten, aber der Wohnraum pro Person war auch kleiner. Und die Bassena-Wohnungen mit Toilette am Gang, die damals in Wien weitverbreitet waren, wären heute völlig inakzeptabel. Wer ein Eigenheim kaufen wollte, musste weniger Geld hinlegen, dafür waren die Zinsen bis in die 2000er-Jahre höher. Die Vorstellung, dass es einst so einfach war, Wohnungs- oder Hausbesitzer zu werden, ist falsch. Deshalb war auch der Eigenheimanteil geringer: 1979 betrug er 38 Prozent, 1987 42 Prozent, im Vorjahr bereits 48 Prozent.

Gestiegene Lebenserwartung

Die Qualität des Gesundheitswesens hat sich in den vergangenen 50 Jahren dramatisch verbessert, was sich in den Statistiken niederschlägt: Auch hierzulande ist die Lebenserwartung seit 1970 stark gestiegen, um 13 Jahre auf knapp 80 bei Männern und um zehn Jahre auf 83 bei Frauen. Sogar die in Österreich sehr niedrige Säuglingssterblichkeit ist im vergangenen Jahrzehnt weiter zurückgegangen.

Der Staat gibt heute deutlich mehr für Sozialleistungen aus, auch als Folge der gestiegenen Lebenserwartung. Die Pflegeleistungen von heute waren noch in den 1980er-Jahren unvorstellbar, aber auch weniger notwendig. Die staatlichen Pensionen waren im Vergleich zum Einkommen etwas großzügiger, aber die meisten Menschen waren kürzer in Pension. Unzählige staatliche Leistungen, die wir heute für selbstverständlich nehmen, sind erst nach und nach dazugekommen, wenige wurden gekürzt.

Nicht wirklich billiger

War das Leben nicht viel billiger? Nicht im Vergleich zum Einkommen. Nach dem Ölschock 1974 war das Tanken teurer als heute, und die alten Autos verbrauchten viel mehr Sprit. Lebensmittelpreise sind seit dem EU-Beitritt 1995 deutlich gesunken. Weniger Menschen konnten sich Urlaube leisten als heute, und Fliegen war ein Luxus. Praktisch alle industriellen Güter waren teurer, weil es keine Importe aus Billiglohnländern wie China gab. Bloß Dienstleistungen wie der Friseur oder die Gastronomie waren billiger, weil die Menschen hierzulande weniger verdienten.

Saurer Regen und Waldsterben

Viel mehr Menschen starben in den 1970er-Jahren im Straßenverkehr als heute, obwohl es viel weniger Autos gab. Auch der Alkoholkonsum ist seither stetig gesunken, und damit wahrscheinlich auch die Gewalt in der Familie. Letzteres aber scheint in den Statistiken nicht auf, weil früher solche Vorfälle kaum gemeldet wurden.

Wie sah es mit der Umwelt aus? Die Klimakrise war noch nicht ins Bewusstsein der Menschen vorgedrungen. Dafür fürchtete man den "sauren Regen" und das Waldsterben. Insgesamt war die Luftqualität schlechter als heute, waren die Gewässer schmutziger und die gesundheitlichen Folgen der Umweltschäden zwar weniger gut erforscht, aber umso stärker zu spüren. Zwar wird der Anstieg der Temperaturen für manche Menschen zunehmend zum Problem und könnte in den kommenden Jahren auch immer mehr Todesopfer fordern, aber noch liegen die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise in der Zukunft.

Frau auf Fahrrad mit Schäferhund.
Hierzulande ist die Lebenserwartung für Frauen seit 1970 um zehn Jahre auf 83 gestiegen.
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Früher Haider, heute Kickl

Wien war bis in die 1990er-Jahre eine graue, oft langweilige Stadt, Österreich durch den Eisernen Vorhang bis 1989 geografisch und wirtschaftlich ziemlich isoliert. Trotz mancher Jahre ohne Wachstum ist das Land über die Jahrzehnte wohlhabender geworden. Und davon haben nicht nur die Reichen, sondern auch die breite Bevölkerung profitiert.

Bis in die Mitte der 1980er-Jahre herrschten in der heimischen Politik etwas weniger Populismus und Demagogie als heute, dafür aber war das Land noch voller Menschen, die in ihrer Jugend Nazis gewesen waren. Rassismus versteckte sich nicht in Codes, sondern wurde offen ausgesprochen, und der Antisemitismus, der sich in der Waldheim-Affäre von 1986 zeigte, stellt den heutigen in den Schatten. Im gleichen Jahr trat Jörg Haider auf die Bühne, der ähnliche Hetzreden hielt wie heute Herbert Kickl – und bald ähnlich viele Wählerstimmen einsammelte.

Chancen für Frauen

Ach ja, und den STANDARD gibt es erst seit 1988, gegründet von Oscar Bronner als Reaktion auf die Xenophobie, die in der Waldheim-Zeit in den Medien sichtbar wurde.

Ob die Menschen früher glücklicher waren, bleibt dahingestellt. Familien waren stabiler, es gab weniger Scheidungen. Aber das lag auch daran, dass Frauen finanziell von ihren Ehemännern abhängiger waren und aus schlechten Ehen nicht herauskamen. Ihre Chancen am Arbeitsmarkt sind seither stark gestiegen, auch wenn die Einkommenskluft immer noch zu groß ist.

Und die Jugend?

Bleibt die Frage der jungen Generation, der es möglicherweise früher wirklich besser ging. Der Jobmarkt war überschaubarer und sicherer, es gab noch keine "Generation Praktikum". Wer ein abgeschlossenes Studium hatte, konnte sich eines guten Einkommens meist gewiss sein. Aber die Zahl der Studierenden an den Hochschulen war viel niedriger als heute und die Ausbildungsmöglichkeiten weniger vielfältig. Weder gab es wie heute die Fülle von FH-Lehrgängen und interdisziplinären Programmen noch Erasmus-Auslandssemester.

Die größten Änderungen im Leben junger Menschen brachten das Internet, die Smartphones und die sozialen Medien – und die sind mit Problemen verbunden. Während Menschen meiner Generation – Jahrgang 1963 – von den neuen Kommunikationstechnologien zumeist profitieren, gibt es Anzeichen dafür, dass zumindest die Jugend durch die völlige Digitalisierung des Lebens schwieriger geworden ist. Ob das Leben ohne Smartphones besser war, können Sie hier nachlesen. (Eric Frey, 26.4.2024)