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Washington - Eigentlich glaubten Biologen, den Werdegang einer Zelle schon recht weit ergründet zu haben. Doch jüngste Studien zeigen, dass die Forschung eine Klasse von Molekülen wegen ihrer (mangelnden) Größe übersehen hatte. Die "Small RNA" (Kleine Ribonukleinsäure) sitzt an überraschend vielen Schalthebeln der Zelle und kontrolliert das Verhalten von Genen, schreibt die Fachzeitschrift "Science" und ernennt die kleinen Moleküle in der letzten Ausgabe von 2002 zur wichtigsten Entdeckung des Jahres.

Für Biologen war Ribonukleinsäure (RNA/ribonucleic acid) viele Jahre nicht mehr als das ausführende Organ von Befehlen des Erbmaterials DNA bei der Protein-Produktion. Weit gefehlt, informierte "Sciencexpress", die Online-Ausgabe des renommierten Journals Forscher in aller Welt am 22. August und 5. September. "Small RNA" sorgt bei der Zellteilung für Ordnung unter dem Erbmaterial auf den einzelnen Chromosomen. Außerdem kann es Gene vorübergehend ein- und ausschalten und ungewollte Teile der DNA sogar für immer löschen, heißt es in "Science" vom Freitag.

Steuermolekül mit maßgeblicher Rolle

Damit könnte das Steuermolekül einmal eine maßgebliche Rolle in der Krebstherapie spielen. Darüber hinaus setzen Forscher in der Stammzellenforschung auf "Small RNA". Sie hoffen, dass sie ihnen eines Tages dabei hilft, aus noch undifferenzierten Stammzellen ganz spezifische Zelltypen zur Regeneration von krankem und erschlafftem Gewebe zu formen.

Außer dem kleinen Molekül feiert "Science" weitere neun Entdeckungen in den unterschiedlichsten Bereichen der Wissenschaft als "Durchbruch 2002". So wissen Forscher jetzt, dass die als Neutrinos bekannten aufgeladenen Teilchen auf dem Weg von der Sonne zur Erde nicht verloren gehen, sondern nur andere Zustände annehmen. Genomforschern gelang es, das Erbgut eines Reiskorns und das der Malaria übertragenen Mücke zu entschlüsseln. Diese genetische Einblicke sollen helfen, den Hunger in weiten Teilen der Welt zu stillen und die Menschheit von einer der verheerendsten Krankheiten zu befreien.

"Baby-Bilder"

Erste "Baby-Bilder" vom Universum unmittelbar nach dem Urknall sollen Licht auf dessen Vergangenheit und Zukunft werfen. Eine andere Studie offenbarte, warum scharfe Gewürze ein Brennen im Mund erzeugen und warum Pfefferminz den Gaumen kühlt. Ein neuer superschneller Film lässt nur noch Attosekunden - oder mit anderen Worten den milliardsten Teil einer Milliardstelsekunde zwischen einzelnen Bildern vergehen.

Eine bisher unbekannte Klasse lichtempfindlicher Zellen ist ausschlaggebend für die "innere Uhr" und könnte einmal den Jetlag oder die Winterdepression überwinden helfen. Eine neue Technologie, die den verwischenden Effekt der Erdatmosphäre unterdrückt, liefert überraschend scharfe Aufnahmen aus dem All. Dreidimensionale Bilder von der Zelle soll deren Mechanismen weiter aufdecken helfen.

Der Fund eines gut sechs Millionen Jahre alten Primatenschädels in Westafrika revidierte bisherige Theorien über die Ahnen des Menschen. Zum Thema Bioterror fand "Science", dass nicht die Forschung, sondern politische Entscheidungen die Vorbeugung auf eventuelle Anschläge in den USA verzögern.

"Überreaktion"

Als größten Fehlschlag des Jahres 2002 nennt das Journal das "Fehlverhalten" von zwei Physikern, darunter des Deutschen Hendrik Schön. Dieser hatte gezinkte Ergebnisse für zahlreiche Studien geliefert, deren Veröffentlichungen inzwischen zurückgezogen werden mussten.

Sorge bereitet dem "Science"-Herausgeber AAAS (American Association of the Advancement of Science), dass Washingtons neue Sicherheitspolitik es Forschern und Studenten aus dem Ausland erschwert, ein Visum für die USA zu bekommen und mit gefährlichen Krankheitserregern im Labor zu arbeiten. "Wir sollten nicht durch Überrektionen den Fortschritt der Forschung behindern", appelliert AAAS-Geschäftsführer Alan Leshner an die US-Regierung. (APA/dpa)