Die Fünfzig-Euro-Frage im Rahmen unseres Millionenquiz speziell für Kulturphilosophen und Essayisten: "Die USA und die Sowjetunion haben 1941-1945 Krieg gegen Hitlerdeutschland geführt. Der Präsident der USA hieß Franklin Delano Roosevelt, der Diktator der Sowjetunion Josef Stalin. Auf welchen der beiden Staatsmänner treffen folgende Charakterisierungen zu? A) Diktator auf Lebenszeit. B) Auf jeweils vier Jahre demokratisch gewählter Staatschef . C) Völkermörder, Betreiber von Vernichtungslagern für Millionen, Unterjocher von ganz Osteuropa. D) Befreier ganz Westeuropas von der Nazi-Herrschaft und ganz Ostasiens vom japanischen Terror?

Was das soll? Die Frage ist an sich berechtigt, aber wenn man den Beitrag des österreichischen Kulturphilosophen und Essayisten Konrad Paul Liessmann im STANDARD vom 11. Februar liest, dann erscheint es notwendig, Zeitgeschichtsunterricht für österreichische Philosophen zu geben. Liessmann ist gegen das Vorgehen der Regierung Bush im Irak. Gut, das sind mit unterschiedlichen Argumenten und Motivationen nicht wenige. Aber Liessmann möchte den USA überhaupt die historische Legitimation als demokratische Macht absprechen. Man solle doch nicht immer sagen, wir Europäer müssten den Amerikanern dankbar für die Befreiung vom Faschismus sein: "Wäre dieses Argument triftig - wo war dann unsere Solidarität mit der UdSSR in Afghanistan oder angesichts ihres Zerfalls? Haben wir so schnell vergessen, was die Rote Armee zu unserer Befreiung vom Faschismus beigetragen hat?"

Das ist ein neuer Höhepunkt des Revisionismus. Muss man wirklich auf eine solche platte Absurdität eingehen? Man muss. Also: Die USA waren (und sind) ein demokratisches Land, die Sowjetunion war damals eine furchtbare Diktatur, die Millionen der eigenen Bevölkerung umgebracht hatte. Die Sowjetunion Stalins war allerdings von Hitler in seinem großen Lebensraum-und Judenvernichtungsplan angegriffen worden und trug schließlich entscheidend zur Niederlage Hitler-Deutschlands bei. "Befreit" hat die Rote Armee Osteuropa, große Teile Deutschlands und Österreichs zwar unleugbar in dem Sinn, dass sie die völkermordende Nazi-Diktatur in diesem Teil Europas beendete. Aber es war nicht die Absicht Stalins, demokratische Freiheit und Achtung der Menschenrechte dorthin zu bringen, sondern seine eigene Diktatur, die in ihrer Ausprägung graduell etwas weniger furchtbar, aber immer noch schlimm genug war, zu errichten. Was ihm in Osteuropa und in Ostdeutschland auch für Jahrzehnte gelang.

Roosevelt hingegen erkannte ziemlich früh (1937), dass die USA als "Arsenal der Demokratie" letztendlich auf die aggressiven Kräfte des Nationalsozialismus und des japanischen Militarismus reagieren würden müssen, obwohl sie selbst noch nicht bedroht waren und die amerikanische Bevölkerung keine Verwicklung wollte. Erst als die Japaner 1941 Pearl Harbor angriffen (und Hitler darauf den USA den Krieg erklärte), war ein Krieg gegen diese Doppelbedrohung möglich. Als der gewonnen war, schützten Roosevelt Nachfolger den nicht von der Roten Armee besetzten Teil Europas vor dem sowjetischen Zugriff; Österreich bekam seine volle Freiheit als Sonderfall, weil Stalins Nachfolger ein Entspannungssignal geben wollten.

Kann man von einem österreichischen Kulturphilosophen und Essayisten verlangen, den Unterschied zwischen der Demokratie USA und ihrem echten Befreiungskrieg sowie der Sowjetdiktatur und ihrem "Befreiungs"krieg zu erkennen? (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 14.2.2003)