Darren Hayman & The Secondary Modern: "Pram Town" (Wohnzimmer/Hoanzl 2009) erscheint am 30. Jänner.

Coverfoto: Wohnzimmer

Three old lesbians lying in a bed, the fat one rolled over and the little one said: I'm tired of being squeezed out of this relationship. I need a little room to grow. - Ok, ist vielleicht nicht ganz fair, das an den Anfang zu stellen, aber immerhin hat Darren Hayman den unweigerlichen Hinhörer selbst als Songeinleitung ("Room to Grow") verwendet. Und es ist ein gutes Beispiel für die Bilder, mit denen er das Generalthema seiner "Folk Opera" illustriert: Das Enge-Gefühl im kleinen, über die Jahre ein wenig schäbig gewordenen Glück.

"Pram Town" ist das - je nach Wertung der Veröffentlichungen - vierte bis sechste Album Haymans, seit seine ehemalige Band Hefner 2002 in den Winterschlaf gegangen ist; allen Anzeichen und Aussagen nach einen permanenten. Ein paar wiederkehrende Charaktere ziehen sich als roter Faden durch die 14 Stücke. Amy und Rachel etwa, die mit ihrem Mix von R'n'B und Death Metal zur besten Band der Stadt werden, wenn auch nie berühmt. Die Möglichkeiten vor Ort sind begrenzt, aber immerhin: They were the best band to get on the stage at an all-day gig for the underaged. Der eigentliche Hauptdarsteller aber ist die "Kinderwagenstadt" selbst: Harlow, ein 78.000 Einwohner umfassendes Städtchen in Haymans heimatlicher Grafschaft Essex nordöstlich von London. Zugleich steht Harlow symbolisch für all die Städte in England, die mit dem New Towns Act von 1946 aus dem Boden gestampft wurden, um eine neue Lebensqualität abseits der grauen Metropolen zu schaffen: Bläsersätze beschwören im Album-Intro "Civic Pride" eine Anmutung von Nachkriegseleganz herauf - das Instrumental enthält auch ein Reklame-Sample: Let's move into the country! Damals, als alles noch gut zu werden schien.

Darren Hayman: "Pram Town" 

Doch die Träume der einen Generation sind bekanntlich die Albträume der nächsten, und Jahrzehnte später ist der Lack ab. "High Rise Towers in Medium Size Towns" antwortet gegen Ende des Albums auf das erste Stück mit einem weiteren Wochenschau-Fragment, dem die aktuelle Bilanz gegenüber steht: Geschäfte machen zu, im Gemeindezentrum ist ein Nachtclub eingezogen und die Skulpurengruppen im Park reißen's auch nicht mehr raus. Life here got way too brown in der perfekt designten Kleinstadt, deren Herz nie wirklich zum Schlagen gebracht werden konnte: Melancholisch bedudelt von einem Folk-Orchester, das sich aus Mitgliedern von The Wave Pictues, Ellis Island Sound und Smile Down Upon Us zusammensetzt. Darren Hayman mit eingerechnet, ist das Ensemble nicht weniger als 14 Mann hoch. Schlichtweg unüberblickbar das eingesetzte Instrumentarium: Nahezu alles, was Saiten, ein Mundstück oder einen schlagbereiten Klangkörper hat, ist vertreten - ergänzt um eine bemerkenswert umfangreiche Batterie an analogen Synthesizern. Bei den Aufnahme-Sessions muss der Parkplatz vor dem Studio jedenfalls ziemlich zugestellt gewesen sein.

Trotzdem ist "Pram Town" weit von jeder pompösen Beschallung entfernt: Zumeist geben Gitarre und/oder Mandoline, Banjo oder auch Ukulele den Ton an, der Rest fügt sich dezent in freie Nischen ein und schwingt sich - wie bei "Fire Stairs" - höchstens im zweiten Songteil zum Orchestersound auf. Damit bleibt die Folk-Stimmung gewahrt, streckenweise lässt "Pram Town" sogar Country-Anflüge erkennen (etwa im Walzer "Out Of My League"): Warum auch nicht, auch auf der anderen Seite des Atlantiks begann nach dem Zweiten Weltkrieg der große Traum vom Hybrid-Leben zwischen Stadt und Land.

"How could you live anywhere else?"

"Pram Town" weist in seinem Konzept große Ähnlichkeiten mit Saint Etiennes "Tales from Turnpike House" auf, das anhand der Lebensgeschichten in einem fiktiven Wohnblock eine nicht minder melancholische Chronik des späten 20. Jahrhunderts erstellte. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Alben, vom Sound einmal abgesehen, ist der, dass Hayman weniger auf Distanz bleibt. So ist die Geschichte Harlows mit der von Haymans Alter Ego verwoben, das als Ich-Erzähler vom jugendlichen Erstellen von Kassetten-Kompilationen bis zur "Was tu ich hier eigentlich noch?"-Krise in späteren Jahren alle Höhe- und Tiefpunkte des Lebens und Liebens in einer Kleinstadt kennenlernt. - Hayman selbst hat seine Heimatstadt (die nicht Harlow war) längst verlassen, sein fiktiver Zwilling wird ihm erst im wunderbaren Schlusstück folgen: Don't want to be a big fish in a little pond anymore.

Es ist der 18. Jänner: Hoch an der Zeit, dass der erste Kandidat für die Jahrescharts 2009 auftauchte. Hier ist er. (Josefson)