Foto: Lukas Kapeller

Empfang des Bundeskanzlers: Die ÖBB-Arbeiter schauen zunächst verdutzt drein

Foto: Lukas Kapeller

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: ROBERT JAEGER, APA

Der strahlende Regierungschef bei der Kontaktaufnahme mit der Basis

Foto: ROBERT JAEGER, APA

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: ROBERT JAEGER, APA

Beim Probesitzen im neuen "Railjet": "Gemütlich", sagt Faymann - trotz Medienbelagerung

Foto: ROBERT JAEGER, APA

Uwe Schrodt bleibt lieber in seinem Wagon. "Voll blunzn" sei ihm, was heute passiert, sagt der Schweißer mit der braunen Lederhaube und dem Dreitage-Bart. Draußen in der Fabrikshalle bauen Kameraleute ihre Stative auf, Fotografen schlendern auf und ab. Es ist das Objekt 14 der ÖBB-Werkstätte in Simmering, eine der Hallen, wo die Staatsbahnen ihre Züge bauen und reparieren. Um die Kameras stehen Journalisten herum und haken Listen ab, auf denen die Namen von SPÖ-Ministern stehen. Alle kommen sie: Bundeskanzler Werner Faymann und die rote Regierungsmannschaft im Schlepptau. "Wir dürfen da heut' eh nix sagen", glaubt Schweißer Schrodt. "Wen interessiert'n das? Keinen Menschen", sagt ein Vorarbeiter im Vorbeigehen.

Dabei ist die SPÖ-Spitze laut eigener Aussendung doch gerade unterwegs zu „den Menschen und ihren Sorgen". Laura Rudas, die junge Bundesgeschäftsführerin, kommt als erste herein, gefolgt von Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Es ist halb acht morgens, draußen nieselt es auf das Fabriksdach. Es kommen die Minister Stöger und Heinisch-Hosek, dann der zweite Geschäftsführer Kräuter. Auf dem Weg hierher sind sie an den Gemeindebauten des 11. Bezirks vorbeigefahren, an bräunlichen Fassaden, zwischen denen hin und wieder ein Supermarkt, ein China-Restaurant, manchmal auch eine Moschee steht. Hier vermutet die SPÖ also ihre Basis.

Arbeiter warten in der Ecke ab

Die Minister reden mit den Pressesprechern, mit ihren eigenen und denen der ÖBB. 20, 30 Arbeiter stehen in der Ecke der Halle, abwartend, zögernd. Die Kameras warten auf Faymann, aber vorbei kommt nur ein Arbeiter mit seinem Frühstück. "Was soll ma ihm sagen, ein bissl mehr Geld vielleicht. Aber meine Arbeit muss ich jetzt trotzdem machen", sagt der Mann mit dem Sportkapperl und geht weiter. Seine Kollegen stehen in ihren blauen Hosen im Eck und schauen verdutzt drein. Sie scheinen nervös, manche wissen nicht recht, was sie mit ihren Händen tun sollen. Heinisch-Hosek und Stöger wagen sich als erste vor, Hundstorfer sowieso. Der Gewerkschafter weiß, wie man mit den Leuten redet, es sind ja "seine". Eine Gruppe Arbeiter bringt er zum Lachen, vielleicht macht er Witze über die Kameraleute. Die ÖBB-Männer sind verunsichert, sie brauchen jetzt einen Verbündeten.

Heinisch-Hosek schüttelt Hände. "Wie lange arbeitet's ihr da", "wie viele Lehrlinge seid's ihr", fragt sie, immer auf der Suche nach Gemeinsamkeiten. "Ich wohn' in Niederösterreich", sagt einer. "Ich auch", sagt Heinisch-Hosek. "Gänserndorf", sagt er. "Mödling", sagt sie. Gespräch zu Ende. Stöger gibt sich Mühe, bleibt wie Hundstorfer länger vorne. Staatssekretär Schieder schüttelt drei Hände und stellt sich wieder zu den Leuten in den schwarzen Anzügen zurück. Bildungsministerin Claudia Schmied steht die ganze Zeit dort hinten, die Hände gefaltet. Sie kann mit der Bühne hier nicht viel anfangen, nicht so wie Hundstorfer und auch Faymann, der immer noch nicht da ist.

Simmering und die Wall Street

Um 7.40 Uhr kommt der Kanzler. Man sieht ihn nicht, man ahnt ihn nur, denn die Menschen haben sich augenblicklich um ihn geschart. Nicht die Arbeiter freilich, sondern die Kamerateams, die Fotografen, die Pressesprecher. Er begrüßt seine Ministerinnen. Kampflächeln, Kampfbussis. Als er das Podium betritt, hat er noch keinem Arbeiter die Hand geschüttelt. Er sei "wahnsinnig gern da", sagt er. 100 Tage Regierung, da will er "nicht in irgendeinem Raum einen Sekt trinken gehen, wo wir unter uns sind". Er sagt Sätze wie: Die Arbeiter dürften "nicht ausbaden, was andere an der Wall Street falsch gemacht haben". Der frühere Verkehrsminister hat hier ein Heimspiel; er weiß, was ankommt, wie man auf der sicheren Seite bleibt. "Die Krise kann man nicht wegwischen wie mit einem Schwamm", warnt er. Das leuchtet allen ein.

Er hält keine große Rede, das wolle er auch nicht, sagt Faymann. Nach fünf Minuten ist Schluss. "So, jetzt können wir wieder hackeln gehen", sagt ein Arbeiter, seine Kollegen lachen. Die meisten der rund 500 Arbeiter haben nicht mit ihm geredet, auch mit keinem Minister. Kein Dank, kein Wunsch? „Wofür soll ich mich bedanken", sagt Schweißer Uwe Schrodt trotzig, „dafür, dass ich bis 65 arbeiten darf?" Er schweißt hier jetzt seit 21 Jahren, seit er 15 ist. Dafür bekommt er 1.400 Euro netto, „aber es wird nimmer viel mehr. Seit Jahren krieg' ich fast dasselbe." Bei Faymann will er das nicht deponieren. „Ich bin hier schon beschäftigt", sagt er und verkriecht sich in den Wagon, den er gerade wartet.

"Guten Morgen, alles Gute"

Faymann startet derweil seine Runde durch den Betrieb. In der Halle bleiben Arbeiter zurück, die mit Arbeitern plaudern. Hundstorfer unterhält sich mit Schieder. Die Kamerateams, Fotografen, Journalisten hetzen Faymann hinterher wie eine jagende Meute. Es geht vorbei an halbfertigen Wagons, an Fließbändern und Gabelstaplern, immer dem Kanzler nach. Wenn der stehen bleibt oder einschwenkt, um eine Hand zu schütteln, fallen die Medienleute wie Dominosteine hinterher. "Jetzt wasch' ich mir drei Tage nimmer die Hand", sagt einer der handgeschüttelten Hackler und lacht. Faymann stellt allen Mitarbeitern Fragen: "Wie lange schon...", "Wie viel...", "Wie neu...". Er beginnt immer mit „Guten Morgen", eine Minute später gibt er ihnen ein „Alles Gute" mit auf den Weg. Im Grunde bleibt ihm keine Wahl. Je schöner das Motiv, desto schneller auch die Blitzlichter: Faymann im Wagon, Faymann im Sessel, Faymann hört Arbeiter zu. Die SPÖ hat eine Story zu verschenken, und die Medien nehmen sie gerne.

Hinter dem lächelnden Kanzler trotten Darabos und Rudas hinterher, dann Kräuter und Heinisch-Hosek, ganz hinten Doris Bures. Ein ÖBB-Mitarbeiter erklärt Rudas das Prunkstück der Werkstatt, den neuen „Railjet". Der sei „wie ein Flugzeug konzipiert: mit drei Sitzkategorien". Rudas überlegt kurz, dann sagt sie zu ihm: „Ich fahre gern mit dem Zug." Die Arbeiter stehen an ihren Bändern und Geräten und beobachten meist teilnahmslos die Show. Nur zweimal bitten Arbeiter, ihre Digitalkameras in der Hand, den Kanzler um ein persönliches Foto. Ein anderer kommt sogar auf Faymann direkt zu: „Ich freue mich sehr, dass Sie da sind". Die meisten geben sich gleichgültig. „Arbeiten müss' ma trotzdem, egal ob die da sind", sagt einer.

Nächster Termin

Faymanns Mitarbeiter haben schon den nächsten Termin im Kopf. Es ist jetzt 8.30 Uhr, ab ins Parlament. In der Fabrikshalle bittet ein Fernsehteam den Kanzler noch schnell zum Interview. Was er zur Krise, zur Konjunktur und zu den Lehrern sage? Es geht jetzt nicht mehr um die Arbeiter in der ÖBB-Werkstätte Simmering. Das ging es irgendwie nie. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 11.3.2009)