A Camp: "Colonia" (Reveal Records/Import 2009)

Coverfoto: Reveal Records

Ein Album, das eine Reihe Fragen aufwirft – und die allererste, ganz vorne lauernde lautet: Was zum Geier hat das mit Adam & the Ants zu tun??? Die Antwort ist einfach: nichts nichts nichts. Und dass die Frage überhaupt im Raum steht, liegt simpel daran, dass Nina Persson schon lange vor der Entstehung ihres zweiten A Camp-Albums A&A als Einflussquelle nannte – das tut sie heute übrigens immer noch und legt sogar noch Grace Jones (ebenfalls überraschend, ebenfalls nicht rauszuhören) und ganz generell New Wave obendrauf.

... wäre auch irgendwie ein gewaltiger Soundwechsel gewesen, immerhin wurde fürs erste, selbstbetitelte, A Camp-Album doch das Emblem "Eurocountry" geprägt: Acht Jahre liegt das mitterweile zurück, aber begnadete Schmachtfetzen wie "The Bluest Eyes in Texas" oder "I can buy you" klingen immer noch nach. "Colonia" schließt wesentlich organischer an den "Vorgänger" an, als die Ankündigungen vermuten ließen, und klingt einmal mehr sehr amerikanisch – allerdings überhaupt nicht mehr nach Landleben, sondern nach dem Big Apple, in dem die Schwedin mittlerweile lebt. Und es ist nicht das New York unserer Tage, es ist das des einstigen Songwriting-Adels von Carole King über Marvin Hamlisch bis Phil Spector. So viel Liebe zum klassischen Arrangement und Balancegefühl hört man selten dieser Tage: Lohnt sich gar nicht, das Piano hier oder das Streicherarrangement da extra herauszugreifen – alles kommt genau dann, wenn es am besten respektive wirkungsvollsten ist. Dramatische Steigerung – jetzt den Chor bitte – noch etwas emphatischer – Zeit für die Hörner. Kein Wunder, dass die 11 Songs auf "Colonia" vollendet geformt wirken und dennoch schimmern.

Ibland anar man rentav ett vibrato!

Eine CD zum zweiten Mal einlegen und dann mitzählen, wie viele Songs man vom ersten Mal noch im Ohr hat, lässt Aufschlüsse zu, wie's mit der Qualität in Sachen melodischen Aufbaus steht. Bis 8 bin ich hier in einem Rutsch durchgekommen – eine selten erreichte Quote. Nina Persson, Ehemann Nathan Larson und Dritter im Bunde Niclas Frisk, mitterweile zu einer veritablen Band zusammengewachsen, schreiben die Songs im Kollektiv und leisten dabei Beachtliches. Nina indes gibt den weiblichen Crooner mit der bislang besten Sangesleistung ihrer Karriere. "Manchmal ahnt man geradezu ein Vibrato!" frohlockte ein schwedisches Kulturmagazin. Und das war auch nur zur Hälfte ironisch gemeint.

Dass Nina Persson nicht die ausdrucksstärkste Stimme im Pop-Business hat, ist eh ein alter Hut. Genauso wie die Gewissheit, dass das keine Rolle spielt: Als augenblicklich Wiedererkennbare hat sie offensichtlich eine Stimme mit Charakter – was sich nicht trainieren lässt und worauf es letztlich ankommt. Das schiere Gegenteil – perfekte Technik und null Seele – gibt's schließlich auch, wird unter der Marke Mariah Carey vermarktet und ist die Scheußlichkeit in den Nüstern Gottes.

Die Entstehungsgeschichte zu "Colonia" verlief exakt parallel zu der des Debütalbums 2001: The Cardigans sind in eine Schaffenspause gegangen (und diesmal ist es fraglicher als damals, ob sie wieder daraus hervorkommen werden), Nina legte vermehrt Auftritte als Gastsängerin hin (diesmal unter anderem bei Florian Horwath und den Manic Street Preachers) und widmete sich schließlich ihrem zweiten Bandprojekt ... das künftig vielleicht zum ersten wird. Das alles durchziehende Gefühl von ich-bin-jetzt-genau-da-wo-ich-hinwollte ist auf "Colonia" jedenfalls unverkennbar und verleiht dem Album seine Atmosphäre von Abgeklärtheit und totaler Gelassenheit, in die sich die illustre Gästerunde bereitwillig einfügt: An der Gitarre stehen Ex-Smashing Pumpkin James Iha und Mark Linkous von Sparklehorse, die Streichinstrumente bearbeitet Joan (As A Policewoman) Wasser, im Background-Chor ist Anna Ternheim zu hören – und Fellow Swede Nicolai Dunger gesellt sich zu Nina im Duett "Golden Teeth and Silver Medals". Madame hat gerufen, und alle sind sie gekommen.

Die Wandlungen der Frau Persson über die Jahre hinweg waren wahrlich beachtlich: Von der plüschigen Piepsmaus der Cardigans I – Easy Listening-Phase – über die mähnenschüttelnde Beinahe-Rockerbraut der Cardigans II bis zu dem hier: Einer reifen Sängerin, die entspannt auf einem Barhocker Platz nimmt und vom Umzug nach Amerika singt (poetisch verschlüsselt; "Here are many wild animals"), von der Ehe mit Nathan (konkret; "I signed the Line") und wie sich das eine mit dem anderen verband: Hey rockstar! Your're my America. Und natürlich von der Liebe im allgemeinen: You know that love can do you like a shotgun – genauso martialisch wie einstens bei "You're the Storm". Oder davon, dass "Chinatown" nicht einfach nur ein Stadtteil ist, sondern ein Geisteszustand. Wusstet ihr, dass man den doppelten Preis zahlt, wenn man dem Verkäufer in die Augen sieht? Don't ask why, 'cause this is Chinatown, und davon sing ich euch jetzt ein Lied.

"Colonia": Ein Album aus der Kategorie Dinge, die die Welt eigentlich nicht braucht – aber echt schön, dass es sie gibt. (Josefson)