Für Charles Darwin war Alexander von Humboldt (1769-1859) "der größte reisende Wissenschafter, der jemals gelebt hat".

Bild: Joseph Stieler

Seine sechsjährige Forschungsreise durch Südamerika und seine Kosmos-Vorträge machten ihn zum wissenschaftlichen Popstar des 19. Jahrhunderts.

* * *

In seiner Autobiografie erinnert sich Charles Darwin an seine Begegnung mit dem "berühmten Humboldt". "Ein wenig enttäuschte mich der große Mann, aber meine Erwartungen waren wohl zu hoch geschraubt." Vielleicht konnte der leibhaftige Alexander von Humboldt, obwohl er ein glänzender Unterhalter war, gar nicht an sein eigenes Image heranreichen.

Humboldts grandiose Beschreibungen würden für immer unerreichbar bleiben, schrieb Darwin an anderer Stelle. Ohne sein großes deutsches Vorbild hätte der Engländer wohl nie seine eigene Weltreise angetreten, sondern wäre ein Käfer sammelnder Landgeistlicher geworden, mutmaßen die Darwin-Biografen.

Seinen Ruf als "der größte reisende Wissenschafter, der jemals gelebt hat" (Darwin), erwarb sich Humboldt aufgrund seiner fünfjährigen Expedition (1799 bis 1804) durchs heutige Venezuela, Peru, Kolumbien, Ecuador, Mexiko und Kuba, die damals noch Teil des spanischen Weltreiches waren.

Legendär ist seine fast dreimonatige Flussfahrt durch den Regenwald in einem ausgehöhlten Baumstamm, beladen mit Käfigen voller Vögel und Affen. Während sein Mitreisender Aimé Bonpland beinahe dem tropischen Fieber erlag, blühte Humboldt im feuchtschwülen Klima geradezu auf. Weder die Malaria noch Insekten, die sich unter der Haut einnisteten, konnten ihm etwas anhaben.

Im Juni 1802 waren sie nahe daran, den 6310 Meter hohen Chimborazo zu bezwingen, den man damals für den höchsten Berg der Welt hielt. Einige hundert Meter vor dem Gipfel mussten sie aufgeben. Immerhin sprang eine erste genaue Beschreibung der Symptome der Höhenkrankheit heraus: blutende Lippen und Zahnfleisch, Schwindel und Brechreiz.

Mehr als ein Faktensammler

Bis an die Zähne bewaffnet mit Dutzenden der modernsten Instrumente, erhob Humboldt geografische Position, Höhe und Neigung vieler Landstriche (etwa das erste Profil Mexikos), sowie Daten en masse zur Meteorologie, Luftqualität, Erdmagnetismus und Elektrizität.

Er war aber weit mehr als ein akribischer Sammler von Fakten. Humboldt interessierte sich vor allem auch dafür, wie alles zusammenhing. Mit seinen Wetterdaten zeichnete er als einer der ersten isothermische Karten. Durch die Zusammenschau von Geologie, Flora und Fauna suchte er Vegetationszonen zu identifizieren und gilt daher als einer der Begründer der Biogeografie.

Immer wieder wurde er als Apostel der Interdisziplinarität gepriesen, dem es um den Blick aufs große Ganze ging. Die Hochkultur der Inkas und der Schamanismus der Eingeborenen interessierten ihn genauso wie Vulkane und Meteoritenschwärme. Die Anwendbarkeit von Wissen spielte für den ausgewiesenen Bergbauexperten ebenso eine Rolle: Humboldt besuchte zahlreiche Minen, empfahl erfolgreich Guano als Düngemittel und erarbeitete Bevölkerungsstatistiken.

Nach seiner Rückkehr nach Europa verbrachte er gut zwei Jahrzehnte mit der Auswertung seiner Expedition. Stattliche 30 Bände umfasste die ganz auf Französisch verfasste Beschreibung der Reise, den Druck finanzierte er aus eigener Tasche, das elterliche Vermögen war damit endgültig aufgebraucht.

Humboldt lebte teils in Paris, teils in Berlin, zwischen Neigung und Pflicht. Die französische Hauptstadt war das Zentrum der gelehrten Welt, von dem aus Humboldt sein Beziehungsnetz spannte. Als Kammerherr des preußischen Königs wurde ihm so manche diplomatische Mission angetragen. Er, der preußische Adlige, bezeichnete sich als "alten tricoloren Lappen", also als Anhänger der Französischen Revolution und deren dreifarbiger Fahne. Als liberaler und demokratisch gesinnter Geist fühlte er sich im preußischen Hofdienst deplatziert.

In der Berliner Sing-Akademie hielt er vor tausenden von Zuhörern 1827/28 seine berühmten Kosmos-Vorlesungen, die als Meilenstein in der Geschichte der Wissenschaftspopularisierung gelten. 1829 begab er sich als Sechzigjähriger nochmals auf eine Expedition. Im Auftrag des russischen Zaren reiste er von St. Petersburg über den Ural durch Sibirien bis an die chinesische Grenze und zurück über das Kaspische Meer.

In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich seinem Monumentalwerk Kosmos, das zu einem Best- und Longseller avancierte. Dieser (letztlich Fragment gebliebene) Versuch, die Einheit in der Vielheit der natürlichen Erscheinungen darzustellen, wurde freilich stets mehr gepriesen als gelesen.

Superstar des Jahrhunderts

Alexander von Humboldt war ein Superstar des 19. Jahrhunderts, auch weil sich die unterschiedlichsten Charaktere auf ihn beriefen. Gekrönte Häupter in Berlin und St. Petersburg suchten sich mit seinen Lorbeeren zu bekränzen, Naturforscher wie Darwin und viele andere beteten ihn aufgrund der Universalität seines Wissens an, den Deutschen wurde er zum Lehrer der Natur schlechthin.

Die südamerikanischen Freiheitskämpfer wie etwa Simón Bolívar feierten Humboldt als zweiten Kolumbus und wahren Entdecker Amerikas. Jede zweite Wegkreuzung und Meeresströmung zwischen Feuerland und dem Rio Grande ist nach ihm benannt.

Und noch im 21. Jahrhundert, in Zeiten der Wirtschaftskrise und des Zauderns mit sich selbst, beruft man sich in Deutschland immer wieder auf Humboldt, auf seine polyglotte Weltgewandtheit, diese ganz und gar undeutsche Unbekümmertheit, den Mut, sich einfach einzuschiffen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Am 6. Mai 1859 starb Alexander von Humboldt fast neunzigjährig in Berlin. (Oliver Hochadel/STANDARD, Printausgabe, 6.5.2009)