Kein armer, schwarzer Kater: Kindergemälde aus Jarovnice

Kleine Meister im Atelier namens Schule

Foto: Christian Fischer

"Für mich ist es ein Wunder": Kunstlehrer Ján Sajko

 

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Spielplatz in der Romasiedlung

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Schultasche

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Wien war ein Schock: Assistenzlehrer Martin

Wien ist ihr Traum: Ingrida

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Das Baby schwebt wie ein Zeppelin durchs Bild. Sich selbst hat Jana, die große Schwester des Neugeborenen, ins linke untere Eck gemalt, gerade so groß wie einen Babyfinger. Eine verlorene Figur, die aus dem Bild herausschaut, als wollte sie wegschleichen, hinüber ins Nachbarbild mit den rosa Pferden und der blauen Katze.

Kunstlehrer Ján Sajko bewegt sich zur nächsten Malerei. "Sehen Sie sich das an. Österreichische Kinder malen Katzen grau und Pferde braun", sagt er, „aber Romakinder sind frei: Sie malen blaue Gesichter und grüne Nasen."

Jenseits von Afrika

Wir gehen durch die graugrauen Gänge der Romaschule in Jarovnice. Von den Wänden glotzen uns riesige, buntgemalte Gesichter an. "Die Westeuropäer fahren nach Afrika auf Entwicklungshilfe, kaufen traditionelle Kunst und finden das ganz super", sagt Sajko. "Aber so weit brauchten sie gar nicht zu fahren. Armut gibt es auch hier, und tolle Kunst auch."

Jarovnice liegt mitten in Europa. Hier schlafen die Kinder auf dem Fußboden, für die Notdurft gehen sie vors Haus. Die Stärkeren turnen auf Autowracks, die Kleineren riskieren Prügel, wenn sie ihnen zu nahe kommen. Sie gehen barfuß oder in viel zu großen Schuhen, packen ihre Hefte in ausgebleichte Plastiksackerl und machen sich auf den Schulweg.

Schichtwechsel

Vor dem Schuleingang ist die Hölle los. Vierhundert Kinder sind drauf und dran, sich gegenseitig zu zertrampeln. Zwei Aufseherinnen sorgen dafür, dass alle im Gänsemarsch die Schule betreten. Es ist Mittag und Schichtwechsel: Hier werden die Kinder in zwei Tranchen unterrichtet, eine morgens, eine nachmittags. Achthundert Kinder holen sich hier ihre Bildung und deren Eltern das Geld vom Bildungsscheck ab. Die finanziellen Zuckerl tun ihre Wirkung. Vom siebten bis zum 16. Lebensjahr bleiben sie hier. Vorausgesetzt, sie werden nicht vorher schwanger.

Keine Chance fürs Jausenbrot

"Es ist großes Glück, dass ich hier gelandet bin", sagt Ján Sajko, der während des Kunststudiums für ein Praktikum nach Jarovnice geschickt wurde. Damals war es noch keine reine Romaschule. Doch die wenigen Nichtroma hörten irgendwann auf, ihre Kinder hierher zu schicken. Jozef Bugna, der Schuldirektor, kann das nachvollziehen: „Packen Sie Ihren Kindern Jausenbrote ein", sagt er zur weißen Besucherin, „und ich garantiere Ihnen: Keinen Bissen werden sie davon abkriegen". Wer zuhause nichts hat, will sich wenigstens in der Schule für das große Bisschen Ungerechtigkeit rächen. Da trifft es die weißen Kinder eben oft als erstes.

Das Wunder

"Wo sie wohnen, ist alles trist und grau", sagt Jan Sajko. „Sie sehen nur Dreck und Staub und waren noch nie in einer Galerie. Und dann kommen sie in die Schule und malen in den schrillsten Farben - für mich ist das wie ein Wunder."

Die Begeisterung teilt Sajko inzwischen mit vielen. Deutschland, Schweden, USA - die Bilder waren bei unzähligen Ausstellungen vertreten. Neben dem Schuleingang hängt eine ganze Kaskade von Preisurkunden, die sie bei internationalen Junior-Kunstwettbewerben abgestaubt haben. "Die Jury wusste nie, dass es Romakinder sind, die das gemalt haben", betont Sajko. "Sie waren ganz einfach beeindruckt."

Schock in Wien

Doch immer wieder kamen die Bilder zurück, und nur wenige Kinder hatten die Chance bekommen, sie auf Reisen zu begleiten. Martin ist einer von ihnen. Mit 13 kam er für eine Ausstellung nach Wien. Was er dort erlebte, bezeichnet er heute noch als "Schock": Der Geruch dieser stinkreichen, unfassbar aufgeräumten Stadt blieb ihm mindestens so lange in der Nase wie der Fäkaliengestank den wenigen „Weißen", die sich in seine Siedlung verirren.

Am stärksten beeindruckte ihn, wie die Roma in Österreich leben. Martin traf Roma-Musiker, die mit ihrer Kunst sogar Geld verdienen. "Sie waren so selbstbewusst und stolz auf ihre Abstammung", schwärmt der 24-Jährige. Damals beschloss er, „auch etwas zu machen". Nun ist er Roma-Assistent an der Volksschule - und damit einer der ganz wenigen hier, die einen Job haben.

Zahltag

Heute ist Zahltag in Jarovnice, der größten dörflichen Roma-Siedlung in der Slowakei. Rund 3000 Menschen leben hier, fast alle beziehen Sozialhilfe. Im Geschäft stehen die Bewohner Schlange: Naschereien für die Kinder, Alkohol für die Erwachsenen, Aceton zum Schnüffeln für die Jugendlichen - investiert wird vor allem in käuflichen Zeitvertreib. Sajko trifft einen seiner Ex-Schüler, "ein richtiges Zeichentalent": Er verlässt den Laden gerade mit einer Flasche Schnaps. "Was soll ich machen", sagt er schulterzuckend. „Ich sitze da und warte, dass es Abend wird."

Nachwuchs bringt Geld

Wären die Roma nur weniger faul, hätten sie es besser, hetzen die Boulevardmedien. Würde man uns nicht diskriminieren, ginge es uns gut, verteidigen sich die Roma. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Stipendien für höhere Bildung bleiben liegen, weil die Eltern ihre Kinder zwingen, daheim zu bleiben: Je mehr Nachwuchs, desto mehr Sozialhilfe. Doch mit Grundschul-Zeugnis in der Tasche finden selbst "die Weißen", wie die Nicht-Roma hier heißen, nur schwer einen Job.

Rein gar nichts werde sich hier ändern, solange der Staat die Roma fürs Nichtstun bezahle, glaubt Sajko. Die Regierung sollte hier für Beschäftigung sorgen. Die Roma selbst tun es nicht: Wer nur ein bisschen mehr Ausbildung hat als der Rest, flieht in die Stadt. Kein Geld fließt in die Siedlung. Da das Grundstück den angrenzenden Bauern gehört und die Roma hier schwarz leben, investiert die Gemeinde auch nicht in Kanalisation.

Warten auf Kveta

„Ich warte", sagt Ingrida. Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt nimmt noch einen Zug von der selbstgedrehten Zigarette. Vor fünf Jahren hätte die 21-Jährige mit einer Bekannten nach Wien gehen können. Vor fünf Jahren war auch die Mutter schwerkrank, also blieb Ingrida hier. Inzwischen hat die Wiener Bekannte geheiratet, ihren neuen Nachnamen kennt Ingrida nicht. „Sie heißt Kveta. Wenn Sie sie treffen, richten Sie ihr schöne Grüße aus. Und sagen Sie, dass ich hier warte." In Wien würde sie zu arbeiten beginnen. Was ihr Traumberuf sei? Ingrida schaut, als wäre das die absurdeste Frage, die man ihr stellen könnte.

Dieselben Talente

Wer hier von besseren Zeiten träumt, ist verrückt oder stolzer Vater. „Mein Sohn wird einmal Arzt werden", sagt Peter, der selbst gerne Mediziner wäre. „Dann wird er alle Menschen gratis behandeln." „Wir haben dieselben Talente wie alle anderen Menschen", sagt eine Frau ohne Vorderzähne, und rundherum nicken alle. Warum es so schwer ist, diese Talente zu leben, wissen sie selbst nicht so genau. Der Alkohol hilft ihnen, nicht lange darüber nachdenken zu müssen.

Ján Sajko weiß, dass die meisten seiner Zeichentalente später genauso enden werden wie die vielen Dutzend vorher. „Wer glaubt, dass sich hier noch einmal etwas ändern wird, muss ein Träumer sein", sagt Sajko, am Weg zurück zum winzigen Schulatelier. „Ich bin ein Träumer." (Maria Sterkl, derStandard.at, 2. Juni 2009)