Zurück zur Natur: An der slowenischen Grenze ließen sich Claudia Plank (im Bild) und Hans Werner Poschauko eingraben.

Foto: Poschauko

Endstation Politik: Für die documenta X erweckte Lois Weinberger ein aufgegebenes Bahngleis zu neuem Pflanzenleben.

Foto: Weinberger

Wien - Nimm die Natur mit wie deine Wäsche oder deinen Pass: Die Aufforderung mag einem der Projekte zugrundeliegen, die der Künstler Lois Weinberger seit Jahren betreibt. Er packt Erde und Pflanzen, die unter widrigen Bedingungen wachsen können, in Plastiksäcke und transportiert sie an ferne Orte, nach Rom etwa, nach Löwen in Belgien oder nach Armenien.

Als Behälter dienen nicht zufällig auch billige Kunstfaserkoffer von der Art, wie sie Migranten zum Befördern ihrer Habseligkeiten nutzen. Pflanzen, will das bedeuten, sind auf Wanderschaft, sie verlassen die geordnete Welt der Beete und der farblichen Abstimmung.

Pflanzen sind lebendige Systeme, wörtlich oder als Metapher genommen, wissenschaftlich wie künstlerisch erhärtet. Das macht die Arbeit mit ihnen zu einer ständigen Auseinandersetzung. Der Drang, Ordnung zu schaffen und Nutzen zu stiften, steht dem Wunsch gegenüber, der Natur ihr Recht einzuräumen. Gärten sind dabei in der Rolle von Spielfeldern, auf denen dieser Konflikt ausgetragen wird.

Einerseits gelten Gärten ja als das Bodenständige schlechthin. Was in ihnen wächst, das schlägt Wurzeln, wird einem zur Scholle, zum sprichwörtlich Ortsgebundenen.

Doch anders besehen waren Gärten immer schon in Bewegung. Das beginnt bei der Wahl dessen, was wachsen soll, und die wird nicht nur vom Gärtner getroffen. "Die Samen fliegen und kommen an" , sagen Franziska und Lois Weinberger, "wohin der Wind sie weht oder die Vögel sie tragen." Was nicht passt, kann entweder gejätet und mit allen alten und neuen Mitteln bekämpft werden.

Oder man heißt es willkommen. Dann werden Beete wie Brachen zur Experimentierstationen für Neues, zu Eingriffen in versteinerte Verhältnisse. Die beiden Künstler etwa gossen im Niemandsland nahe dem Brandenburger Tor in Berlin, bald nach dem Mauerfall, die dort gedeihenden Ruderale, also eine Flora, die auf steinigem, denkbar ungeeignetem Terrain überleben kann. Auf dem ehemaligen Todesstreifen der Mauer häuften sie Maulwurfshügel.

Bei Brecht hieß es über die Vergänglichkeit: "Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind!" Und, lässt sich ergänzen, die Flora und Fauna, die sich um künstliche Grenzen nicht kümmern. Die gerade genannten Eingriffe verstärken nur, was sich sowieso abspielt, dass nämlich eine scheinbar chaotische, tatsächlich dem Überleben und Wachsen dienende Kraft sich Bahn schafft.

Laub und anderes auf Reisen

Manchmal schrammt diese Kraft so sehr an die von Menschen gemachten Grenzen, dass es funkt. So geschehen, um noch einmal auf die Arbeiten des Tiroler Prozesskünstler-Paares zurückzukommen, bei der documenta X in Kassel. Lois Weinberger entdeckte ein Bahngleis, stillgelegt, weil der Verkehr wegen der nahe gelegenen früheren DDR-Grenze zum Erliegen gekommen war. Lange Jahre sollen die Geleise und Schwellen mit Herbiziden vor unwillkommen wuchernden Pflanzen geschützt worden sein. Weinberger wollte das Gegenteil. Nicht nur bepflanzte er jede zugängliche Stelle, er suchte dafür auch Samen aus "Problemländern" aus, in denen tote Bahnsteige ebenfalls eine Rolle spielen (siehe Bild rechts).

Derartig "gebrauchsleere Orte" gehören scheinbar niemandem und damit allen. Ihre Renaturierung zu verfolgen, in sie auch einzugreifen und damit dem Niemandsland eine neue Identität zu geben war Ziel einer dokumentarischen Ausstellung über Die Lesbarkeit der Brache. Studenten der Klasse für Landschaftsdesign an der Wiener Angewandten haben sie im Botanischen Garten zusammengestellt. Die Bandbreite reicht von der Belebung toter Winkel unter Autobahnbrücken (Mario Terzic, Leiter der Klasse) über die künstlerische Neuinterpretation eines Beckens im Garten (Antonio Perazzi, Mailand) bis zu politischen Aktionen. Die Guerilla Gardeners ignorieren im Grundbuch festgesetzte Grenzen und verwandeln Brachen in Nutzland oder Parks, manchmal über Nacht, für einige Monate oder so lange, bis die Behörden sie vertreiben oder ihren Status legalisieren.

Wie die Samen haben sich auch ihre Advokaten, die Guerilla und die Community Gardeners, in alle Winkel verbreitet; ihre Arbeiten gehören in Melbourne zum Straßenbild, in London fordern sie die restriktive Stadtplanung heraus, und in Los Angeles hat sich eine Bewegung gebildet, die die wachsende Not in eine Tugend verwandeln will: Statt den Rasen vor dem Häuschen zu Tode zu pflegen, möge man Essbares anpflanzen. Don't mow your lawn, eat it!

Weniger dem Nützlichen, mehr dem romantischen Ideal einer geheimnisvollen Welt sind die Künstler Claudia Plank und Hans Werner Poschauko verpflichtet. Ihnen geht es darum, die herkömmliche Vorstellung von Landschaft zu verfremden und neu aufzuladen. Als Performance haben sie sich einen halben Tag lang im Wald an der österreichisch-slowenischen Grenze eingraben lassen.

Den Weinbergers wäre eine solche Aktion nicht gezielt genug. Ihre Arbeiten sollen Gegenentwürfe zur Konsumgesellschaft und zum "Gartenterror" sein. Jüngstes Beispiel dafür ist die "Laubreise" auf der heurigen Biennale: Pflanzen aus ihrem Garten in Gars/Kamp lagern als Kompostquader in Venedig - bis November. (Michael Freund, DER STANDARD/Printausgabe 23.6.2009)