Greg Keyes: "Die Schatten Gottes"
Broschiert, 477 Seiten, € 9,20, Blanvalet 2009.
Alles geht einmal zu Ende, sogar Greg Keyes' epische Saga vom "Bund der Alchemisten". Dass der abschließende vierte Band endgültig nichts mehr für NeueinsteigerInnen ist, war auch dem Autor klar, weshalb er umsichtigerweise dem Text ein sechsseitiges "Was bisher geschah" vorangestellt hat. Das kann zwar nicht das komplexe Beziehungs- und Konfliktgeflecht zwischen den unzähligen ProtagonistInnen wiedergeben, aber immerhin einen guten Überblick über die Weltlage in einem frühen 18. Jahrhundert, das zum Glück nie war, bieten. (Einen weiteren Rückblick zum vorangegangen Teil finden Sie hier.)
Alle Hauptfiguren bewegen sich nun mit ihren Teams auf den Schauplatz der entscheidenden Schlacht zwischen den freien Menschen und den Armeen der Äther-Bewohner, der Malakim, zu. Da ist zum einen Benjamin Franklin, der wegen seiner Erfindungen als der Zauberer von Amerika gilt, inzwischen aber vor allem Staatsmann ist – und zwar einer in Kriegszeiten. Seine Suche nach Allianzpartnern führt ihn zum französischen Exil-König nach New Orleans (respektive New Paris), das zwar eine Melange aus versifftem Kaff und Versailles-Travestie ist, zugleich aber auch die letzte Hoffnung auf Verbündete. – Einer der Reize am "Bund der Alchemisten" ist, dass er in einer Epoche spielt, da Nordamerika auch in unserer Zeitlinie noch ein mulitikultureller Flickenteppich war. Englische, spanische und französische Kolonien in unterschiedlichen Graden der Unabhängigkeit, dazu die Gebiete der Ureinwohner, die damals noch ein Jahrhundert vom "Pfad der Tränen" – der Vertreibung über den Mississippi – entfernt waren: Leicht hätte in dieser heterogenen Ansammlung die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen können ... wenn auch keinen so exotischen wie hier.
Die zur Meisteralchemistin aufgestiegene Adrienne de Mornay de Montchevreuil wiederum schlägt sich nicht nur mit ihrem Gefolge von JungwissenschafterInnen durchs kriegsverheerte Gelände. Sie nähert sich auch langsam dem wahren Wesen der Malakim an, indem sie die ätherischen Muster hinter der Maske der Materie zu erkennen beginnt (wobei der Äther nicht den Himmel, sondern die subatomare Ebene meint). Immer wieder muss man sich in Erinnerung rufen, dass im Konflikt zwischen Wissenschaft und Magie hier die Alchemie die Rolle der vom Menschen praktizierten – und funktionierenden – Wissenschaft spielt. "Magie" hingegen ist es, wenn die Malakim die Kräfte des Äther an die Menschen verleihen, um diese von sich abhängig zu machen und dumm zu halten: Eine Strategie, die in der geplanten Ausrottung der Menschheit gipfeln soll. Adrienne und ihre Gefährten erkennen nicht nur, dass hinter dem monumentalen Konflikt lediglich zwei Entitäten stecken .... so ganz nebenbei entwickeln sie zum Vergnügen des Lesers auch alchemistische Entsprechungen von Quantenmechanik und String-Theorie. Überhaupt spielt Keyes wieder viel mit Theorien, Philosophien und politischen Ideologien. Und zwischen all dem Offensichtlichen zieht sich die gnostische Weltanschauung, dass nicht Gott, sondern von ihm ernannte Stellvertreter die Welt gestaltet haben, ebenso durch die gesamte Tetralogie wie die Vorstellung, dass die Ereignisse im Mikrokosmos und die im Makrokosmos einander widerspiegeln.
... was nicht heißen soll, dass die Action zu kurz käme – schließlich herrscht Krieg und zimperlichen Umgang mit Gewalt kann man keinem/r der Beteiligten mehr attestieren. – "The board is set. The pieces are moving", wie Gandalf schon sagte. Zwei alles entscheidende Figuren haben ihre Seite jedoch noch nicht gewählt: Adriennes von den Malakim entführter Sohn Nicolas, der nun als Sonnenjunge deren Heer anführt. Und Franklins einstiger Weggefährte, der junge Choctaw-Schamane Red Shoes, der seit Teil 3 einen Dämon in sich trägt und vor einem Dilemma steht: Ich bin ein verfluchtes Wesen, das versucht, Gutes zu tun, bevor seine Seele sich auflöst und keine Wahl mehr hat. Der Ausgang ist ungewiss, der Einsatz das Überleben der Menschheit.
Ein wenig schade ist, dass nicht mehr zu den europäischen Schauplätzen zurückgekehrt wird – andererseits bestimmten diese die ersten beiden Teile der Tetralogie; die Konzentration auf Übersee in Teil 3 und 4 bildet somit im Grunde das ausgleichende Gegengewicht in einer Rahmenhandlung, die auf globaler Ebene stattfindet. Und es lässt sich konstatieren, dass die fantastische Saga insgesamt zu einem runden Ende gebracht wird. Natürlich kommt das eine oder andere dabei zu kurz – aber das ist ja auch kein Wunder, wenn erst mal so viele Fässer aufgemacht wurden. Die Macher von "Lost" werden davon noch ein Lied singen können.
In der nächsten Rundschau herrscht erhöhter Flugverkehr: Dunkle Schwingen, Superhelden mit flatternden Capes und diverse Raumschiffe. Kopf einziehen! (Josefson)