OpenStreetMap: Wien

Projektgründer Steve Coast

OpenStreetMap, gegründet 2004, hat in wenigen Jahren eine Weltkarte geschaffen die sich mit traditionellen und kommerziellen Kartenanbietern immer besser messen kann. Die Karte wird von Freiwilligen erstellt, mit Hilfe von GPS Geräten, oder durch das Nachzeichnen von Luftaufnahmen (vorwiegend von Yahoo für das Projekt bereitgestellt).

Länder wie Großbritannien, die Niederlande oder Deutschland sind weitgehend vollständig erfasst. Ländliche Gebiete sind oft noch verbesserungswürdig, aber Qualität und Detailreichtum urbaner Regionen übertrifft oft jenen kommerzieller Anbieter. Während große kommerzielle Anbieter rund 800 Datensammler im Feld haben, kann OpenStreetMap auf eine rasch wachsende Gemeinde von 135.000 Mappern zurückgreifen. Der Vergleich ein „Wikipedia für Karten" zu sein ist daher naheliegend.

Jeder kann Änderungen an der Karte anbringen

Zwei Dinge sind dabei herausragend: Jeder kann Änderungen an der Karte anbringen - und diese sind sofort online. Damit wird einerseits möglich, ungeahnte Details in die Karte des eigenen Lebensbereichs zu bringen. Andererseits werden dadurch auch Orte kartographiert, in die sich klassische Kartenzeichner selten vorwagen würden: Kuba, Bagdad oder Palästina enthalten bereits jetzt mehr Details als andere Karten. 

Plus: Die Daten können frei genutzt werden - kommerziell oder privat. Eine Reihe einfacher Schnittstellen auf XML Basis macht es möglich. Im Rahmen der OpenStreetMap „State of the Map" Konferenz in Amsterdam hatte Alexander Holy die Möglichkeit mit OpenStreetMap Gründer Steve Coast zu sprechen:

derStandard.at: Blicken wir zurück auf die Anfänge von OpenStreetMap. Ich erinnere mich, erstmals 2005 auf einer Konferenz für innovative Internet Projekte von OpenStreetMap gehört zu haben. Ihren Vortrag habe ich damals als unglaublich clevere Idee wahrgenommen, aber ein Blick auf die Website hatte nur eine leere Karte gezeigt. Woher kam das Vertrauen in die Idee? War der Plan zuerst nur Großbritannien zu kartographieren, oder gleich die ganze Welt?

Steve Coast: Die Welt! Wir wollten uns nicht auf London, oder Großbritannien oder Europa beschränken, es macht wesentlich mehr Sinn von vornherein das Wagnis einzugehen und die ganze Welt zu planen. Ist erst einmal die Software geschrieben und die Community aufgebaut, funktioniert es doch überall gleich! Es macht also überhaupt keinen Sinn sich auf London oder so zu beschränken. 

derStandard.at: Warum war es von vornherein so wichtig, freie Geodaten zu haben?

Steve Coast: Ich habe früher Linux auf meinem Laptop verwendet, heute benutze ich einen Mac. Damals habe ich ein USB GPS Gerät verwendet. Einige Anwendungen zum Kartenzeichnen waren vorhanden, aber es gab keinen Zugang zu Vektordaten. Und ohne Vektordaten war die Software weitgehend nutzlos. Es war schwer, Zugang zu guten Vektordaten zu bekommen, also beschloss ich, meine eigenen Daten zu erstellen, eigentlich ist es so einfach... 

derStandard.at: Stand jetzt die Geschäftsidee oder der eigene Datenbedarf im Vordergrund?

Steve Coast: Daher kommen doch alle großen Ideen. So wie es Larry Wall (der Schöpfer von Perl) gemacht hat. Die Grundidee ist: Du hast ein Problem, du findest eine Lösung. Ich hatte ein Problem, habe an der Lösung gearbeitet, sie frei verfügbar gemacht - und hier sind wir. 

derStandard.at: kann ich OpenStreetMap mit Wikipedia vergleichen? 

Steve Coast: Ja, ich würde es mit Wikipedia vergleichen, aber mit einigen subtilen Unterschieden; einer davon ist, dass wir Daten erstellen, und nicht Dokumente, also wir erstellen Referenzdaten. Das verhindert viele der Probleme, die Wikipedia hat, wenn es um einen neutralen Blickwinkel geht - Kartographieren sammelt Fakten. Entweder ist da eine Straße, oder nicht, man kann da nicht eine subjektive Meinung dazu haben. Es gibt also subtile Differenzen, andererseits ist vieles wie bei Wikipedia. 

derStandard.at: De facto habe ich dann Geodaten verfügbar. In XML, also ein sehr technische Sache. Auf der Konferenz wurde die Frage thematisiert, ob das Projekt nicht mehr Aufwand in einfach benutzbare Frontends stecken sollte?

Steve Coast: Ich denke, dass die Website sowohl ein Showcase für uns sein sollte, als auch ein Anlaufpunkt für die Daten. Das ist ein sehr gutes Argument, dass wir mehr gute Anwendungen für diese Daten zur Verfügung stellen sollten. Wir haben keine unbegrenzten Ressourcen, aber es ist definitiv etwas von dem ich überzeugt bin.

derStandard.at: OpenStreetMap hat heute 135.000 Mapper, und es wurde viel darüber geredet, wie eine Million erreicht werden kann. Was kommt als nächstes, einfach die Karte vervollständigen? 

Steve Coast: Es wird viel mehr Detailinformation geben, man sieht das bereits an Orten wie Deutschland, wo alle Straßen, Parks, Gebäude schon erfasst sind. Jetzt wird jeder Baum in der Stadt, jeder Lampenpfahl eingezeichnet. Die Karte wird reichhaltiger, reichhaltiger, reichhaltiger werden, das ist ziemlich offensichtlich.

derStandard.at: Ist OpenStreetMap eine Gefahr für kommerzielle Kartenanbieter? Werden diese reagieren? Wir sich die Geschichte wie bei den Enzyklopädien wiederholen?

Steve Coast: Sie werden reagieren müssen, und ich hoffe wir werden ein besseres Verhältnis mit ihnen haben, als es Wikipedia mit Encyclopaedia Britannica hatte. Es ist sehr leicht einfach den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als ob das alles nicht passiert. Aber ich denke es gibt vielversprechende Anzeichen dass einige der großen Kartenanbieter mit uns reden wollen, und wir können ein besseres Verhältnis aufbauen als es bei Wikipedia (und den Enzyklopädien) der Fall war.

derStandard.at: Nokia hat Navteq übernommen, TomTom hat TeleAtlas übernommen - um den Bedarf an eigenem Kartenmaterial abzusichern. Könnten diese Unternehmen einmal OpenStreetMap Daten nutzen?

Steve Coast: Für diese Unternehmen ist das sehr schwierig, sie müssten ihr ganzes Business ändern, und das finden sie schwer machbar. Es wird sehr interessant zu sehen was passieren wird. Unser Hauptaugenmerk ist es, die Karte zu vervollständigen - eine vollständige Karte würde wahrscheinlich ihr Gehabe und wie diese Firmen arbeiten ändern. TomTom und Nokia müssen ihre eigenen Kunden mit Karten versorgen, und darüber hinaus wollen sie das Kartenmaterial selbst besitzen. Dass ist vor allem defensiv, mehr als alles andere. Ich denke, sie werden nicht ewig in diesem Geschäftsfeld bleiben. Sie haben also ein Problem, weil ein Wechsel auf freie und offene Daten bedeuten würde, dass sie die Akquisitionen abschreiben müssten, und das fällt ihnen schwer. Genau wie bei Encyclopaedia Britannica stecken sie jetzt einfach die Finger in die Luft und tun so als ob das alles gar nicht passiert... Es wird interessant, was passieren wird. Microsoft hat beispielsweise die eigene Enzyklopädie eingestellt, aber sie haben das um Jahre zu spät gemacht. Nokia und TomTom könnten immer noch gute Dinge mit ihren Daten machen, aber es ist nicht zu erwarten, dass das rasch passiert. Sie werden den eingeschlagenen Weg noch Jahre verfolgen.

derStandard.at: OpenStreetMap hat einen drastisch anderen, einfacheren Weg als traditionelle Geo-Informationssysteme beschritten. Absicht oder geplant?

Steve Coast: Vollständig beabsichtigt. Top-down Ontologien wären für OpenStreetMap einfach verrückt, wir brauchten einen einfacheren Ansatz wie key/value Paare, und es hat gut funktioniert. OpenStreetMap kann daher mit einer sich kontinuierlich verändernden Umgebung mithalten. Das Projekt kann heute auf Karten von Kuba, Bagdad, Afghanistan, oder eben - London - verweisen - und man sieht wie wundervoll das klappt. Aber diese Karten werden nicht nur immer besser, nächstes Jahr um diese Zeit wird es zahlreiche neue Orte geben. Das beste am Projekt ist, dass es sich permanent verändert. Ich versuche nicht zurückzuschauen "Hey, jetzt sind wir fertig", denn nächstes Jahr gibt es eine andere coole Sache die realisiert wurde. Der Schlüssel ist, es entwickelt sich permanent weiter, und es kommt immer eine neue, bessere Sache

derStandard.at: Sie haben mit Hilfe von Risikokapital CloudMade gegründet, ein Unternehmen mit Niederlassungen in den USA, Großbritannien und der Ukraine. Wie wollen Sie ein tragfähiges Geschäft auf Basis offener Daten aufbauen?

Steve Coast: Für mich ist das eigentlich offensichtlich. Es ist das, was mit Linux passiert ist, oder mit Wikipedia, diese Dinge sind einfach besser. Der Wert wird sich vom Datenbestand zu den darauf aufbauenden Diensten verschieben. Ich denke, ein Blick auf die Geschichte anderer Open Source Projekte verdeutlicht, was passieren wird. (Alexander Holy/IT-Leiter von derStandard.at)