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Kicken und Schmettern, die Technologie-Demo "Ricochet" verlangt körperliche Höchstleistungen.

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So soll das Peripherie-Gerät von "Project Natal" später einmal aussehen.

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"The next big thing", wirft ein schweizer Vertriebschef in die kleine Runde aus Marketing-, PR-Fachleuten und Journalisten und reibt sich vorfreudig die Handflächen. Wenige Sekunden davor mimte er noch aufgeregt mit seinen bloßen Händen einen Autolenker. Microsoft-Manager Kudo Tsunoda beendet zufrieden seine Demonstration mit den Worten, dass sich schon einige Werke zum neuen großen Projekt des US-Konzerns in Entwicklung befänden.

Die Rede ist von "Project Natal". Geht es nach den kreativen Köpfen aus Redmond, wird die Technologie dahinter Videospielen für immer verändern. Gut, das ist vielleicht ein Stück zu weit gegriffen. Aber zumindest konnten sich im Rahmen der GamesCom ein paar "Auserwählte" davon überzeugen, dass Controller-loses Gaming tatsächlich funktioniert und "Natal" die Möglichkeiten von aktuellen Kamera-Eingabesystemen bei Weitem übertrifft.

Dreidimensional

Wie schon im Vorfeld berichtet, erfasst bei Natal ein Infrarot-Sensor den Spieler dreidimensional und überträgt die Bewegungen von 48 Schlüsselstellen des Körpers in das Spiel. Diese Präzision erlaubt es, dass etwa Handbewegungen, Fußtritte, aber auch subtilere Gesten, wie Hüftkreisen, registriert werden. Ein entscheidender Vorteil gegenüber bestehenden Technologien ist, dass weder schlechte Lichtbedingungen noch andere Personen oder Objekte die Infrarot-Erfassung des Spielers beeinträchtigen.

Natal kann so zum Beispiel unterscheiden, was der Körper des Anwenders ist und was der Sessel, auf dem er sitzt. Sogar wenn plötzlich etwas die Sicht des Sensors auf den Nutzer (zumindest) zum Teil verdeckt, verfolgt das System weiterhin nur den Körper und seine Bewegungen. Damit ist die Grundvoraussetzung geschaffen, um den menschlichen Körper selbst zum effizienten Eingabegerät zu machen.

Demo-Time

Was damit gemeint ist, veranschaulichten während der Vorführung zwei Technologie-Demos. Das zuerst gezeigte Spiel "Ricochet", bei dem es darum geht eine steigende Anzahl von Bällen auf Mauern zu schmettern, stellte die genaue Registrierung des gesamten Körpers unter Beweis. Innerhalb von wenigen Augenblicken erkennt das System die Form und Größe des Spielers und überträgt die Informationen auf die Silhouette des virtuellen Abbilds (Avatars). Die Umsetzung erfolgt zwar nicht exakt 1 zu 1, aber immerhin werden Details wie einzelne Finger separat erfasst.

Das eigentliche Spielkonzept der Demo erwies sich im Kurztest als ziemlich anstrengend. Um alle Bälle mit Fuß, Kopf, Bauch und Händen abzuwehren, musste man schon die gesamte Breite von etwa vier Metern des Vorführungsraumes in Anspruch nehmen. Das lag einerseits daran, dass die Bälle immer schneller wurden, und man praktisch rasch zum Tormann beim Elfmeterschießen wurde. Andererseits machte sich noch eine deutliche Latenz zwischen Bewegung und Ausführung bemerkbar, weshalb Tritte oder Schläge mitunter ihr Ziel verpassten. Tsunoda erklärte, dass dies auf ausstehende Optimierungsarbeiten zurückzuführen sei. Die Ricochet-Demo zeigte vor allem aber eines: Natal registriert tatsächlich den gesamten Körper, ist resistent gegen vermeintliche Ablenkungen und kann Bewegungen in alle Richtungen, auch in die Tiefe umsetzen. 

Demo-Time die Zweite

Dass es auch deutlich präziser geht, untermauerte die zweite Demo. Hierfür wurde das Spiel "Burnout Paradise" rein zu Anschauungszwecken für Natal portiert. Anstatt einen Controller oder ein Lenkrad einsetzen zu müssen, mimt man schlicht und ergreifend die Lenkbewegungen mit den Händen. Je näher die Hände aneinander sind, umso kleiner ist der Lenkradius und desto feinfühliger ist die Steuerung. Beschleunigt wird das Fahrzeug, in dem man einen Fuß nach vorne schiebt, verzögert wird mit der entgegengesetzten Bewegung. Das Überraschende war, dass die Fahrzeugsteuerung auf diese Weise nicht nur ziemlich exakt und verzögerungsfrei erfolgt, sondern auch extrem intuitiv ist. Es braucht keine Erklärungen, man stellt sich vor den Bildschirm und spielt drauf los.

Es ist natürlich fraglich, ob man auf Dauer ganz ohne haptisches Feedback spielen möchte. Definitiv fühlt es sich besser an, mit einem ordentlichen Lenkrad zu steuern und dank Force-Feedback oder wenigstens Vibrationsmotoren die virtuelle Straße zu spüren. "Sie könnten ersatzweise ein Frisbee oder ein Tablett aufgreifen", verwies Tsunoda auf die Ausbaufähigkeit der Idee. Microsoft-Gründer Bill Gates meinte einmal, man werde eines Tages mit echten Tennisschlägern am Computer Tennisspielen können. Natal könnte das Fundament für diesen Wunsch stellen.

Weitere Einsatzgebiete

In seiner finalen Version soll Natal neben dem Infrarot-Sensor eine gewöhnliche RGB-Kamera für die Gesichtserkennung und ein Mikrofon für Sprachbefehle umfassen. Gebündelt in einem Peripheriegerät wird es so an jede Xbox 360 angeschlossen werden können. Auf der Microsoft-Konsole soll Natal dafür sorgen, dass auch das Menü Controller-frei durchsucht und damit alle weiteren Funktionen genutzt werden können. Über die Gesichtserkennung würde man sich dann sogar automatisch in sein persönliches Profil einloggen.

Für jedermann

Microsoft spricht somit in erster Linie all jene Menschen an, die mit konventionellen Videospielen bisher nichts anfangen konnten. Oberflächlich betrachtet, eignet sich die Technologie dafür, um Casual-, Fitness- und Party-Games zu kreieren. Für intensivere Spielerlebnisse könnte die Kombination mit Gegenständen oder einem Controller das Potenzial für aufwändigere Produktionen öffnen. So ließe sich wiederum die bestehende Xbox-Kernzielgruppe ins Boot holen.

Produkt-Manager Tsunoda stellte auch Multiplayer-Spiele in Aussicht, wobei konkrete Anwendungen auf der GamesCom noch nicht gezeigt wurden. Bill Gates erklärte in einem Interview Mitte Juli mit dem Branchenblatt Cnet, Natal würde sich ebenso für PC-Anwendungen eignen. "Minority Report" für die heimische Medien-Verwaltung so zu sagen.

In den Sternen

Wird man Videospiele in Zukunft tatsächlich ohne Controller, ohne Steuerkreuz, Analog-Stick oder Tasten erleben wollen? Die Antwort darauf werden Spieler in den kommenden Jahren wohl selbst liefern. Project Natal - wie auch immer es dann heißen wird - soll nach dem Unternehmensfahrplan gegen Ende 2010 auf den Markt kommen. Die Technologie ist schon in dieser frühen Form sehr vielversprechend, jetzt müssen nur noch die überzeugenden Inhalte folgen. (Zsolt Wilhelm aus Köln, derStandard.at, 20.8.2009)