Peter F. Hamilton: "Träumende Leere" + "Schwarze Welt"
Broschiert, 493 bzw. 381 Seiten, jeweils € 12,40, Bastei Lübbe 2009.
Wenn man zwei Bücher kaufen muss, um einen Roman lesen zu können, der dafür dann zwei bis drei Geschichten zum Preis von einer bietet, am Ende aber trotzdem keine abgeschlossene Geschichte bilden wird ... dann ist es gar nicht so leicht zu berechnen, ob man als Käufer pari aussteigt. In jedem Fall sollten diese beiden Titel gemeinsam gelesen werden, da sie zusammen den 2007 erschienenen Originalroman "The Dreaming Void" bilden. Wo andere Verlage einer "Was, nur 500 Seiten? Das können wir nicht verkaufen, hängen wir noch eine Novelle dran"-Philosophie zu folgen scheinen, splittet Bastei ganz gerne mal einen längeren Roman auf; beide Herangehensweisen haben ihre Vor- und Nachteile.
Übersichtlichkeit ist das große Stichwort für "The Dreaming Void", denn der britische Star-Autor pflanzt hier ein ordentliches Dickicht an - und zwar auf allen Ebenen. Zunächst zum Hintergrund: Angesiedelt ist der Roman im Commonwealth-Raum, den Hamilton vor einigen Jahren zu entwickeln begonnen hat. Über zahlreiche Sternensysteme verteilt, hat die Menschheit angefangen sich in unterschiedliche Richtungen zu entwickeln. Advancer werten Geist und Körper durch Implantate auf, Higher gehen noch einen Schritt weiter ins Posthumane und entschließen sich zum Download in ANA, das Advanced Neural Activity System, das in den Quantenraum um die Erde eingebettet ist und den bislang größten Sprung in Richtung postphysische Existenz darstellt. Ideologisch sind sich die beiden Kulturen nicht recht grün, und auch ANA selbst stellt keine geschlossene Einheit dar, sondern setzt sich aus höchst unterschiedlichen Gruppen zusammen. Jede davon hat ihre eigenen Vorstellungen, wie die weitere Evolution der Menschheit auszusehen habe und technologisch zu forcieren sei, und setzt ihre jeweiligen AgentInnen ein, um dies durchzusetzen. Und auch abseits dieser Konfliktlinie verschwimmen längst die Konturen des Menschlichen: Wer stirbt, kann mittels implantiertem Memory-Chip und einem neugeklonten Körper dem Relifing unterzogen werden. Planetare Gaiafields ermöglichen die empathische Verschmelzung beliebig vieler Individuen - und eine Sonderform davon sind die Multiplen, die einen Geist auf viele Körper verteilen. Auch sie halten sich für die evolutionäre Zukunft der Menschheit - und es ist dieser Wettstreit der Biotech-Ideologien, der sich unter der eigentlichen Handlung als das große Generalthema der neuen Hamilton-Romane entfaltet.
Hamiltons posthumanes Mosaik erinnert stark an Neals Ashers Polis-Universum - und noch in einem anderen Punkt ähneln sich die beiden Autoren: Beide bringen gerne Verweise auf frühere Werke ein (was noch einmal unterstreicht, dass die SF-Schiene von Bastei Lübbe stark von Reihen geprägt ist). Das geht hier bis zur Wiederkehr früherer Charaktere wie Paula Myo und "The Cat" aus den Romanen "Pandora's Star" und "Judas Unchained". Deren Handlung spielte sich zwar ein gutes Jahrtausend vor den aktuellen Ereignissen ab, doch sind die Menschen in all ihren verschiedenen Ausformungen inzwischen so langlebig, dass bei einem stinknormalen Meeting ganze historische Epochen aufeinander treffen können und so gleichzeitig nebeneinander liegen wie die virtuellen Welten im Inneren ANAs. Ein reizvoller Effekt. Nichtsdestotrotz versteht es Asher etwas besser als Hamilton Verweise auf Früheres so einzubauen, dass man nicht das Gefühl hat, wegen Wissenslücken den Zusammenhang nicht mehr zu erfassen.
Was zum nächsten Teil des Dickichts führt, den Hauptpersonen: Bis ins zweite Drittel von "Träumende Leere" hinein werden laufend neue Kapitel-tragende Charaktere eingeführt. Etwa Ethan, der neugewählte Führer der religiösen Bewegung Living Dream: Er plant mit seinen AnhängerInnen einen Pilgerzug ins Zentrum der Milchstraße, wo man das vermeintliche Riesen-Black Hole als künstliches Mini-Universum identifiziert hat. Einige Alien-Rassen fürchten, dass ein Durchbrechen des Walls um diesen als Leere bezeichneten Raum katastrophale Auswirkungen haben wird, und auch innerhalb der Menschheit sprechen sich zahlreiche Stimmen gegen das Projekt aus. Dennoch wird weder auf das rätselhafte Phänomen an sich noch auf den Pilgerzug - immerhin der beworbene Aufhänger des Romans - sonderlich eingegangen. Erst mal verfolgen wir mit, wie die VertreterInnen verschiedenster Fraktionen aktiv werden: So der HighTech-Agent Aaron, der mit dem Living Dream-Mitglied Corrie-Lyn auf die Suche nach dem Träumer Inigo geht; dessen Visionen von der Leere hatten den Pilgerzug überhaupt erst ausgelöst. Oder der Physiker Troblum, die ANA-Agentin Justine Burnelli (ebenfalls aus früheren Romanen übernommen) oder der "Delivery Man", der in London inmitten einer Familie lebt, die dem Werbefernsehen des 20. Jahrhunderts entsprungen scheint, der für seinen Tagesjob aber auf interstellare Missionen geht. Etwas abseits von all diesen Figuren steht die Kellnerin Araminta, die nach Trennung und unerwarteter Erbschaft in ein neues Leben startet, dem wir in all seiner Banalität recht ausführlich folgen dürfen. Erst mit "Schwarze Welt" wird klar, wie sich Araminta in die Rahmenhandlung einfügen wird.
Praktisch völlig losgelöst von dieser Ebene spielen sich die als "Inigos Traum" bezeichneten Kapitel ab, die zwischen die übrigen gestreut sind. Sie schildern das Leben auf einer Welt in der Leere und kreisen um den jungen Menschen Edeard. Als Eiformer vermag er es, dem ungeschlüpften Nachwuchs von als Defaults bezeichneten Tieren mittels geistiger Kräfte beliebige Gestalt zu verleihen. Später zieht er in die offenbar nicht für Menschen gebaute Stadt Makkathran, deren Gebäude aus einem Material bestehen, das ebenfalls nur mit telekinetischen Kräften bearbeitet werden kann: Interessante Ideen für etwas, das im Prinzip einen eigenständigen Fantasy-Roman darstellt, der in die SF-Rahmenhandlung eingewoben wurde. Später, als Edeard sich der Stadtwache anschließt, mündet das Ganze mehr und mehr in eine Coming-of-Age-Geschichte, die sich leider etwas zu ziehen beginnt. - Und vollkommen offen bleibt zumindest in diesen beiden Büchern, warum die Traumvisionen von Edeards Leben - in einer zumindest für Commonwealth-Verhältnisse von Entbehrungen und Gewalt geprägten Welt - derartige spirituelle Strahlkraft entfalten sollen, dass Millionen Menschen sich dafür ins Ungewisse stürzen wollen.
So weit, so kompliziert. Man kann Hamilton blind vertrauen, dass er all die aufgedröselten Handlungsfäden noch gekonnt zusammenführen wird: "The Dreaming Void" ist ja nur der erste Teil einer Trilogie (in der Übersetzung dann wohl Sextalogie). Und all diejenigen, die im Amazon-Forum über Basteis Aufsplitten des Originals geschimpft haben, werden am Schluss von "Schwarze Welt" ernüchtert feststellen, dass der Gesamtroman um keinen Deut abgeschlossener ist als seine "erste Hälfte". Was bei Hamilton ja nichts Neues ist. Wer ins "Void"-Epos einsteigt, sollte sich also bewusst machen, dass er sich auf ein Langzeit-Projekt einlässt.