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"Den Regierenden auf die Finger schauen": Aust, lange "Spiegel"-Chef, kommt nach Wien.

AP Photo/Daniel Roland)

STANDARD: Kann man Sie als ersten Verlierer der deutschen Bundestagswahl bezeichnen?

Aust: Wieso das denn?

STANDARD: Wenn man den deutschen Mediendiensten glauben kann, war das Talkformat "Ihre Wahl - Die Sat-1-Arena" mit Sabine Christiansen und Stefan Aust kein Publikumserfolg.

Aust: Da machen es sich manche Medienjournalisten sehr einfach. Sicher waren die Sendungen unterschiedlicher Qualität. Das sind aber andere auch. In der für Private relevanten Zielgruppe, also 14 bis 49 Jahre, liegen wir ungefähr gleichauf mit den anderen Sendern. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender in der älteren Zielgruppe hohe Zuschauerzahlen haben, wusste jeder. Sat.1 war damit sehr zufrieden, die Werbeinseln waren sehr ausgebucht. Uns war bewusst, dass wir etwas neues auf einem Sendeplatz ausprobieren, wo das private Fernsehen lange Zeit keine Politik hatte. 

STANDARD: Erfolge versucht man normalerweise fortzusetzen.

Aust: Darüber haben wir bisher nicht geredet. Wir haben uns fünf Sendungen vorgenommen, die haben wir geliefert, das war's erst mal. Ich habe viele andere Dinge zu tun.

STANDARD:  An Ihrer Produktionsfirma hat sich gerade eine Tochter des öffentlich-rechtlichen NDR, Studio Hamburg, beteiligt. Wozu?

Aust: Wenn man einen starken Partner hat, steht man stabiler auf den Beinen. 

STANDARD: Stellen Sie sich doch bitte folgendes Szenario vor: Ein öffentlich-rechtlicher Sender engagiert einen Society-Reporter von einem Privatsender - und deklariert den Mann als Retter, als Heilsbringer seines Fernsehprogramms. 

Aust: Das kommt auf den Kanal und den Mann an. Wir haben schon häufig erlebt, dass sich Reporter und Moderatoren einen Namen gemacht haben, auch auf den Spielwiesen am Nachmittag, und sind zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen gewechselt. Nehmen Sie etwa Johannes B. Kerner, der gerade wieder zu Sat.1 zurück ging. So einen Austausch finde ich gut.

STANDARD:  Wechseln wir zu Print: Welche Art von Printprodukten sind denn überhaupt noch auf dem Markt unterzubringen?

Aust: Ich glaube nicht an den Untergang von Print. Das Internet wird Print nicht ersetzen. Wir handeln aber grundsätzlich mit Informationen. Wie die zum Konsumenten gelangen, ist eine praktische Frage. Brandaktuelles empfange ich lieber über Internet, Radio, Fernsehen, und warte nicht darauf, dass eine Wochen- oder Monatszeitschrift die Druckmaschinen angeworfen hat. Will ich aber Hintergrundberichterstattung, Zusammenhänge erkennen will, erzählte Geschichten, wirklich verstehen will, dann brauche ich Printtitel. Insofern habe ich keine Angst um den Printtitel an sich. Es wird weiter Tageszeitungen geben, vernetzt mit dem Internet, und auch weiter Wochen- und Monatszeitschriften. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Nicht zuletzt, weil wesentliche Informationsteile des Internet am Tropf von Print hängen. Wenn die Printmagazine verschwinden, hätten auch die von ihnen finanzierten Internetplattformen ein Problem. 

STANDARD: : Rupert Murdoch, Mathias Döpfner & Co wollen Geld für Onlineinformationen verlangen.

Aust: Es wird eine langsame Wandlung geben: Auf absehbare Zeit wird es Internetauftritte geben, die nicht umsonst zu haben sind. Sonst wird sich das niemals rechnen.

STANDARD: Die Frage nach Platz für neue Printtitel ist - nach Ihren Worten - Ihre Aufgabe als Berater der WAZ-Gruppe.

Aust: Wir entwickeln etwas im Magazinbereich.

STANDARD:  Wöchentlich?

Aust: Mehr dazu sage ich nicht.

STANDARD:  Würden Sie es spannend finden, dem "Spiegel" Konkurrenz zu machen, das Sie 14 Jahre geführt haben? Ist es möglich, in diesen deutschen Markt mit einem starken ,Spiegel', einem starken "stern" und "Focus", dazu "Die Zeit", "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", "Welt am Sonntag" noch einen Wochentitel zu platzieren?

Aust: Nichts in der Welt muss bleiben, wie es ist. Es steht außer Frage, dass der "Spiegel" noch immer das Maß aller Dinge im Printjournalismus ist. Wer glaubt, den "Spiegel" angreifen, ihm Konkurrenz machen zu können, ist auf dem falschen Weg.

Aber es sagt niemand, dass alles immer so bleiben muss wie es ist. Als "Focus" auf den Markt kam, hat niemand geglaubt, dass im Wochentitelmarkt ein solches Magazin Platz findet. Und "Focus" wurde ein großer Erfolg. Dass sie den Erfolg jetzt auf die Dauer halten konnten, sind hausgemachte Probleme. Im österreichischen Markt gab es das Monopolmagazin "profil", und dann kam "News". Heute gehört "profil" der News-Gruppe. Die Schlacht hätte in Deutschland ähnlich ausgehen können wie in Österreich. 

STANDARD:  Wobei in Deutschland das Kartellrecht ein bisschen wirksamer scheint als hier.

Aust: Für hypothetische Fragen bin ich nicht zuständig.

STANDARD:  Was läuft denn bei "Focus" schief?

Aust: Ich bin nicht als Berater von Focus engagiert. Ich weiß nicht, ob ich Focus Ratschläge geben könnte. Und wenn ich's könnte, würde ich es nicht über eine österreichische Zeitung tun.

STANDARD:  Aber beim "Spiegel" kennen Sie sich schon aus. Wie sehen Sie das Magazin heute?

Aust: "Der Spiegel" ist nach wie vor das Maß aller Dinge. Und was mir gefällt oder nicht gefällt, darüber mache ich mir vielleicht im Stillen Gedanken, aber darüber äußere ich mich nicht. Manche Titel finde ich gelungener als andere, aber das war früher genauso. Ich mache mir aber keine Gedanken, was ich anders gemacht hätte.

STANDARD:  Stellen Sie sich doch bitte vor, eine Tageszeitung, die sich unabhängig nennt, huldigt ihrem Bundeskanzler als Polit-Genie, trotz seines Jobs "ein Mensch wie du und ich", der 20 Stunden am Tag für sein Land arbeitet ...

Aust: Dann würde ich mich sehr freuen, wenn ich dieser Bundeskanzler wäre.

STANDARD:  Und wenn Sie gleichzeitig wüssten, dass die größten Inserenten aus dem Umfeld dieses Bundeskanzlers kommen?

Aust: Dann würde ich mir vielleicht Gedanken machen, ob es da Zusammenhänge gibt. Aber das muss ja nicht unbedingt so sein. Vielleicht finden die Inserenten die Zeitschrift großartig und die Reporter den Bundeskanzler. Ich kann nur sagen: Ich habe in den vielen Jahren als Spiegel-Chefredakteur eine große Distanz zu den Mächtigen gehalten.

Ganz egal, welche Partei gerade den Bundeskanzler gestellt hat, sind wir gleichermaßen kritisch an den Bundeskanzler herangegangen. Parteien, die aus der Opposition an die Regierung kamen, waren von unserer Haltung häufig enttäuscht. Wir hatten quasi gemeinsam mit ihnen in der Opposition die Regierenden angegriffen, und sie hofften vielleicht, wir bleiben auf ihrer Seite. Sie haben nicht gemerkt, dass unsere Funktion darin besteht, den Regierenden auf die Finger zu schauen.

Natürlich auch den Oppositionellen, aber primär den Regierenden. Ganz egal, welche Partei die stellt. Manche haben Gefolgschaftstreue erwartet. Die war nie meine Sache. Und wenn ich einen Bundeskanzler seit vielen, vielen Jahren kannte, und mit dem auf Du war, weil man sich schon so lange kennt, hat das doch die kritische Distanz nie verringert.

STANDARD: Distanz zu den Mächtigen als oberste Journalistenpflicht?

Aust: Das ist unsere Aufgabe. Dafür werden wir bezahlt.

STANDARD: Politiker sieht das naturgemäß aus einer anderen Perspektive?

Aust: Politiker wollen die Macht erringen und wollen dafür Unterstützung, auch gern von den Medien. Sie sind beleidigt, wenn sie die nicht bekommen. Sie versuchen, die Medien für sich zu instrumentalisieren, das kenne ich. Diesen Versuchen muss man sich entziehen.

STANDARD:  Ist das in einem zehnmal größeren Land als Österreich leichter?

Aust: Ich glaube, das ist vollkommen unabhängig von der Größe des Landes. Auch in einer Kleinstadt kann die Kumpanei oder die Auseinandersetzung zwischen Zeitung und Regierung ähnlich vonstatten gehen wie auf der großen Bühne der Staatspolitik.

STANDARD:  Was würden Sie von einem Parteichef und heute Bundeskanzler halten, der die Linie seiner Partei in einer Grundsatzfrage wie der Haltung EU mit einem Leserbrief an eine Zeitung auf die - konträre - Linie dieser Zeitung schwenkt?

Aust: Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Ich finde es großartig, wenn ein Politiker seinen Einfluss auf eine Tageszeitung darauf reduziert, dass er einen Leserbrief schreibt. Ich habe auch schon erlebt, dass mir der Vorstandsvorsitzende eines Großverlags, der am Spiegel beteiligt war, Vorhaltungen wegen einer Geschichte gemacht hat. Dem habe ich gesagt: Schreiben Sie doch einen Leserbrief.

STANDARD:  In dem Fall ging es umgekehrt: Dieser Parteichef erklärte der Zeitung per Leserbrief, seine Partei sei nun ihrer - EU-kritischen - Meinung.

Aust: Aus der Sicht der Zeitung kann ich nur sagen: Wunderbar. Wenn ein Bundeskanzler nichts Besseres zu tun hat als Leserbriefe zu schreiben ...

STANDARD:  Wie würden Sie denn ein Land beschreiben, in dem solche Verhältnisse zwischen Medien und Politik herrschen? Eine Bananenrepublik?

Aust: Ich möchte Bananenrepubliken jetzt nicht insgesamt verdammen. Es kann ja auch Bananenrepubliken geben mit sehr ordentlichen demokratischen Strukturen. Kleine Länder, bei denen sich die Politik im Wesentlichen in einer Stadt abspielt, da sitzen Medien und Politik mehr auf einem Haufen. So eine Art von Klüngelei kann man aber natürlich auch in Berlin feststellen.

STANDARD:  In Österreich scheint das noch ausgeprägter.

Aust: Das könnte schon sein. Vielleicht ist das ein Resultat dieser häufigen und sehr lang andauernden Großen Koalitionen. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 3./4.10.2009)