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Rechtzeitig Halt zu machen, fällt vielen schwer.

Foto: APA/dpa/Iby

Psychische Erkrankungen sind weiter auf dem Vormarsch. In Deutschland laboriert jeder Dritte im Laufe seines Lebens an Depressionen, Angststörungen, Burnout & oder Co. Innerhalb eines Jahres ist jeder Vierte betroffen. Dass die Zunahme immer mehr eine ökonomische Dimension bekommt, liegt auf der Hand. In Zahlen gegossen: In Deutschland entfallen schon zehn Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage auf diese Krankheiten. Das kostet den Betrieben Milliarden.

Enttabuisieren

"Unternehmen sind nach wie vor nicht besonders gut darauf vorbereitet", sagt Werner Kissling, Leiter vom Centrum für Disease Management in München. Im Gespräch mit derStandard.at identifiziert der Arzt eine Analogie zum Suchtproblem von vor 15 Jahren: "Damals konnte auch kein Betrieb damit umgehen." Um Abhilfe zu schaffen, wurde vor kurzem ein Schulungsprogramm initiiert. Es richtet sich an Leute mit Personalverantwortung und soll dabei helfen, Sensibilisierungsmaßnahmen als Teil der Firmenkultur zu verankern. Ein offener Umgang soll die Thematik enttabuisieren, so das deklarierte Ziel.

Indizien oft einfach zu erkennen

Das Programm nennt sich "Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz" und ist als eintägiger Workshop konzipiert. "Sehr interaktiv" sei die Gestaltung, betont Kissling und berichtet von vielen Rollenspielen, die die Lage der Betroffenen greifbarer machen sollen. Im theoretischen Teil werden die häufigsten Krankheitsbilder und die Anzeichen vorgestellt, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen. "Wenn jemand oft länger im Büro bleibt, können das schon Vorboten von einem Burnout-Syndrom sein." Indizien, die einfach zu erkennen sind. Neben dem offensichtlichen Verhalten ist die Arbeitsleistung das wichtigste Kriterium: "Sinkt die, kann das auf Probleme zurückzuführen sein."

Zur Hilfe animieren statt diagnostizieren

Im Hauptteil wird der Umgang mit vermutlich psychisch erkrankten Mitarbeitern gelehrt, skizziert der Mediziner. Das Hauptaugenmerk liege auf der richtigen Gesprächsführung. "Als Vorgesetzter darf ich nie selber diagnostizieren", warnt Kissling, "sondern es mir zur Aufgabe machen, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen". Dabei "sanften Druck" auszuüben, indem man dem Mitarbeiter die Rute ins Fenster stellt, sei durchaus ein legitimes Mittel. Quasi professionelle Unterstützung oder Kündigung.

Selbstmordwelle in Frankreich

Ein anderer Punkt des Programms, erläutert Kissling, sei Hilfe bei akuten Krisensituationen. Als Beispiel erwähnt er die unheimliche Selbstmordserie bei der France Telecom. 23 Mitarbeiter des Telekommunikationskonzerns nahmen sich in den vergangenen 18 Monaten das Leben. Am Pranger stehen die Management-Methoden und der Leistungsdruck im Unternehmen.

Sozialpädagogen für Wiedereingliederung

Weiters auf der Agenda befindet sich das richtige Verhalten gegenüber erkrankten Personen bei der Reintegration in den Betrieb. Dafür stehen Helfer zur Seite. "Nicht zu schnell, sondern sukzessive" laute die Devise bei der Wiedereingliederung. "Der Chef hat nichts davon, wenn der Betroffene gleich wieder einen Rückfall bekommt". Als Zeithorizont nennt Kissling etwa eine Dauer von zwei Monaten: "Natürlich abhängig vom Grad der Erkrankung." Am Ende des Workshops bekommen die Leute einen Handlungsleitfaden in die Hand gedrückt. Begleitend wurde ein eigenes E-Learning-Programm entwickelt.

Die Kosten für den Kurs beziffert er mit rund 250 Euro pro Teilnehmer. Die Nachfrage sei enorm, konstatiert der Arzt schon einen Umdenkprozess in Sachen Unternehmenskultur. Neben den Mitarbeitern würden schließlich auch Betriebe durch eine Reduktion von Krankenstandstage finanziell profitieren. Zur ersten Informationsveranstaltung in München werden 200 Unternehmen erwartet. 

Österreich vergleichbar mit Deutschland

Da psychische Erkrankungen nicht an Landesgrenzen Halt machen, hofft Kissling, dass auch österreichische Firmen auf den Zug aufspringen und mehr in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren. Bei den Workshops gehe es um keine deutschlandspezifischen Maßnahmen. Leistungsdruck und der raue Wind am Arbeitsmarkt sind universale Phänomene.

Krankenstandstage steigen

In Österreich stieg die Zahl der Krankenstandstage von 12 im Jahr 2007 auf 12,5 im letzten Jahr. Nicht zuletzt aufgrund der Zunahme von psychischen Problemen. Je früher Depressionen, Burnouts oder Angstzustände erkannt werden, desto einfacher die Behandlung. Deswegen komme der Arbeitsstätte in puncto Prävention und Diagnose so eine eminent wichtige Bedeutung zu, sagt Kissling. Laut österreichischem Patientenbericht vergehen nämlich im Schnitt zweieinhalb Jahre zwischen den ersten Symptomen und der Therapie. (om, derStandard.at, 6.10.2009)