Die Eltern von Enis, einem jungen Roma aus Serbien, kehrten mit ihrem Sohn von Berlin freiwillig ins Heimatdorf zurück - aus Angst, deportiert zu werden und nie mehr in die EU zurück zu können. Natalijas Eltern taten diesen Schritt nicht. Eines Tages, um sechs Uhr früh, wurden sie abgeholt und per Bahn nach Bujanovac transportiert.

Heute, zwei Jahre später, geht Enis noch immer nicht zur Schule. In Deutschland war er einer der besten seiner Klasse, Serbisch kann er zu wenig, um zugelassen zu werden. Also schupft er Zementsäcke und sehnt sich nach Berlin. Seine Träume sind deutsch.

All das beschreibt Momir Turudic, einer der Preisträger des "Balkan Fellowship for Journalistic Excellence", das von der Wiener Erste Stiftung und der deutschen RobertBosch-Stiftung in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) ins Leben gerufen wurde.

62 Prozent der Kinder aus abgeschobenen Familien besuchen in Serbien nie wieder eine Schule, weil sie ins deutsche Schulsystem integriert waren und ins serbische trotz mancher Hilfestellungen nicht hineinfinden. Laut NGO-Berichten nehmen Selbstmorde unter jungen Serben und Roma dramatisch zu.

Diese Fakten und Schilderungen gemahnen uns an die österreichische Diskussion um die Familie Zogaj. Und speziell an Arigona Zogaj, die vor allem das beherrscht, was man ständig zum Hauptkriterium einer erfolgreichen Integration macht: Gute Sprachkenntnisse. Doch Fremden- und Asylgesetze werden nicht nach den Geboten der Menschlichkeit und der Lebenschancen gestrickt, sondern nach den Chancen der gewählten Politiker und Politikerinnen beim sogenannten "Volk". Die Politik hat einen viel zu kurzen Atem. Ihre Mechanismen taugen wenig, um die Komplexität der Welt zu erfassen.

Eine andere Ähnlichkeit zum Fall Zogaj: Turudic sagt, dass in vielen Fällen, die zu Abschiebungen führen, von den Eltern Fehler gemacht wurden - ihre Kinder sind die Leidtragenden, weil sie im Gastland meist voll integriert waren. Elisabeth Riesel, eine Asyl-Expertin in Berlin, sagt, Beamte und Politiker ignorierten einfach die Auswirkungen von Deportationen auf junge Menschen: "Das sind traumatische, schockierende Einschnitte."

Es gibt keine genauen Zahlen. Aber aus Deutschland sind in den letzten zehn Jahren ca. 25.000 Personen gezwungenermaßen, doppelt so viele freiwillig nach Serbien zurückgekehrt. 70 Prozent sind Roma, die jetzt wieder in desolaten Verhältnissen leben. Hilfe gibt es kaum, weil auch Anreize fehlen, sich anzustrengen.

Mädchen seien oft ambitionierter, schreibt Turudic. Wie Antalija, die auch in der serbischen Schule eine der besten geworden ist. Jetzt denkt sie bereits daran, dereinst Medizin zu studieren.

Leider ist sie eine der wenigen, die kämpfen. Und kämpfen können.

Die Abschiebepraxis - selbst wenn sie liberaler wäre als die momentan geltende - kann natürlich nicht die Zukunft junger Menschen vorausberechnen. Aber man sollte in Zweifelsfällen Psychologen und Pädagogen mitentscheiden lassen.

Das würde dem Recht zu mehr Toleranz verhelfen. (Gerfried Sperl/DER STANDARD-Printausgabe, 30.11.2009)