Wenn ein Eric dem anderen den Marsch bläst: Ex-Fußballer Eric Cantona (li.) wird in Ken Loachs "Looking for Eric" zum Lebenscoach eines sauertöpfischen britischen Namensvetters (Steve Evets).

Zur Person:
Eric Cantona, geb. 1966, französischer Star-Fußballer, der in seiner Zeit bei ManU auch zum britischen Nationalhelden avancierte.

Foto: Filmladen / Joss Barratt Sixteen Films

Mit Bert Rebhandl sprach Cantona auch über das Fußballgeschäft und aktuelle Lieblingstrainer.

Standard: Herr Cantona, seit Sie 1997 vom Fußball zurückgetreten sind, haben Sie sich immer wieder mit dem Kino beschäftigt. Sie haben unter dem Titel "Apporte moi ton amour" einen Kurzfilm nach einer Geschichte von Bukowski gemacht. Nun spielen Sie eine Hauptrolle bei Ken Loach. Wie kam das?

Cantona: Die Sache ging von mir aus. Ich hatte mit meinen beiden Brüdern eine Drehbuchidee entworfen, auf zwei Seiten. Wir sind damit zu einer französischen Produktionsfirma gegangen, die mit dieser Idee an Regisseure herangetreten ist. Ken Loach war der erste, mit dem wir ins Gespräch kamen. Sein Drehbuchautor Paul Laverty war auch gleich involviert. Sie waren anfangs ganz offen: Dass daraus ein Film werden würde, konnten sie nicht garantieren. Nach ein paar Monaten aber war dann ein Drehbuch fertig.

Standard: Sie spielen mehr oder weniger sich selbst, den Ex-Fußballer Cantona, der einem Postler mit Rat und Tat zur Seite steht. Dabei zeigen Sie die Abgeklärtheit eines Mannes, der viel erlebt hat. Stand das schon so im Treatment?

Cantona: Nein, bei dem, was wir geschrieben hatten, ging es mehr um eine Beziehung zwischen einem Fan und einem Idol. Paul Laverty hat das weiterentwickelt, und zwar mit allen Freiheiten. Er hat das Moment der Identifikation stärker in den Mittelpunkt gerückt: Ich helfe diesem anderen einfach, indem ich ihm einen Spiegel vorhalte.

Standard: Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Tätigkeit eines Fußballers und eines Schauspielers?

Cantona: Ich habe mit zwölf Jahren zu spielen begonnen. In all dieser Zeit habe ich mich nie als Star empfunden, sondern als Spieler. Ein Spieler auf hohem Niveau. Ein leidenschaftlicher Spieler. Das ist es auch, was für mich das Kino ausmacht: eine Leidenschaft, zu spielen. Beides sind öffentliche Aktivitäten, in beiden Fällen geht es um Risiko, um Ungewissheit, um die Aufregung, die daraus entsteht, und um die Freude daran.

Standard: Fußball ist heute vielfach eine Angelegenheit der Taktik, die Spieler müssen in ein System passen. Sie dagegen stehen für die geniale Inspiration, für das, was das System sprengt.

Cantona: Es geht einfach darum, du selbst zu sein. Ich habe mir nie vor dem Match vorgestellt, wie ich ein Tor schießen würde. Mit meinem Spiel verband sich keine Botschaft. Jeder Moment ist einzigartig, ich agiere im Moment, in der Emotionalität des Moments. Wenn ich eine Rolle spielen würde, dann würde ich meine Spontaneität verlieren. Diese Zehntelsekunde, in der ich die Situation auf dem Platz überblicke, in der ich begreife, was zu tun ist, dieser winzige Moment lässt mir keine Zeit für eine Rolle

Standard: Ihr Umgang mit den Medien ist legendär. In "Looking for Eric" ist auch die berühmte Pressekonferenz noch einmal zu sehen, in der Sie mit dem Satz "Die Möwen fliegen hinter dem Kutter her, weil sie darauf hoffen, dass Fische für sie abfallen" alle konsterniert zurückließen.

Cantona: Viele Leute raten mir immer, ich solle nichtssagende Antworten geben. Das ist nicht meine Sache. Ich gehe da hinauf, sage Hallo, sage meinen Teil, und dann sage ich: Salut. Und dann wird alles, was ich gesagt habe, genau analysiert. Die Leute machen eine große Sache daraus, Dinge werden dramatisiert, als wäre ich ein Held in einem Krieg. Für mich ist das aber alles nicht wichtig. Ich ziehe es vor, darüber zu lachen. Ich amüsiere mich, wenn ich eine Antwort gebe, aus der sich keine Phrase machen lässt.

Standard: Ken Loach und Paul Laverty haben in "Looking for Eric" auch eine Kritik des gegenwärtigen englischen Fußballs hineingeschrieben, der von Investoren beherrscht wird. Teilen Sie dieses Unbehagen?

Cantona: Die Spieler spielen mit gleichem Einsatz, Manchester United spielt immer noch den Angriffsfußball, den ich liebe, die Stadien sind voll. Aber rund ums Spiel hat sich viel verändert. Die Männer an der Spitze der Vereine sind andere geworden. Fußball ist keine Angelegenheit der "working class" mehr. Auch wenn das ganze riesige Geschäft, das damit gemacht wird, verächtlich ist, kann man das Spiel heute nicht mehr ohne das Geschäft haben. Wenn hundert Millionen Leute ein Spiel im TV sehen, dann ist es das, was heute den Fußball ausmacht. Was darunter leidet, ist die alte Identifikation von Menschen mit einem Team aus ihrer Lebenswelt. Niemand macht einen Versuch, das Spiel für die ursprünglichen Fans wieder zugänglicher zu machen. Dabei wächst das Geschäft seit dreißig Jahren beständig, und es müsste eigentlich Geld da sein.

Standard: Sie selbst treten in Werbespots mit jungen Stars wie Cesc Fàbregas auf. Ist das Bild vom lockeren Fußball am Strand, das dort gezeichnet wird, nicht einfach eine Illusion?

Cantona: Nein, ich glaube nicht. Wenn du jemand wie ich werden willst, dann spielst du einfach. Auch wenn du kein Geld hast oder keine Wohnung. Das Spiel bietet dir alle Möglichkeiten. Auf Sand entwickelt man ganz bestimmte Fähigkeiten, man braucht keine Schuhe, man lernt aber die Struktur des Spiels und seine Regeln. Es muss nicht schick sein, es geht um die Grundlagen. Das Ganze hat einen sozialen Effekt.

Standard: 1995 haben Sie im Stadion einen aggressiven Fan tätlich angegriffen und wurden danach acht Monate gesperrt. Wie kamen Sie über diese Zeit hinweg?

Cantona: Es waren neun Monate. Ich habe in dieser Zeit in meinem ersten Film gespielt ("Das Glück liegt in der Wiese" von Étienne Chatiliez, Anm.). Und ich habe mich, weil ich viel Zeit hatte, intensiv mit der Musik von Miles Davis und Chet Baker beschäftigt. Ich habe also selbst mit der Trompete begonnen. Es war frustrierend, denn ich war nicht gut. In "Looking for Eric" ist das ganz gut in die Geschichte integriert worden.

Standard: Wenn Sie im heutigen Weltfußball ein, zwei Spieler nennen müssten, die Sie bewundern: Wer wäre das?

Cantona: Ich nenne lieber zwei Trainer, keine Spieler: Alex Ferguson von Manchester United und Pep Guardiola vom FC Barcelona. Ich mag Ferguson, weil er offensiv und kreativ spielen lässt. In England sind die Leute Fans von ManU wegen dieses Stils. Der Stil von Barcelona ist ganz ähnlich. Die Devise ist: Genieß das Spiel. Gewinnen musst du es aber natürlich auch.
(DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.1.2010)