Bayonetta (Sega/Platinum Games) ist für PlayStation 3 und Xbox 360 erschienen.

Foto: Sega
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Wenn es um die Schaffung einer weiblichen Action-Spiel-Ikone geht, scheint das Gros der Entwickler sich weniger an Powerfrauen wie Linda Hamilton (Terminator) zu orientieren, als an Powerpuppen wie Lara Croft (Tomb Raider). An der Überzeichnung an sich ist eigentlich nichts auszusetzen, Batman könnte im Rampenlicht der Superhelden schließlich auch nicht auf seinen stählernen Körper verzichten. Zum Leidwesen des Publikums wird die Fokussierung auf Rundungen nur dann, wenn gänzlich auf das Köpfchen bzw. den Inhalt vergessen wird. Hideki Kamiya, der Erfinder von "Devil May Cry", hat bereits mehrmals bewiesen, dass er ein Händchen für spektakuläre, maskuline Gewaltinszenierungen hat, jetzt zeigt er seine Interpretation von "Girls and Guns". Seine neueste Schöpfung "Bayonetta" ist keine reine Peepshow, treibt es aber in jeder Hinsicht auf die Spitze.

Sünde

In der Hauptrolle präsentiert sich die gleichnamige Heldin als Jahrhunderte alte (aber nicht gealterte) Hexe, die gerade aus dem Tiefschlaf erwacht ist, um sich mitten in einer Schlacht zweier mächtiger europäischer Klans wieder zu finden. Während die eine Seite Himmelsgeschöpfen gleicht und Heiligenscheine trägt, repräsentiert Bayonetta alle Seiten der sündenvollen Macht. In Leder gehüllt und mit Revolvern in den Händen und an den Fersen tritt sie den Kampf an. Irgendetwas hat die Engelsscharen dazu bewogen, herabzusteigen und anzugreifen. Sollte man dem tatsächlich recht komplexen Hintergrund nicht ganz folgen können, liegt das einerseits an der eigenwilligen Erzählweise und andererseits daran, dass man sich spätestens nach der zweiten Szene nicht mehr auf irgendwelche Sachverhalte konzentrieren kann. Bayonettas Körper wird im Einklang mit den absurd schnellen Prügeleien wie ein Feuerwerk inszeniert. Kameraschwenks zwischen die Beine, Close-ups aufs Dekoltee, ein Hüftschwung wie eine Klapperschlange und immer ein anrüchiger Spruch auf den Lipgloss-Lippen - der Lollipop zwischen den Zähnen darf natürlich auch nicht fehlen.

Engel auspeitschen

Was Bayonetta dann mit ihren heiligen Feinden macht, darf als Peinigung bezeichnet werden. Die flatternden Angreifer werden mit Schwertern zerteilt, mit "Gun-Katas" zersiebt und mit Zaubersprüchen gescholten. Der Komplexitätsgrad ist sowohl für Einsteiger als auch Profis ideal skalierbar. So kann man sogar mit einer Taste ein Inferno am Bildschirm abfeuern. Magie wandelt die Hexenhaare in gigantische Fäuste, zaubert Eiserne Jungfrauen und Guillotinen aufs Parkett und transformiert den fantasievoll proportionierten Damenkörper in eine Raubkatze. Hat man die bis zu Hochhaus großen Monster zu Ende gefoltert, fallen ihre Heiligenscheine vom Kopf. Als wären es Münzen sammelt man sie ein und tauscht sie beim Händler Rodin gegen Upgrades und frisches Schlachtwerkzeug. Die Geschichte rundherum, der Wechsel in Paralleldimensionen und die Erkundung neuer Schauplätze sind nur feinste Kulissen für eine beinharte Combo-Jagd nach Punkten. Davon können auch die Anzüglichkeiten nicht ablenken.

Technische Ungereimtheiten

Es ist ein durch und durch spektakulär inszeniertes Schauspiel, allerdings hat Herausgeber Sega bei der Portierung der PS3-Version teils ziemlich gepatzt. So sind die Texturen gegenüber der Xbox 360-Fassung deutlich schwammiger und längere Ladezeiten bremsen die Achterbahnfahrt. Meldungen nach soll ein künftiges Update die gröbsten Mängel bereinigen. Für einen Titel auf derart hohem Niveau ist das dennoch ein No-go.

Eine interessante Wahl haben die Entwickler bei der musikalischen Untermalung getroffen. Anstatt auf übliche E-Gitarrensounds zu setzen, wird die "Oper Brutal" mit leicht-lockeren Elektro-Klängen persifliert. Das passt zwar nicht ganz zum Spielgeschehen, unterstreicht aber den ironischen Charakter des Spiels perfekt.

Fazit

Bayonetta ist eine Martial-Arts-Hexe auf Steroiden und ihr Feldzug gegen Himmelsgeschöpfe ein Adrenalinrausch für Hartgesottene. Das ist Japan-Hack-&-Slash in Reinkultur. Genre-Fans werden darin ihre "Manga-mäßige" Erfüllung finden, Außenstehende werden die sexualisierte Gewaltorgie als Reizüberflutung empfinden. Von welcher Seite man es auch betrachtet, Bayonetta ist ein einzigartiges Erlebnis.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 17.1.2010)