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Fruchtzucker (Fruktose), der in vielen Softdrinks enthalten ist, helbelt die natürliche Balance der Darmflora aus.

Foto: APA/Karl-Josef Hildenbrand

Leute, die wählerisch beim Essen sind, haben nicht unbedingt einen guten Ruf. Keine Milch, kein Zucker, kein Weizen - das macht Essen zu einer diffizilen Angelegenheit. Nahrungsmittelunverträglichkeit, lautet meist die Begründung: Knapp 1,6 Millionen Österreicher laborieren an Verdauungsproblemen wie Durchfall, Blähung, Bauchweh, Sodbrennen, aber auch Kopfweh und Müdigkeit, und schuld sind dann Zucker, Milch, Weizen und histaminreiches Essen - in unterschiedlicher Kombination.

Bleiben Gastroskopie und Koloskopie ohne Befund, landen Betroffene im Allergielabor. "Wir schließen zuerst die echten Allergien und die Kreuzallergien im Prick-Test aus", sagt Reinhart Jarisch vom Allergiezentrum Floridsdorf (siehe Wissen). Lösen bestimmte Allergene auf der geritzten Haut keine Reaktionen aus, wird mit Blut- bzw. Atemtests eine mögliche Nahrungsmittelintoleranz nachgewiesen. "Fruktose-Intoleranz ist viel häufiger als Laktose-Unverträglichkeit", sagt Jarisch, der übrigens von kommerziellen Tests wie etwa dem York-Test, den Menschen für ein paar Hundert Euro machen, gar nichts hält. "Reiner Unfug, die IgG-Werte nachzuweisen, sie zeigen nur, dass der Körper mit einem Lebensmittel bereits Kontakt hatte", erklärt er.

Halten Nahrungsmittelintolerante dann Diät und meiden Produkte, die ihr Darm nicht verarbeiten kann, stellt sich sofort eine Besserung ein. Jarisch hat dazu eine placebokontrollierte Studie bei Reizdarmpatienten durchgeführt. Das Ergebnis: Laktose- und Fruktoseverzicht führte nicht nur bei Menschen mit Intoleranz zu einer Verbesserung, auch die Gruppe ohne jede Intoleranz fühlte sich nach der Diät besser. Für Jarisch ein Zeichen, dass die Psyche bei Reizdarmpatienten eine zentrale Rolle spielt.

Total überzuckert

Dem widerspricht Ludwig Kramer, Gastroenterologe im Krankenhaus Hietzing und Leiter der ersten österreichischen Ambulanz für Laktose-, Fruktose- und Histaminintoleranz. "Viele Betroffene haben jahrelang gehört, ihre Verdauungsbeschwerden hätten psychische Ursachen, nur das stimmt meist nicht." In die Ambulanz in Hietzing kommen viele, die bereits jahrelange Abklärungsversuche hinter sich haben. Häufig sind es Frauen, die sich "gesund" ernähren wollen. Patientinnen nennt er sie nicht, "weil nur bei den wenigsten entdecken wir eine zugrundeliegende Darm- erkrankung wie etwa Morbus Crohn."

Kramer sowie viele andere Experten sind sich einig, dass die Wurzel des Übels die Ernährungsgewohnheiten in der industrialisierten Welt sind. "Fruchtzucker hat vollkommen fälschlicherweise ein gesundes Image, ist in vielen Light-Produkten enthalten und muss nicht einmal extra als Inhaltsstoff angeführt werden", sagt er. Für Kramer ist klar, dass das Übermaß an Fruktose - vor allem der in vielen Softdrinks und Müsliriegeln enthaltene Mais- sirup auch für die steigende Zahl an Fettlebererkrankung und den Anstieg der Harnsäure (was Bluthochdruck begünstigt und Blutgefäße belastet) verantwortlich ist.

Kramer will aufklären. "Die Lebensmittelindustrie muss verpflichtet werden, den Fruktose-Gehalt exakt anzuführen", sagt er. Die im Krankenhaus Hietzing veranstalteten Vorträge sind voll, zusammen mit Diätologinnen werden Essverhalten analysiert und im Anschluss individuelle Speisepläne erarbeitet. Worüber sich Experten auch einig sind: Nichts ist schwieriger, als Ernährungsgewohnheiten umzustellen, vor allem dann, wenn die zu meidenden Substanzen fast überall enthalten sind. "Oftmals dauert es, bis Menschen herausfinden, was ihnen nicht guttut, nicht selten sind das Laktose- und gleichzeitige Fruktose-Unverträglichkeit oder auch eine Kombination mit Histamin-Intolerenz", sagt Jarisch.

Die gute Nachricht: Die Darmflora regeneriert sich. Für den Ernährungsmediziner Maximilan Ledochowski können Ernährungspläne immer nur individuell erstellt werden (siehe Interview). Er sieht die einzige Chance in einer Verbesserung für die Menschen darin, den Taktiken der Lebensmittelindustrie, die immer billiger produziert und ihre Produkte hochaggressiv vermarktet, den Riegel vorzuschieben. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 25.01.2010)