Dass Jacques Chirac, der damalige französische Präsident, Hauptinitiator der "Maßnahmen" der EU-14 gegen Österreich war, wusste die ÖVP-Spitze spätestens seit Montag, dem 31. Jänner 2000. Damit gedroht hatte er bereits in einem Telefonat mit Andreas Khol am 27. Jänner. Trotzdem ließ es der damalige VP-Klubobmann geschehen, dass Schwarz-Blau wenige Tage später von einem "sozialdemokratischen Komplott" gesprochen hat. Chirac war damals die konservative Führungsfigur Europas.

Khol hat jetzt in einem Gespräch mit dem Standard das Telefonat mit Chirac bestätigt - und damit indirekt zugegeben, eine politische Lüge mitgetragen zu haben. Die Nachricht selbst ist freilich keine Neuigkeit: Günther Burkert-Dottolo, damals Chef der Politischen Akademie der ÖVP, hat im dritten Band der Theorie-Publikationen des Instituts bald nach diesen Ereignissen von "ultimativen" Forderungen Chiracs an Khol berichtet, eine SPÖ-Minderheitsregierung zu unterstützen.

Rekapitulieren wir die Ereignisse vom Dezember 1999 bis zum Februar 2000 - aufgezeichnet im Buch Der Machtwechsel (Verlag Molden, Wien 2000) im Kapitel "Donner und Blitze" , Seite 57 ff.

Bei einem Abendessen im Dezember 1999 in Istanbul befragten Bill und Hillary Clinton Wolfgang Schüssel intensiv über die Auswirkungen von Haiders Wahlerfolg im Herbst. Bei einem zufälligen Treffen am selben Tag fragte Chirac den Österreicher, ob es zu einem Regierungseintritt Haiders und der FPÖ käme. Schüssel soll dezidiert mit "Nein" geantwortet haben.

Am 26. Jänner, einen Tag nach dem Scheitern des Versuchs, eine Minderheitsregierung zu bilden, flog Viktor Klima nach Stockholm zu einer Holocaust-Konferenz. Ein perfektes Ambiente für Sorgen über die Lage in Österreich und verständliche Antworten Klimas auf die Frage, ob man helfen könne: Von gemeinsamen Briefen oder Resolutionen der Regierungschefs war die Rede. Nicht vom behaupteten "Schwur von Stockholm" .

Als am Samstag, dem 29. Jänner, in Davos Jörg Haiders massive Attacken auf Chirac übertragen wurden ("Mini-Napoleon" ), sagten französische Journalisten und Politologen, das lasse sich ein französischer Präsident nicht gefallen. Der Bericht darüber erschien im Standard am 31. Jänner. Erboste Anrufe in der Chefredaktion: Das rosa Blatt versuche, von der sozialistischen Verschwörung abzulenken.

Der 31. Jänner war gleichzeitig der Tag der Verkündigung der "Maßnahmen" durch die portugiesische Präsidentschaft. Schüssel, Haider, Riess-Passer und Khol blieben dabei, eine schwarz-blaue Regierung zu bilden. Khol sagt jetzt, der damalige Bundespräsident Thomas Klestil habe nicht nur eine Minderheitsregierung geplant, sondern davor bereits ein SPÖ-FPÖ-Kabinett. Mit Viktor Klima und Herbert Scheibner. "Da steht es" in Khols Mitschriften. Aber stimmen diese Aufzeichnungen? Denn Khol ist kein objektiver Berichterstatter, und Klestil kann sich nicht mehr wehren.

Vor zehn Jahren dominierte die schwarz-blaue Propaganda. Dazu gehörten die Versuche, Fakten zu verschleiern. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, 2.1.2010)