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Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins wurde mit seinem Buch "Der Gotteswahn" zum Vordenker der "neuen Atheisten".

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Die Soziologin Lois Lee untersucht Ungläubige.

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Für die britische Soziologin Lois Lee, Pionierin der Atheismus-Forschung, ist die Sache komplizierter.

Die These gilt als "Klassiker" der Soziologie: Je moderner und gebildeter eine Gesellschaft ist, desto weniger glauben ihre Mitglieder an Gott. Zahlreiche empirische Studien scheinen diese sogenannte "Säkularisierungsthese" zu bestätigen. Zuletzt war es der britisch-japanische Evolutionspsychologe Satoshi Kanazawa von der London School of Economics, der mit Kollegen entsprechende Ergebnisse lieferte.

Die britischen Forscher analysierten eine Befragung von 14.000 US-amerikanischen Jugendlichen aus den Jahren 2001 und 2002 und stellten dabei fest, dass die Gruppe der Nichtreligiösen mit durchschnittlich 103 den höchsten Intelligenzquotienten hatte, während die streng Gläubigen auf einen mittleren IQ von 97 kamen – ein minimaler, aber doch signifikanter Unterschied, wie sie im Fachblatt Social Psychology Quarterly schreiben.

Atheismus-Hochburg Oxford

Eine weitere Bestätigung dieses Zusammenhangs scheint eine Untersuchung der Studierenden an der Universität Oxford zu bringen. Bei einer Befragung im Jahr 2007 gaben von den 728 Studierende der Elite-Uni immerhin 57,3 Prozent an, Agnostiker oder Atheisten zu sein. Zum Vergleich: In der britischen Gesamtbevölkerung sind es nur fünf Prozent.

Dennoch beharrt Lois Lee darauf, die Dinge differenzierter zu betrachten. Die Soziologin von der Universität Cambridge hat Anfang des Monats in der britischen Wissenschaftszeitschrift New Scientist einen viel beachteten Essay mit dem Titel Where do atheists come from veröffentlicht, in dem sie auch auf die Studie aus Oxford einging – und unter anderem darauf verweist, dass die älteren (und damit gebildeteren) Studenten in Oxford "gläubiger" sind als die jüngeren.

Einen gewissen Widerspruch zur Säkularisierungsthese bzw. zur Korrelation "je gebildeter, desto ungläubiger" stellen aber auch gewisse Zahlen der "Weltweiten Werte Umfrage" dar: Da zeige sich etwa, dass sich weltweit 17,2 Prozent aller Personen mit Maturaabschluss als ungläubig bezeichnen, aber nur 14,8 Prozent der Uni-Absolventen, so Lois Lee im Gespräch mit dem Standard .

Die junge Soziologin ist eine der ersten Fachvertreterinnen, die systematisch den "Glauben" der Ungläubigen erforscht. "Während Religiosität und Religionszugehörigkeit von der Soziologie seit langem und intensiv untersucht wurden, war der Atheismus bis vor kurzem ein blinder Fleck."

Lee will daran etwas ändern, weshalb sie im Dezember an der Uni Oxford die erst zweite wissenschaftliche Konferenz zu dem Thema mitorganisiert hat. "Die erste fand übrigens 1969 im Vatikan statt", so die Soziologin, die zurzeit als Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien arbeitet. Zudem ist sie Gründerin und eine der vier Leiter des Non-Religion and Secularity Research Network, mit dem einschlägige Forschungen vernetzt und besser abgestimmt werden sollen.

Lee bezeichnet sich selbst als "eher atheistisch". Das sei aber keine notwendige Voraussetzung für die soziologische Erforschung der Atheisten und Agnostiker: "Zwei der vier NSRN-Leiter sind gläubig" – im Gegensatz freilich zu den meisten Sozialwissenschaftern, die selbst unter den Wissenschaftern zu einer besonders ungläubigen Gruppe gehören.

Was lässt sich sonst noch aus soziologischer Perspektive über die Atheisten sagen? "Der typische Atheist ist männlich, weiß und steht politisch eher links", so Lois Lee. Und: Es sind in den vergangenen Jahren eindeutig mehr geworden – trotz einer gewissen "Wiederkehr des Religiösen".

Vier Prozent in Österreich

Das lässt sich sogar für das sonst noch recht gläubige Österreich zeigen, wo der Anteil der bekennenden Atheisten laut Europäischer Wertestudie 2008 von zwei auf vier Prozent gestiegen ist. In Frankreich gebe es immerhin schon 15 Prozent Atheisten, während ihr Anteil in Großbritannien "auch nur rund fünf Prozent beträgt", so Lee. Und das trotz Richard Dawkins, des Missionars des "neuen Atheismus".

Der britische Evolutionsbiologe habe mit seinem Buch The God Delusion (2006) (dt.: Der Gotteswahn) sicher dazu beigetragen, den "Ungläubigen" eine Stimme zu geben, bestätigt Lee. "Für viele von ihnen ist Dawkins aber auch zu radikal und rechthaberisch." (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 17.03.2010)