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Ob die weltweite Gewichtsepidemie mit der Eradikation des Helicobacter pylori zusammenhängt, ist ungeklärt.

Foto: APA/Volker Brinkmann

Ein Berühmtheit unter den humanpathogenen Bakterien: Der Helicobacter pylori - Das spiralenförmige Stäbchenbakterium wurde vor über 100 Jahren vom Pathologen W. Krienitz in der Magenschleimhaut von Magenkarzinompatienten beschrieben, 1983 von Robin Warren und Barry Marshall im Zusammenhang mit Magengeschwüren wiederentdeckt, und hat sich seither in mehr als 22.000 wissenschaftlichen Arbeiten wiedergefunden. Medizinisch-therapeutisch betrachtet, ist man dem Keim mittlerweile gewachsen. Mit seiner erfolgreichen Eliminierung schwindet nun aber auch das Interesse an ihm.

Dabei sind die infektiologischen Eigenschaften des Helicobacter keineswegs restlos geklärt. Bis heute wird nur darüber gemutmaßt, wie man das Stäbchenbakterium eigentlich akquiriert. Schmeißfliegen als mögliche Überträger und fäkal-orale Infektionswege waren bislang unter anderem im Gespräch. In unseren Breiten ist diese Frage jedoch nicht weiter von Relevanz. Den guten hygienischen Bedingungen ist es nämlich zu verdanken, dass der Helicobacter pylori zumindest im europäischen Raum schon beinahe zu den bedrohten Mikroorganismen zählt.

Erfolgsgeschichte geschrieben

Und während vor wenigen Jahren noch über die Notwendigkeit einer Helicobacter Impfung heftigst spekuliert wurde, beginnen sich nun - zumindest in den Industrienationen - Experten auf der erfolgreichen Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren auszuruhen. Zu Recht, denn eine Kombination aus zwei verschiedenen Antibiotika und einem Magensäureblocker lässt den Keim in 80 bis 90 Prozent aller infizierten Fälle zur Gänze verschwinden. Umfangreiche Magenoperationen, wie Teilresektionen im Rahmen einer Billroth-Operation, gehören damit schon der Vergangenheit an.

In einem Punkt herrscht jedoch nach wie vor Uneinigkeit: Was, wenn das Bakterium völlig beschwerdefrei im Magen verweilt? Ist die Infektion dann trotzdem behandlungswürdig oder eben nicht? Als Auslöser von Magenkrebs, wurde aus gutem Grund immer wieder über flächendeckendes Atemtest-Screening diskutiert. „Solange der Keim keine Beschwerden macht und keine Magenkrebsfälle in der Familie vorliegen muss man den Helicobacter pylori auch nicht zwingend in jedem Fall behandeln", vertritt Christoph Högenauer, Gastroenterologe an der Medizinischen Universität in Graz seine persönliche Meinung und unterstreicht diese mit Hypothesen, die dem Keim durchaus auch positive Eigenschaften abgewinnen.

Folgenschwere Eradikation

Antiallergene Wirkungen werden dem Helicobacter ebenso unterstellt, wie ein schützender Effekt gegen ösophageale Refluxerkrankungen und Speiseröhrenkrebs. Interessante Theorien, die zwar wissenschaftlich nur teilweise belegt wurden, aber trotzdem zeigen, dass die starke Dezimierung des Keims möglicherweise nicht nur von Vorteil ist für das Ökosystem Mensch. Neuerdings wird sogar die weltweite Gewichtsepidemie mit der großzügigen Eradikation des Bakteriums in Verbindung gebracht. Die Erklärung dahinter: Die von Helicobacter pylori befreite Magenschleimhaut steigert möglicherweise die Produktion des appetitanregenden Hormons Grehlin.

Vom Magen in den Darm

Das Problem Helicobacter scheint also wesentlich vielschichtiger als von der Fachwelt mitunter interpretiert. Trotzdem will Högenauer die Wohngemeinschaft im menschlichen Gastrointestinaltrakt nicht länger auf den Helicobacter pylori reduziert wissen. „Die wichtigsten Eigenschaften des Keims sind geklärt", meint der Grazer Experte und richtet seinen Fokus nunmehr auf die Bakterienflora im Darm. Hundert Billionen verschiedene Mikroorganismen besiedeln diesen Teil des menschlichen Verdauungssystems. Von den meisten wissen Forscher bislang nur wenig. „Ich beschäftige mich vor allem damit, inwiefern die Darmflora einen Schutz vor Infektionen im Magen-Darm-Trakt bietet", erklärt Högenauer, und hofft damit mehr Informationen über die große Unbekannte im menschlichen Organismus zu gewinnen. (derStandard.at, 13.4.2010)