Schmutzige Geschäfte: Die Krimiserie "Im Angesicht des Verbrechens" stellt Abgründe organisierter russischer Kriminalität in Berlin dar: Freier (Bernd Stegemann), Prostituierte, Orgien. Dienstag und Samstag, 22.05 Uhr, Arte.

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Dominik Graf, Regisseur von "Im Angesicht des Verbrechens".

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Wien - Es gehört zu den Besonderheiten von außergewöhnlichen Filmen, dass sich fast immer Legenden um ihre Entstehungsgeschichten ranken. Billy Wilder, wie er Marilyn Monroe bei "Some Like It Hot" zum Weinen brachte. Oder die desaströse Zusammenarbeit zwischen Lars von Trier und Björk. Oder das finanzielle Desaster von Michael Ciminos "Heaven's Gate": Je schlimmer die Dreharbeiten, desto schillernder das Ergebnis, desto bleibender die Erinnerung. Die Legenden zum Dreh von "Im Angesicht des Verbrechens" drohen das Ergebnis mittlerweile zu überdecken.

Endlose Diskussionen

115 Drehtage, 180 Sprechrollen, Arbeitstage bis zu 18 Stunden, gekürzte Gagen, endlose Diskussionen um den Schnitt, Schreiduelle mit Redakteuren, die Produktionsfirma ist darüber pleitegegangen, schließlich: 500 Minuten Film. Das sind Dimensionen, die Fernsehen nicht kennt.

Und natürlich ist es nur Zufall, dass weder Dominik Graf noch Hauptdarstellerin Marie Bäumer mit dem Standard sprechen können, andere Verpflichtungen haben, als ihr herausragendes Produkt zu vermarkten, was sonst zu den Pflichten der Kreativen gehört. Bei der zehnteiligen Ausnahmeserie ist eben alles anders.

Graf taucht nach dem Drehbuch von Rolf Basedow in den Sumpf der russischen Mafia mitten in Berlin ein. Basedow tauchte in die Unterwelt bereits für "Hotte im Paradies" ein, den Graf 2002 verfilmte. Eineinhalb Jahre recherchierte er im Milieu und drang in die tiefsten Abgründe der organisierten Kriminalität ein. Inzwischen hat die Realität den Film eingeholt: Berlin gilt als "Ruhezone". Die Russenmafia wickelt ihre Geschäfte heute zwischen Spanien und Nordafrika ab.

Unzahl an Erzählsträngen

Was Graf daraus macht, gehört zum vielschichtigsten, das je im deutschsprachigen Fernsehen zu sehen war und kommt dem präzisen Stil von US-Serien wie "The Wire" erfreulich nahe. Wie in David Simons hochgelobter Polizeiserie knüpft Graf eine Unzahl an Erzählsträngen und schafft es, dass sich kein einziger in Nebenräumen verliert: Der Polizist Marek (Max Riemelt), Sohn baltisch-jüdischer Einwanderer, sucht den Mörder seines Bruders. Seine Schwester Stella (Marie Bäumer) ist verheiratet mit dem Restaurantbesitzer Mischa (Misel Matièeviæ). Treu ist der nur seinen Kumpanen, Schwerkriminellen, die sich bei ihm im Lokal treffen. Die beiden Mädchen aus der Ukraine, die in der Hölle landen und immer noch glauben, sie können aus ihr entkommen. Und viele, viele Kollegen, Freunde, Kleinkriminelle, Zigarettenschmuggler, Mittäter, Nebenopfer, die alle auch eine Rolle spielen und die - große Kunst! - man schon nach einer Folge nicht mehr vergisst.

"Im Angesicht des Verbrechens" erzählt von einer saturierten Struktur, die ihr Geld in illegale Geschäfte steckt und von jungen, hungrigen Nachkömmlingen gefordert wird, die auf die herkömmliche Organisation pfeifen.

Kostenexplosion

"Wenn man sich da nicht kloppt, stimmt was nicht", mimt ein Vertrauter aus dem Arte-Umfeld Verständnis. Dominik Graf sei ein "Maniac", der "keinen Millimeter von seinen Vorstellungen abweicht". Die Produktionskosten explodierten, weil aus arbeitsrechtlichen Gründen 18-Stunden-Tage verboten wurden und sich dadurch die Drehzeit verlängerte. Statt acht Millionen kostete die Serie schließlich zehn. "Grottenfalsch finanziell gerechnet" sei die Serie, klagt Graf im Filmmagazin Cargo voller Zorn. Das führte dazu, dass die Schauspieler auf Gagen verzichteten. Die Produktionsfirma Typhoon des ehemaligen RTL-Programmmachers Marc Conrad ging daran zugrunde. Conrad sieht eine Verantwortung des mitproduzierenden WDR. Insider vermuten, Conrad selbst habe verheerend falsch kalkuliert.

Die Produktion hinterlasse "förmlich eine Blutspur", berichten Mitarbeiter. Graf hatte das Gefühl, er müsse das Drehbuch schützen und war in puncto Überzeugungen nicht zu überreden. Die Schauspieler vergöttern ihn deshalb, weil er auch sie schützt vor den Begehrlichkeiten und Störversuchen der "Quotenschreihälse".

"Ich muss noch bis Februar durchhalten, um diese Fertigstellungsphase zu überstehen", sagte Graf während des Drehs, war Sonntag im Arte-Porträt zu sehen (Wiederholungen: 26. 4., 1. 5.).

Die reinigende Wirkung des Konflikts erfuhr Graf aber ebenso, denn in die russische Welt einzutauchen, habe "wahnsinnigen Spaß" gemacht, sagt er an anderer Stelle: "Ich hab dann wirklich das Gefühl, alles lebt. - Ich auch." Auch aus solchen Sätzen nähren sich Legenden. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 26.4.2010)