Alan Wake (Remedy/Microsoft) ist für Xbox 360 erschienen

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Das Entwicklerstudio Remedy (Max Payne) hat seine Fans über die vergangenen fünf Jahre wirklich auf die Folter gespannt. Hieß es zunächst, der nächste Streich solle ein Open-World-Abenteuer werden, das die Fähigkeiten der Windows-Grafikschnittstelle DirectX 10 demonstriere, wurde es zeitweise richtig still um das Projekt. Dann der Sturm aus der Versenkung: "Alan Wake" werde ein Story-getriebenes, geradliniges Spiel exklusiv für Xbox 360. Seit Ende vergangener Woche steht das mit "Psychological Action Thriller" untertitelte Werk in den Regalen der Fachhändler.

Lost in the dark

Was unter diesem Terminus tatsächlich zu verstehen ist, darf jeder selbst ergründen. Banal zusammengefasst ist der Remedys neueste Schöpfung ein cineastisch inszenierter Survival-Horror-Shooter, der sich spielerisch ganz stark an Genrevertretern wie "Resident Evil" orientiert und erzählertechnisch von Serien wie "Lost" und den mystischeren Geschichten Stephen Kings zehrt.

Bestseller-Autor Alan Wake flüchtet mit seiner Frau Alice aus dem Arbeitsalltag in das Urlaubsidyll Bright Falls. Von "Twin Peaks" inspiriert, sucht man zwischen Nadelbaumwald, Bergsee und Holzhütte Ruhe und Entspannung. In der malerischen Kleinstadteinöde wird der Star, umringt vom kitschigen Sonnenuntergang und der Leichtigkeit des Seins, von literarischen Verehren herzlich willkommen geheißen. Doch anstatt gemütlich Angeln gehen zu können, muss alles anders kommen. Die Blockhütte am See entpuppt sich als gemeine Falle. In den Wirren eines Stromausfalls verschwindet die geliebte Gattin. Dass man es mit übernatürlichen Kräften zu tun hat, wird klar, als sich in der einbrechenden Dunkelheit Geistergestalten manifestieren.

Deja-vu

Mit einer Taschenlampe bewaffnet, auf der Suche durch die Botanik ereilt Wake eine beunruhigende Vermutung. Er findet einzelne Seiten eines Manuskripts, das vorherzusagen scheint, was passieren wird. Tatsächlich sind es Seiten eines seiner eigenen Romane, an den er sich jedoch nicht erinnern kann. Wie in "Max Payne" erzählt der Protagonist seine Erlebnisse rückblickend und führt so durch den Handlungsstrang. Das macht das Geschehen einnehmender, wenngleich manches Mal auch sehr vorhersehbar. So kommt es, dass man sich vor der Konfrontation mit den ersten Geisterwesen weniger fürchtet. Eher wird über die gesamte Spieldauer hinweg ein Überlebensstressgefühl aufgebaut. Die von einer überirdischen Macht besessenen Dorfbewohner rücken einem wie Schattenwesen mit Axt und Motorsäge bewaffnet auf die Pelle. Einzig probates Mittel dagegen ist Licht in jeder Form. Mit der Taschenlampe oder einer Fackel muss zuerst das Böse ausgetrieben werden, bevor Pistolenkugeln oder Gewehrschrot den Rest erledigen. Das freizügige Spiel mit dem Licht bedingt in der Dunkelheit eine aufregende, dichte Atmosphäre, die allein schon von den unheimlichen Nebelschwaden und dem Rascheln im Dickicht getragen würde.

Previously in Paranoia-Land

Die Entwickler haben es jedenfalls verstanden, den Spieler innerhalb von Minuten zu fesseln. Einen Gutteil dessen besorgen die schrägen Charaktere, die Wakes Albtraum begleiten. Trotz unansehnlicher Animationen und verwaschener Texturen lullen etwa die eigene Frau, die Angst im Dunkeln hat oder der nervöse Agent, der zur Hilfe eilt, in die Fantasie ein. Zum Patschenkino-Feeling trägt gewiss auch die episodenhafte Inszenierung bei. Jedes Kapitel wird wie bei einer Serie durch einen Rückblick eingeleitet und durch einen Cliff-Hanger abgeschlossen. Nicht nur trägt dies zur Stimmung bei, sondern dürfte auch all jenen Entgegenkommen, die nicht 15 Stunden am Stück zum Durchspielen Zeit haben. Stehende Ovationen verdient überdies die nahezu perfekte und streckenweise überraschende musikalische Untermalung.

Schießbude

Etwas ernüchternd ist, dass trotz dieser willkommenen Innovationen und geglückten Serien-Adaptierungen ausgerechnet beim Spieldesign selbst nur auf altbewährte Verhaltensmuster zurückgegriffen wurde. Alan Wake ist Buchautor und schießt von der ersten Minute bis zum Schluss wie ein Cowboy ein Gespenst nach dem anderen über den Haufen. Innerhalb der anfänglichen 15 Spielminuten muss man gefühlte zehn gleich aussehende Fieslinge umlegen. Als dann nach menschlicheren Wesen auch Fahrzeuge und Tiere zu geisterhaften Angreifern werden, geht es im Dauerstress schließlich bloß noch darum, genügend Munition und Batterien für Colt und Taschenlampe zu haben. Vielleicht hätte hier der eine oder andere inspirierende Blick zu "Heavy Rain" und friedvolleren Adventures gut getan. Mag auch sein, dass bei der Wandlung vom ursprünglich geplanten Open-World-Game viele der erwarteten Aspekte wie die Erkundung und Erforschung der mysteriösen Welt auf der Strecke geblieben sind.

Fazit

Sollte man sich mehr einen Nervenkitzel fürs Köpfen erwartet haben, wird man vom "Psychological Action Thriller" enttäuscht. Alan Wake ist ein Shooter, der von seiner dichten Atmosphäre, der spannend erzählten, wenngleich gegen Ende etwas substanzlosen Geschichte und dem gruseligen Spiel mit Licht und Schatten lebt. Wer Survival-Horror mag, wird in Remedys Langzeitprojekt aber gewiss eine der besten Iterationen des Genres finden. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 16.5.2010)