Bild nicht mehr verfügbar.

Schreckgespenst Krankheit

Foto: AP/Franka Bruns

derStandard.at: Ist Hypochondrie eine Krankheit, beziehungsweise was ist eine Somatoforme Störung?

Heintz: Echte Hypochondrie ist in der Tat eine Krankheit, für die es im ICD-10, das ist die derzeit gültige internationale Klassifikation der Krankheiten, definierte Kriterien gibt. Die Hypochondrie zählt nach eben jenem ICD-10 zu den somatoformen Störungen. Somatoform heißt soviel wie körperähnlich. Diese Störungen sind also im weitesten Sinn Abweichungen vom normalen Befinden, die den Eindruck erwecken eine körperliche Ursache zu haben, ohne dass dies zutrifft. Bekannte Vertreter sind neben der Hypochondrie z.B. die Herzphobie, der Reizmagen oder das Reizdarmsyndrom.

derStandard.at: Leiden denn Hypochonder gerne?

Heintz: Unter den Menschen, die im Volksmund landläufig als Hypochonder bezeichnet werden, gibt es sicherlich einen nicht unbeträchtlichen Anteil, der seine echten und eingebildeten Wehwehchen und Malaisen mit einem gewissen Genuss zelebriert und gerne auch andere Menschen unfreiwillig daran teilhaben lässt.

Menschen, bei denen die klinische Diagnose "Hypochondrie" gestellt wurde, leiden unter der Erkrankung und haben daran sicher kein Vergnügen. Mein Buch ist allerdings kein psychiatrisches Lehrbuch, sondern will auf unterhaltsame Art über die möglichen Spielarten des eingebildeten Kranksein unterrichten - und das reicht eben von der leicht erhöhten Krankheitsangst, die viele von uns in sich spüren, bis hin zur echten Hypochondrie, die relativ selten ist. Für Deutschland geht man davon aus, dass nur etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung echte Hypochonder sind. Menschen mit erhöhter Krankheitsangst - nennen wir sie mal kleine Hypochonder - geben sich in unseren Arztpraxen allerdings die Klinke in die Hand.

derStandard.at: Was steckt hinter Hypochondrie? Was macht Menschen besonders anfällig für Krankheitsangst?

Heintz: Kein Mensch kommt als Hypochonder zur Welt. Angeboren ist uns allerdings eine gesunde Angst davor krank zu werden - und das ist auch gut so. Bei Hypochondern ist diese Urangst aber ins Ungesunde gesteigert. Um ein echter Hypochonder zu werden, müssen aber schon viele Faktoren zusammenkommen: Eine bestimmte ängstlich neurotische Persönlichkeitsstruktur, prägende Erlebnisse mit Krankheit und/oder Tod, erlerntes Fehlverhalten im Umgang mit Krankheiten, eine gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber körperlichen Empfindungen und noch einige weitere.

derStandard.at: Wann fängt Hypochondrie an und wo hört sie auf?

Heintz: Zwischen einem normalen Umgang mit der uns angeborenen Krankheitsangst, einem erhöhten Krankheitsbewusstsein und dem Vollbild der Hypochondrie sind die Grenzen fließend. Der Weg vom kleinen Hypochonder zum großen Hypochonder ist ein stetiger, meist schleichender Prozess. Zum Glück kommen die wenigsten an. Letztlich ist es aber eine Frage der Definition, über die Dauer, die Art und der Umgang mit den Beschwerden und dem Grad der Beeinträchtigung der Lebensqualität. Jenseits der Hypochondrie gibt es noch den hypochondrischen Wahn, der die Züge einer Psychose trägt und dann schon im Bereich der Schizophrenie oder bestimmter Depressionsformen angesiedelt ist.

derStandard.at: Gibt es so etwas wie ein Ranking der beliebtesten Hypochonderkrankheiten? Wenn ja, warum sind diese Krankheiten die beliebtesten? Korrelieren sie mit den tatsächlich am häufigsten auftretenden Krankheiten?

Heintz: Bei den echten Hypochondern belegen Krebs, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und des Nerven- und Immunsystems die Spitzenplätze. Die „Beliebtheit" lässt sich damit erklären, dass all diese Krankheiten potenziell lebensbedrohlich und daher insgesamt stark angstbesetzt sind. Erleichternd kommt hinzu, dass zumindest in den frühen Phasen dieser Erkrankungen die auftretenden Symptome recht unspezifisch sind, sodass der Hypochonder genügend Raum für seine Interpretationen vorfindet. Was das tatsächliche Auftreten betrifft, sind Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen in der Tat die Erkrankungen, die am häufigsten mit dem Tod enden. Neurologische und Immunerkrankungen sind allerdings aber eher selten.

derStandard.at: Sie waren selbst als Arzt tätig und haben mit Patienten zu tun: Gibt es heute mehr Hypochonder als früher?

Heintz: Ich bin seit einigen Jahren nicht mehr als Arzt tätig, davor hatte ich als Narkosearzt mehrheitlich mit Patienten zu tun, deren Erkrankungen überaus real waren. Kollegen, die sich im klinischen Alltag regelmäßig mit Hypochondern befassen, tendieren aber zu der Aussage, dass die Zahl zunimmt. Die derzeitige Studienlage lässt jedoch keinen eindeutigen Schluss zu.

derStandard.at: Verstärkt die Informationsflut im Internet (Foren, Netdoktoren usw.) das Phänomen? - Stichwort gebildeter Patient?

Heintz: Ja, die ubiquitäre Verfügbarkeit medizinischer Informationen kann das Phänomen verstärken. Niemals zuvor war es so leicht zu seinen Symptomen die passende Krankheit zu finden. Das Problem speziell im Internet ist, dass die Qualität der Informationen extrem unterschiedlich ist. Cyberchonder mit Internet-Print-out-Syndrom wuchten in schöner Regelmäßigkeit ganze Stapel medizinischen Flachwissens auf die Schreibtische ihrer Ärzte und erwarten, dass diese sich den vermeintlich neuesten Erkenntnissen beugen. Keine Frage, jeder Arzt wünscht sich Patienten, die für ihre Gesundheit Verantwortung selbst übernehmen wollen, aber hier geht der Schuss oft nach hinten los.

derStandard.at: Ist jeder Arzt in gewisser Weise ein Hypochonder? Beziehungsweise wie lernt man als Arzt nicht alle Körperphänomene als Symptom zu hinterfragen?

Heintz: Pauschal kann man das so sicher nicht sagen, ich denke aber doch, dass Ärzte ziemlich gefährdet sind. Schließlich werden sie tagein tagaus mit Krankheiten konfrontiert. Wahrscheinlich gibt es viele Kollegen mit mehr oder minder erhöhter Krankheitsangst - echte Hypochonder werden eher selten sein. Bei Medizinstudenten gibt es dazu Untersuchungen: 70 bis 80 Prozent geben hypochondrische Ängste an, meistens handelt es sich aber um eine Hypochondrie auf Zeit. Wahrscheinlich stellen sie im Lauf des Studiums doch irgendwann fest, dass sie nicht alle Krankheiten, die sie gerade gelernt haben, bekommen können.

derStandard.at: Kann Hypochondrie therapiert werden?

Heintz: Die besten Chancen auf Besserung bietet eine Therapie der Psyche, zum Beispiel eine Verhaltenstherapie, in der man lernt, krank machende Probleme und Verhaltensweisen zu erkennen und alternative Handlungsstrategien anzuwenden. Manche Psychopharmaka können zudem unterstützend eingesetzt werden. (derStandard.at, 19.5.2010)