Kratzen hinterlässt Spuren auf der Haut. Der Hautarzt kann differenzieren, ob die Kratzeffloreszenzen auf gesunder oder  kranker Haut entstanden sind.

Foto: derStandard.at/Ursula Schersch

Bis in die späten 90-er Jahre hielten Forscher Jucken für nicht mehr und nicht weniger als einen unterschwelligen Schmerz. Diese Ansicht ist heute obsolet. Seit Juckforscher an der Universität Heidelberg 1996 eigene Juckreiz- Nervenfasern in der Haut entdeckten, steht fest: Der Juckreiz besitzt den Status einer eigenen Sinnesqualität und ist nicht der kleine Bruder des Schmerzes. 

Das Interesse am Jucken wächst seitdem stetig und ist epidemiologisch betrachtet durchaus berechtigt. Darf man Schätzungen glauben, dann werden immerhin acht Prozent aller Erwachsenen, die in eine Allgemeinpraxis kommen, von chronischem Juckreiz geplagt. Wobei Mediziner von chronisch nur dann sprechen, wenn das Jucken mindestens sechs Wochen lang persistiert. Dass die Zahl stimmt, zeigen spezialisierte Anlaufstellen, wie die Juckreizambulanz der Hautklinik an der Medizinischen Universität in Graz. An Patienten mangelt es dort nämlich nicht.

Phänomen mit Warnfunktion

Jucken ist per se kein pathologisches Phänomen. Jeden Menschen juckt es dann und wann einmal irgendwo. Meist wird diese Empfindung auf der Haut weder wahrgenommen, geschweige denn als störend empfunden. „Der Pruritus hatte in früherer Zeit die Funktion auf Fremdkörper wie Parasiten oder toxische Pflanzenbestandteile auf der Hautoberfläche aufmerksam zu machen", erklärt Franz Legat, Dermatologe an der Juckreizambulanz in Graz, wozu das physiologische Jucken heute wie damals zweckdienlich ist. Pathologisch wird's, wenn das permanente Kitzeln, Prickeln oder Brennen auf der Haut zum quälenden Störfaktor wird. Die Warnfunktion behält das Jucken zwar bei, allerdings macht es in diesem Fall unter Umständen auf systemische oder dermatologische Erkrankungen aufmerksam. 

Leider tut es das nicht immer auf offensichtliche Weise, was den chronischen Pruritus selbst für Dermatologen zur Herausforderung macht. Das Symptom Jucken verläuft weder synchron mit der jeweiligen Grunderkrankung, noch verschwindet es automatisch mit erfolgreicher Behandlung der jeweiligen Ursache. „Das bullöse Pemphigoid kann mitunter bereits zwei Jahre bevor Blasen auf der Haut auftreten, bereits Juckreiz verursachen", weiß der Grazer Experte. Umgekehrt kann der Juckreiz erst Wochen nach dem Auftreten einer Erkrankung manifest werden.

Aufwändige Ursachenforschung

Was die Diagnostik weiter erschwert ist das Kratzen, das vielen Betroffenen zur kurzfristigen Erleichterung ein dringendes Bedürfnis ist. Kratzen hinterlässt Spuren auf der Haut und dem Hautarzt obliegt es zu erkennen, ob die Kratzeffloreszenzen auf gesunder oder aber kranker Haut entstanden sind. 

„Der Pruritus auf primär nicht-entzündlicher Haut entsteht unter anderem im Rahmen verschiedener systemischer Erkrankungen", erklärt Legat wie er sich am klinischen Bild zu orientieren versucht. Pruritus auf entzündlicher Haut findet sich dagegen im Rahmen verschiedener Dermatosen, wie der Neurodermitis, der Schuppenflechte oder der Urtikaria. Neben der genauen Inspektion, ist die Frage nach dem zeitlichen Auftreten des Juckreizes Bestandteil einer ausführlichen Anamnese. Die Lokalisation der Hautveränderungen gibt dem Dermatologen ebenfalls wichtige Hinweise. 

„Der Aufwand bis zur jeweiligen Diagnose kann ein beträchtlicher sein", betont Legat. In 8-10 % aller vom Jucken Geplagten bringt die aufwendige Ursachenforschung dennoch kein Resultat und die Diagnose lautet: Pruritus unklarer Genese. Was folgt ist eine halbjährliche Einladung der Betroffenen in die Grazer Juckreizambulanz, um gegebenenfalls Erkrankungen die sich verzögert entwickeln, frühzeitig zu erkennen.

Provokationsfaktoren meiden

So erfreulich die Tatsache, dass sich hinter dem Jucken keine Erkrankung der Nieren, der Leber, kein Morbus Hodgkin oder kein Schlaganfall verbirgt und die Haut zudem frei von entzündlichen Dermatosen ist, so unbefriedigend ist das Ergebnis für die Betroffenen aber doch. Das Leben mit chronischem Pruritus ist ein Martyrium, ergo behandlungsbedürftig. Trial and error - Nach diesem Motto erfolgt die symptomatische Therapie. In jedem Fall lohnt es sich alles was die Haut austrocknen könnte zu meiden. Auf heißes und häufiges Duschen sollte man deshalb ebenso, wie auf die Verwendung alkoholischer Lösungen verzichten. Alles was die Haut dagegen geschmeidig hält, ist fortan erlaubt. Dazu zählen unter anderem rückfettende Pflegeprodukte, die mit Hilfe von Harnstoff, Glycerin oder Polidocanol, das quälende Jucken erleichtern. 

„Häufig sind diese simplen Maßnahmen bereits von Erfolg gekrönt", weiß Legat zu berichten. Insbesondere dann, wenn der Grund für das Jucken ausschließlich durch trockene Haut bedingt ist. Für kompliziertere Fälle kommen unter anderem Antihistaminika, andere juckreizmildernde Medikamente oder eine UV-Therapie zum Einsatz. Liegt die Vermutung nahe, dass eine psychische Genese den chronischen Pruritus verursacht, werden Psychologen und Psychotherapeuten in die Behandlung mit involviert. „Entscheidend ist immer, das Jucken nicht zu verharmlosen", betont Legat und sieht keinen Anlass sich mit einem chronischen Pruritus zu arrangieren. (derStandard.at, 26.08.2010)