Die Diskursforscherin Ruth Wodak analysiert seit Jahren eine vorurteilsbehaftete Sprache im Umgang mit Fremden und meint, dass es rechten Politikern mit Skandalisieren und Selbstdarstellung als Opfer gelingt, einige Medien zu instrumentalisieren.

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STANDARD: Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Sprache, die Politiker und Medien im Umgang mit "Fremden" gebrauchen. Gibt es da innerhalb Europas Unterschiede in der Art der Schubladisierung?

Wodak: Unser Team hat das beispielsweise anhand britischer Medien untersucht, aber ich sehe keinen großen Unterschied zur Sprache der Medien in Frankreich, in Österreich, in Belgien oder den Niederlanden, also in Staaten, wo Rechtspopulisten eine große Rolle spielen und diffuse Ängste schüren. Die Regierungen versäumen es oft, mit Aufklärung entgegenzuwirken. Eine sachliche Diskussion scheint nicht möglich. Stattdessen werden die unterschiedlichen semantischen Kategorien vermischt. Und es scheint völlig egal zu sein, ob die Betroffenen Flüchtlinge, Migranten oder Asylanten sind. Sie landen meist in ein und derselben Schublade. Da kommt dann schnell das Attribut "illegal" dazu; verbunden mit Vorurteilen wie "Das sind alles nur Drogendealer" oder "Die nehmen mir die Arbeit weg" baut sich ein Bild auf, mit dem wir in ganz Europa konfrontiert sind.

STANDARD: Wird vorurteilsbehaftete Sprache in Vorwahlzeiten wie jetzt in Wien häufiger gebraucht?

Wodak: Machen die Parteien nicht immer Wahlkampf, auch wenn die Wahl längst entschieden ist? Und zwar aus meiner Sicht meist nach dem gleichen Muster: Die Rechtspopulisten setzen immer wieder ein Thema, oft mit einem Skandal verbunden, nicht selten geht es dabei um Anti-Ausländer-, Anti-Muslime- oder Anti-EU-Themen; die Medien berichten dann sofort darüber. Nach einer versuchten Richtigstellung sucht ihr Parteichef nach den Schuldigen, nach Drahtziehern und fühlt sich als Opfer einer Verschwörung. Wieder berichten die Medien. Das ist ein ewiger Kreislauf, eine Schleife, die kein Ende nimmt. Und die Rechtspopulisten profitieren davon, weil sie im Gespräch bleiben - wie ein Perpetuum mobile.

STANDARD: Was schlagen Sie vor: Nicht berichten?

Wodak: Es hängt natürlich vor allem von der Art der Berichterstattung ab. Es gibt leider zu viele Medien, die jede noch so unbedeutende Wortmeldung von Rechtspopulisten als Schlagzeile bringen, weil diese Politiker knackige Sager liefern, die man gut verkaufen kann. Diese Medien haben, da sie sich instrumentalisieren lassen, ihren Teil der Schuld zu tragen, dass die Rechtspopulisten so stark geworden sind und keine ernstzunehmende inhaltliche Diskussion zum Thema stattfindet. Oft ist es aber eine No-win-Situation, da ein Nichtberichten als Zustimmung ausgelegt werden könnte.

STANDARD: Im gerade anlaufenden Wiener Wahlkampf ist Migration sicher wieder ein zentrales Thema. Haben Sie auch deshalb das vom Interdisziplinären Forum der Uni Wien veranstaltete Symposion "Migrations" für 1. bis 3.Juli geplant?

Wodak: Das Forum gibt es seit vergangenem Jahr, weil es ein großes Interesse gibt, über die Grenzen des eigenen Faches hinausgehend zu forschen. Da gab es schon Workshops zur Menschenrechts- und zur Migrationsforschung. Renée Schroeder und ich als Organisatorinnen wollten Synergien bilden, weil wir gesehen haben: Die Uni Wien hat da vieles zum Thema zu bieten. Im Idealfall finden Natur- und Geisteswissenschafter zusammen. Es ist also nicht vordergründig ein politisches Statement, diese Tagung jetzt anzusetzen. Dieses Thema besitzt enorme Relevanz in der Mainstreamforschung.

STANDARD: Wie lange arbeiten Sie selbst eigentlich schon fächerübergreifend?

Wodak: Seit den 1980er-Jahren. In unseren Feldforschungen gibt es immer wieder Überschneidungen mit anderen Fächern - zum Beispiel bei der Arbeit für mein letztes Buch, wo ich mir den Alltag von EU-Parlamentariern angeschaut habe. Diese Politiker sind ja auch mit Vorurteilen konfrontiert. Skandal und Korruption, und oft steht noch in den Zeitungen: Die verdienen zu viel. Die Wahrheit ist nicht so eindimensional. Die Europaparlamentarier arbeiten eigentlich wie die Wahnsinnigen. Meistens beginnt der Tag um acht Uhr früh. Sie laufen viele Kilometer mit mehreren Kilo Papier herum, hetzen von Meeting zu Meeting und müssen sich dann noch die Frage stellen: Wer hört meine politischen Botschaften? Verglichen habe ich die Realität mit der wunderbaren US-TV-Serie West Wing über den Alltag eines fiktiven US-Präsidenten im Weißen Haus. So will das Fernsehen, dass wir glauben, wie Politik "gemacht" wird.

STANDARD: Würden Geisteswissenschafter, wenn sie mehr interdisziplinär arbeiten, häufiger den Wittgenstein-Preis gewinnen? Sie waren die erste Preisträgerin, nach Ihnen erhielten nur zwei weitere Geisteswissenschafter den Preis.

Wodak: Es gibt kein Rezept, um den Wittgenstein-Preis zu gewinnen. Wir GeisteswissenschafterInnen "erfinden" nichts. Wir haben keine Vorschläge, wie man Krebs heilen könnte. Wir fragen uns auch nicht, wie man Menschen von A nach B beamen kann. Unsere Arbeiten lassen sich einfach nicht so gut verkaufen, weil wir eher bereits existierende gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen reflektieren und keine Lösungen für die Zukunft anbieten. Gutachter, die sich fragen, was unser Wissen unmittelbar bringt, werden daher vielleicht eher Naturwissenschaftern den Vorzug geben. Wir haben leider immer noch das Image, lange über unseren Büchern zu sitzen und uns wie Wühlmäuse in ein Thema zu vertiefen und dabei nicht sehr mobil oder flexibel zu sein.

STANDARD: Ist das nicht auch ein hausgemachtes Imageproblem?

Wodak: Ich will nicht generalisieren. Sicher gibt es Geisteswissenschafter, die weiterhin so arbeiten. Aber man muss auch sagen, dass viele Geisteswissenschafter in Österreich, weil es keine neuen langfristigen Stellen gibt, in prekären Dienstverhältnissen arbeiten und einen Studentenansturm bewältigen müssen. Mich wundert nicht, dass sich da neben der Lehre wenig Forschung ausgeht. In Lancaster entfallen auf einen Lehrenden 15-17 Studenten, in Wien sind es etwa in der Politikwissenschaft über 400. Man muss wohl nicht erklären, wo Lehrende besser arbeiten können und Studenten mehr davon haben.

STANDARD: Nach Ihnen haben nur zwei Frauen, Renée Schroeder und Marjori Matzke, den Wittgenstein-Preis gewonnen. Haben Sie dafür ähnlich plausible Erklärungen wie für das Ausbleiben von Preisträgerinnen aus den Geisteswissenschaften?

Wodak: Die Wittgenstein-Preis-Träger müssen vorgeschlagen werden, zehn internationale Gutachter bilden sich dann ein Urteil. Ich kann mir nur vorstellen, dass sich in dieser Auswahl die noch immer ungleiche Situation von Frauen an österreichischen Universitäten spiegelt. Ich hoffe, dass bald wieder eine Frau zum Zug kommt. Es gibt ja so viele hervorragende Wissenschafterinnen in Österreich. Wenn es dazu kommt, glaube und hoffe ich aber, dass die Reaktion der Community deutlich positiver sein wird als zu meiner Zeit, als man Fragen stellte, die man bei einem Mann nie wagen würde. (DER STANDARD, Printausgabe, 09.06.2010)