Leopold Museum im MuseumsQuartier mit Fassadenprojektion:  "Jimi Hendrix" (Otto Muehl, 1968)

Foto: VBK Wien, 2010

Wien - Mit einer Ausstellung zu verschiedenen Aspekten im Schaffen von Otto Muehl (auch: Otto Mühl) wurde am Dienstag in der Wiener Galerie Krinzinger ein wahrer Ausstellungsreigen zum kommenden 85. Geburtstag des umstrittenen Künstlers am 16. Juni eröffnet. Am Donnerstag, 10.6., startete eine weitere Ausstellung im Leopold Museum, am 17. Juni folgt die Galerie Konzett. Bis 1. August ist im MAK das neunteilige Muehl-Bild "Apokalypse / Keinen Keks Heute" zu sehen.

Brief zur Pressekonferenz

Die Pressekonferenz zur Muehl-Ausstellung im Leopold Museum am Donnerstag bot eine Überraschung. Muehl hat sich in einem Brief für jene Taten entschuldigt, für die er 1991 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Tatsache, dass er zwar sechseinhalb Jahre in Haft verbracht hatte, sich aber nie öffentlich bei den Opfern entschuldigt hatte, war in der Diskussion um die Bewertung seines künstlerischen Werks wie seiner gesellschaftlichen Experimente immer wieder moniert worden. "Ich bereue es sehr", lautet die Kernaussage eines Briefes, den Muehl zwei Tage davor an die Leiterin des Muehl Archivs, Daniele Roussel, geschrieben und den sie am Donnerstag vorgelesen hat (im Volltext weiter unten zu lesen).

"Dass ich mich öffentlich entschuldige, mache ich heute, weil ich auf keinen Fall das Gefühl hinterlassen möchte, dass es mich kalt lässt, dass ich Menschen verletzt habe und dass sich Menschen von mir verletzt gefühlt haben", heißt es in dem Brief, dessen Verwendung er Roussel freigestellt hat.

Roussel hatte vor wenigen Tagen im MAK bei einer Podiumsdiskussion gesagt: "Ich glaube, dass Otto Muehl in vielen Bereichen gescheitert ist, und dass er es weiß." - "Ich glaube, du hast mich vollkommen verstanden, dass ich mich in einigen Sachen grundsätzlich geirrt habe", schrieb daraufhin der an Parkinson erkrankte Muehl aus Portugal seiner Vertrauten. "Ich habe als Künstler und, davon angestachelt, auch als Mensch Risiko auf mich genommen. Das Thema war äußerst empfindlich und schwierig und dadurch habe ich kräftig daneben gegriffen. Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt. Es war auf keinen Fall meine Absicht. Ich hoffe, dass sie mir verzeihen."

Positive Reaktionen

Froh und erleichtert reagierten sowohl die Organisatoren der Muehl-Ausstellung im Leopold Museum als auch ein Vertreter der Initiative ehemaliger Mitglieder der Kommune Friedrichshof. "Wir sind sehr erfreut über diesen Brief. Das macht die Sache viel einfacher. Es war immer ein Problem, dass er sich zu seiner Schuld nicht bekannt hat", sagte Hans Schroeder-Rozelle, Vertreter der Gruppe re-port, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Öffentlichkeit über Muehl zu informieren, seiner "Mystifizierung" entgegenzuwirken und zu "verhindern, dass Muehls Verbrechen zur Kunst erklärt und ausgestellt werden".

Re-port hatte im Vorfeld mit dem Kurator der Ausstellung im Leopold Museum, dem Psychologen und Psychotherapeuten Diethard Leopold, zusammengearbeitet und dabei u.a. verhindert, dass im Zusammenhang mit den Verbrechen Muehls entstandene Bilder bzw. Bilder, auf denen Missbrauchsopfer zu sehen sind, gezeigt werden. Die Familie Leopold könne "sehr stolz sein", dass im Zusammenhang mit der jetzigen Ausstellung dieser Brief zustande gekommen sei, dennoch kritisierte Schroeder-Rozelle bei der Pressekonferenz, dass "die Kritik großteils auf die Homepage des Museums ausgelagert wurde". Schließlich sei die gezeigte Kunst in der Zeit der Kommune am Friedrichshof entstanden, wo Muehl "ein despotisches, demütigendes, unterdrückendes System" etabliert habe. Man habe erhebliche Bedenken gegen die Intention des Kurators, Leben und Werk von Muehl getrennt zu betrachten.

"Ich stehe zur Trennung von Kunst und Leben", sagte Diethard Leopold, auch Muehl sei es letztlich nicht gelungen, diese Trennung aufzuheben. Man solle "die Bilder als Bilder ansehen und nicht als Illustration seines Lebens", so Leopold, der hofft, mit der Ausstellung "einen unbefangenen, freien Blick auf die Kunst" zu ermöglichen. Diethard zeigte sich ebenso wie seine Mutter Elisabeth Leopold "positiv überrascht" von dem Brief, der "ein bewegendes Dokument" sei. Er betonte, man habe bewusst und ohne Notwendigkeit ("denn wir hatten die Bilder ja zur Hand") im Vorfeld Kontakt sowohl zu Roussel und dem noch bestehenden Kreis um Muehl als auch zu re-port gesucht und dabei "mediatorisch-allparteilich und nicht doppelzüngig" agiert: "Für alle Parteien ist dabei etwas herausgekommen." "Ich freue mich unendlich über diesen Brief", sagte Elisabeth Leopold. "Es wird, wie wir hoffen, ein neuer Diskurs über dieses Werk möglich sein."

Die Ausstellungen: Muehl bei Leopold und Krinzinger

Rund 80 großformatige Öl- und Acrylgemälde sowie 20 Papierarbeiten der Jahre 1962 bis 2000 umfasst die Ausstellung "Otto Muehl. Sammlung Leopold". Die ausgestellten Werkgruppen, die seine aktionistischen Anfänge weitgehend aussparen, sind vielfältig: der große "Vincent"-Zyklus aus dem Jahr 1984, Materialbilder, Collagen oder Siebdrucke aus den 60ern, "Köpfe" und Porträts, Gemälde mit wuchtigem, zu Gebirgen erstarrtem Farbauftrag, die sexuell aufgeladenen Gefängnisbilder, ein Bild der "Haifisch"-Serie, späte Farblandschaften. Ein Wandtext weist darauf hin, dass die Serie "Unfälle im Haushalt" fast zur Gänze nicht gezeigt werde, da auf ihr Missbrauchsopfer dargestellt seien. Aktionismus-Spezialist Hubert Klocker bei der Presseführung: "Das Schöne an dieser Ausstellung ist ja, dass es auch um den Blick des Sammlers Rudolf Leopold auf das Werk von Otto Muehl geht. Das Gesamtwerk ist ja wesentlich umfangreicher."

Bei Krinzinger sind u.a. Fotoserien zu frühen Aktionen Muehls aus den 60er Jahren, großformatige Bilder der 80er Jahre zu sehen. Zwei vom Muehl-Archiv herausgegebene Editionen geben Einblick in die ersten aktionistischen Arbeiten: Eine Fotoserie der ersten Aktion "Versumpfung einer Venus" (1963) zeigt Muehl lustvoll bei der Arbeit, den nackten menschlichen Körper mit verschiedenen Lebensmitteln, Cremes, Farben und Wasser in Beziehung zu bringen. In der Materialaktion "mama und papa" (1964) spielte infantile Sexualität ebenso wie assoziativer Umgang mit Geschlechtsverkehr und Geburt eine zentrale Rolle. Rückblickend ahnt man anhand der Fotos bereits nicht nur das Herantasten an künstlerische, sondern auch an gesellschaftliche Tabus, was später in der Kommune Friedrichshof im angewandten sozialen Experiment so problematisch werden sollte.

Im Nebenraum wähnt man sich mit großformatigen Ölgemälden im Museum - keine falsche Assoziation, wie sich herausstellt. Drei im Herbst des Jahres 1984 entstandene Bilder, die Hitler, Stalin sowie eine von uniformierten Nazi-Schergen durchgeführte Hinrichtung zeigen, bietet Ursula Krinzinger nur zu dritt an. Kurator Theo Altenberg hat dazu weitere Ölbilder sowie ein Acrylbild aus Muehls Beschäftigung mit Vincent van Gogh gehängt.

Der Gerichtsfall

Der Aktionskünstler Otto Muehl hatte 1970 eine Kommune gegründet, die in den folgenden Jahren den Friedrichshof im Nordburgenland zu ihrem Zentrum ausbaute und zeitweilig mehrere hundert Mitglieder umfasste. Das Prinzip der freien Sexualität sollte die "schädliche" Zweier-Beziehung ersetzen. Mitte der 80er Jahre wurde auf der Kanarischen Insel La Gomera ein weiterer Stützpunkt geschaffen. Im November 1991 war Muehl in Eisenstadt wegen einer Reihe von Sittlichkeitsdelikten, allen voran Unzucht mit Unmündigen, sowie Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Im Dezember 1997 kam er aufgrund einer Amnestie frei. (APA)