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"Land grabbing": Viele asiatische Investoren werfen begehrliche Blicke auf afrikanischen Grund und Boden.

Foto: Reuters

Von Georg Desrues.

Alles begann mit einem Artikel in den Financial Times vom 28. November 2008. Das englische Finanzblatt berichtete von einem Vertrag, den die koreanische Firma Daewoo mit der Regierung von Madagaskar abgeschlossen hatte – und der vorsah, den Koreanern das landwirtschaftliche Nutzungsrecht über ein Gebiet von der Größe der Steiermark auf der afrikanischen Insel zu übertragen. Was damals für Aufsehen sorgte, war nicht nur die Größe der ins Auge gefassten Fläche und die Dauer der Gültigkeit des Vertrags von 99 Jahren. Sondern auch, dass Daewoo das Land gratis erhalten sollte und sich nur dazu verpflichten musste, es zu bestellen und die dafür notwendige Infrastruktur wie Straßen, Lagerräume und Bewässerungsanlagen zu bauen.

Nicht nur den meisten Madagassen, sondern auch der breiten Weltöffentlichkeit wurde erstmalig bewusst, dass der Erwerb von Land in Afrika ein Geschäft darstellen konnte. Was war passiert, dass ausgerechnet der von Trockenheit, Überschwemmungen, Hungerepidemien und Flüchtlingsströmen geplagte afrikanische Boden Ziel ausländischer Investoren wurde?

Die Ursprünge dieser Entwicklung liegen in der Lebensmittelkrise im Sommer des Jahres 2008. Innerhalb von nur wenigen Wochen stiegen damals weltweit die Preise für Grundnahrungsmittel. In mehr als 30 Ländern kam es zu Protesten – in manchen zu Revolten. Sogar in den reichen Ländern Europas und Nordamerikas bangten die Menschen um Niedrigpreise für Nudeln, Brot, Milch, Fleisch und andere Nahrungsmitteln.

Über die exakten Ursachen der Krise gehen die Meinungen auseinander. Generell geht man aber von einer Kombination aus drei unterschiedlichen Faktoren aus. Erstens: Der Anstieg des Rohölpreises auf über 140 Dollar pro Fass – ein Schock für die industrielle Landwirtschaft, die von Öl, das sie für maschinelle Produktion und Transport sowie für die Herstellung von Pflanzenschutz- und Düngemittel benötigt, extrem abhängig ist.

Zweitens: die Programme der Europäischen Union, der USA und anderen Ländern zur Förderung und Subventionierung von sogenanntem Biosprit. Dadurch wurden weltweit Millionen Hektar Bodens mit Getreide bepflanzt, das nicht für Nahrung, sondern für Brennstoff bestimmt ist.

Drittens: die geänderten Ernährungsgewohnheiten in Schwellenländern wie China, Nigeria, Indien oder Brasilien. Glaubt man Experten, so hat der gestiegene Konsum von Fleisch- und Milchprodukten in den genannten Ländern auch zu einer Preiserhöhung bei Getreide geführt, das für die Nahrung der Tiere notwendig ist.

Im Ausland umschauen

Zählt man diesen Faktoren noch die Erderwärmung und damit verbundene Missernten in Ländern wie Australien hinzu, hat man alle Voraussetzungen beisammen, die erklären, warum die Preise für Grundnahrungsmittel zum ersten Mal in hundert Jahren steigen konnten.

Während die Lebensmittelkrise in Europa und Nordamerika inzwischen längst vergessen scheint, steckt vielen Regierungen in anderen, stark von Import abhängigen Ländern der Schreck aber noch immer in den Knochen.

Das nicht nur, weil damals die Preise in die Höhe schnellten, sondern auch, weil exportierende Länder wie Pakistan, Indien, Vietnam und Argentinien im Krisenjahr 2008 beschlossen, ihre Grenzen für Ausfuhren von Reis, Weizen und Ähnlichem dichtzumachen. Eine hungrige Bevölkerung ist das Schreckensgespenst jeder Regierung – ob demokratisch legitimiert oder nicht.

Also begannen die importierenden Länder sich nach Anbauflächen im Ausland umzuschauen. Heute weiß man, dass der mittlerweile geplatzte Deal zwischen Madagaskar und Daewoo nur der sichtbarste Aspekt einer Entwicklung war, die zum größten Eigentümerwechsel seit der Kolonialzeit geführt hat. Und dass der Ankauf von Land durch ausländische Regierungen oder Firmen allein in Afrika geschätzte 20 Millionen Hektar ausmacht.

Diese Entwicklung rief Aktivisten und Journalisten auf den Plan, die von "land grabbing" – also dem Grapschen nach Land – sprachen. Und Jacques Diouf, der sonst eher für seine Zurückhaltung kritisierte Präsident der FAO (der Uno-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung), nahm gar das Wort "Neokolonialismus" in den Mund.

Dabei beteuern die Investoren aus China, Korea, Japan, dem arabischen Raum und anderen Staaten, dass ihre Investitionen auch den betroffenen Ländern und deren Bevölkerung zugute kämen. Sie sprechen von Arbeitsplätzen, von infrastrukturellen Einrichtungen, von Modernisierung der afrikanischen Landwirtschaft. Das sind allesamt wohlgemeinte Argumente, die auch die Kolonialherren früherer Zeiten nie müde wurden anzuführen. Freilich klaffen optimistische Prognosen und tatsächliche wirtschaftliche Folgen oft auseinander. Wie etwa im Senegal, wo die ehemalige Kolonialmacht Frankreich eine Monokultur der Erdnuss etablierte, um Speiseöl für den eigenen Bedarf zu erzeugen, wurde in vielen afrikanischen Ländern die traditionelle Subsistenzwirtschaft durch Kaffee, Tee, Schokolade und andere für den Export bestimmte Kulturen verdrängt. Die negativen Nachwirkungen dieser Umstellungen sind bis heute spürbar – die eventuell gutgemeinten Gegenleistungen der Kolonialisten eher nicht. Wenn man sich vor Augen führt, dass auf afrikanischem Boden Biosprit für Autos in China oder sonst wo angebaut wird, lassen sich die Warnungen von FAO-Präsident Diouf nicht so ohne Weiteres von der Hand weisen. Obwohl sich die versprochenen Auswirkungen der Deals auf die lokalen Bevölkerungen in der Theorie häufig positiv anhören, warnt ein 2009 von der FAO herausgegebener Bericht ausdrücklich vor den Folgen der geschilderten Entwicklung und sieht zahlreiche Probleme voraus.

Dabei geht es nicht nur um Fläche. Denn wer Landwirtschaft sagt, meint auch Wasser. Ob dieses in den betroffenen Ländern zur Genüge vorhanden ist, um auch die geplanten intensiven Monokulturen der Ausländer zu bewirtschaften, darf bezweifelt werden. Den Kleinbauern das Wasser abzuschöpfen könnte jedenfalls zu gröberen sozialen Spannungen und Konflikten führen. Da hilft es auch wenig, dass die investierenden Organismen der lokalen Bevölkerung Arbeitsplätze versprechen: Die geplanten industriellen und intensiven Anbaumethoden sind per Definition eher auf Maschinen als auf Arbeitskräfte ausgerichtet. Zumeist enthalten die abgeschlossenen Verträge auch keinerlei Klauseln, die es den Afrikanern erlauben würden, bei Nichteinhaltung Sanktionen zu ergreifen.

Zunehmend attraktiv

Nicht nur Länder oder Agrarfirmen (die dabei wie auch im Falle Daewoos meist von ihren Regierungen unterstützt werden), sondern auch Investment- und Hedgefonds interessieren sich zunehmend für das "grüne Gold Afrikas" . Ursache dafür ist weniger die Lebensmittel- als die Finanzkrise. Seit den Turbulenzen an den Kapital-, Aktien- und Anleihemärkten gewinnt die Investition in eine für krisensicher gehaltene und zudem günstige Anlage an Attraktion. Die aufgestellte Rechnung ist einfach: Durch den Bevölkerungszuwachs in betroffenen – Nahrungsmittel importierenden wie exportierenden – Ländern wird Boden immer seltener und begehrter. Das wiederum steigert nicht nur den landwirtschaftlichen Wert, sondern auch den der Anlage selbst.

Die spanische Nichtregierungsorganisation Grain hat sich auf das Thema spezialisiert und im Oktober des Vorjahres eine Liste von 140 Hedgefonds und Finanzagenturen veröffentlicht, die auf Gewinne setzen, welche in den nächsten Jahren durch die bevorstehende Verknappung von Lebensmittel, Wasser und anderen Energieressourcen zu erwarten sind.

Der FAO-Bericht verdeutlicht die Entwicklung anhand eines Beispiels: Während die Lebensmittelproduktion in den Ländern der Golfregion stetig abnimmt, sollte deren Bevölkerung bis ins Jahr 2030 von 30 auf 60 Millionen ansteigen. Angesichts dessen, dass diese Länder schon jetzt zu 60 Prozent von Lebensmittelimporten abhängig sind, kann man sich leicht ausmalen, wie akut das Problem in 20 Jahren sein wird. Da verwundert es wenig, dass es in Ländern wie Saudi-Arabien eine "King Abdullah Initiative for Saudi Agricultural Investment Abroad" gibt, die solche saudischen Firmen unterstützt, die im Ausland in Landwirtschaft investieren.

Zahlreiche Länder in Afrika bemühen sich darum, potenzielle Käufer, Leasingnehmer oder Pächter für ihre Böden anzuziehen. Das ruft häufig einen Typus von afrikanischen Führungspersönlichkeiten auf den Plan, denen das Wohl der Bevölkerung weit weniger am Herzen als liegt als ihr eigener Vorteil.

Der geplatzte Deal in Madagaskar hat wesentlich dazu beigetragen, dass der damalige Präsident Marc Ravalomanana seinen Hut nehmen musste. Und es war die Regierung seines Nachfolgers, die den Vertrag mit den Koreanern aufkündigte.

Zwar stellt der FAO-Bericht ebenfalls fest, dass "land grabbing" auch positive soziale und infrastrukturelle Auswirkungen haben könnte. Doch betont er gleichzeitig, dass Voraussetzung dafür wäre, die Bevölkerung weitgehend miteinzubeziehen und die Verträge so transparent wie möglich zu gestalten.

Wenn man der italienischen Journalistin Franca Roiatti Glauben schenkt, kommt das nur in den seltensten Fällen vor. In ihrem Buch Il nuovo colonialismo (Università Bocconi Editore, 2010) berichtet sie von einem Vertrag, den der Vorsitzende eines Dorfes in Ghana, der weder lesen noch schreiben kann, per Daumenabdruck "unterzeichnete" . Damit überschrieb er einigen "weißen Männern" – wie er sich ausdrückte -, die ihn in Begleitung eines Parlamentariers aufsuchten, 38.000 Hektar Gemeindegrund. Das ist gewiss ein Extremfall, doch scheint so, als wären undurchsichtige Verträge eher die Regel als die Ausnahme. "Verwirrung über die Inhalte der Abmachungen besteht oft sogar innerhalb der Regierungen" , so Roiatti, "viele der von den Deals betroffenen Staaten haben eben alles andere als einen guten Ruf, was ihre Verwaltungs- und Regierungssysteme angeht."

Auch die FAO bestätigt, dass die lokale Bevölkerung nicht ausreichend aufgeklärt, befragt und einbezogen werde, und kritisiert zudem, dass Frauen nur in seltenen Fällen involviert seien – obwohl sie in den Agrargebieten den Hauptanteil der Arbeitskraft stellen. Auch das macht es schwer, an die Win-win-Situation zu glauben, wie das viele Investoren sehen (siehe Interview mit dem UN-Experten Olivier De Schutter links). Eher kann man davon ausgehen, dass die Vorteile auch in den afrikanischen Ländern selbst nur wenigen vorbehalten bleiben.

Einzige Existenzgrundlage

Ein weiteres Hindernis für eine gerechte Abwicklung der Transaktionen ist der Bezug, den die afrikanischen Gesellschaften zu ihrem Land haben. Laut Weltbank sind gerade einmal zwei bis zehn Prozent des afrikanischen Bodens in offiziellem Besitz und somit im Grundbuch eingetragen. In vielen Ländern gehört der Boden dem Staat – und die Bauern, die Jäger und Hirten haben unverbrieftes Nutzungsrecht.

Daher ist es mit Vorsicht zu genießen, wenn Investoren und Regierungen Land als Brachland, als unbewirtschaftet oder unproduktiv bezeichnen und dabei zumeist übersehen, dass sie von Boden sprechen, der für viele Einheimische die einzige Existenzgrundlage darstellt. Verantwortungsvolles Investoren sollten jedenfalls auch auf die mystische, religiöse und emotionale Bindung, die viele Afrikaner zur Natur und zu ihrem Land haben, Rücksicht nehmen – sowie auf den Umstand, dass das das Konzept von Landbesitz selbst vielen Afrikanern und Naturvölkern völlig fremd ist.

Viele, aber nicht alle Transaktionen tragen die Bezeichnung "land grabbing" zu Recht. Andererseits darf man eben auch nicht vergessen, dass Afrika und seine Landwirtschaft Investitionen dringend nötig haben. So wie auch Madagaskar feiern heuer sechzehn afrikanische Staaten ihre fünfzigjährige Unabhängigkeit. Dass der Kontinent heute nicht mehr als Klotz am Bein, sondern als Gelegenheit gesehen wird, könnte vielen seiner Bewohner auch zum Vorteil geraten. Doch Voraussetzung dafür wäre ein verantwortungsvolles Vorgehen vonseiten aller Beteiligten. Nur so könnte das "Gespenst des Neokolonialismus" vertrieben und die fortschreitende Feudalisierung des Kontinents, die schon heute viele Afrikaner in den Hunger und in die Auswanderung treibt, eingedämmt werden. (DER STANDARD/ALbum, 19.6.2010)