"Migration ist ein politisches Thema", sagt Heinz Fassmann. "Dem kann man als Migrationsforscher fast nicht ausweichen - außer man betreibt Forschung im luftleeren Raum." Fassmann, vielzitierter Migrationsforscher am Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien, hat im Auftrag des Innenministeriums einen Katalog von Integrationsindikatoren erstellt, mit denen künftig die Wirksamkeit verschiedener Integrationsmaßnahmen gemessen werden soll - und hat damit von so manchen Kollegen den Vorwurf der "Legitimationsforschung" geerntet.

Fassmann ist auch Leiter eines kürzlich ins Leben gerufenen Integrationsexpertenrats. Dieses aus Wissenschaftern bestehende Gremium soll im Rahmen des Anfang des Jahres von der Regierung beschlossenen Nationalen Aktionsplans für Integration konkrete Vorschläge für die Umsetzung von Integrationsmaßnahmen erarbeiten. Und vor allem mehr "Abgeklärtheit, Versachlichung sowie eine internationale Perspektive" in die stets hoch emotionalisierte Debatte um Migration bringen, wie Fassmann hofft. Man sollte den Expertenrat aber nicht daran messen, wie viel von seinen Vorschlägen von der Politik umgesetzt werden, räumt er ein.

Einen Anlass, die in viele kleinere Institute zersplitterte heimische Migrationsforschung besser zu vernetzen und zu stärken, bietet die von der Sprachwissenschafterin Ruth Wodak und der Molekularbiologin Renée Schroeder organisierte Tagung "Migrations: Interdisciplinary Perspectives", die von 1. bis 3. Juli an der Uni Wien stattfindet. Dabei sollen die Auswirkungen von Sprachbarrieren, Stereotypen und Feindbildern aus politischer, kultureller und historischer Perspektive ebenso wie naturwissenschaftliche Konzeptionen von Migrationsprozessen beleuchtet werden.

"Das Grundproblem ist in Österreich noch nicht gelöst", sagt Rainer Bauböck, einer der Vortragenden. "Die Politik hat zwar anerkannt, dass Migrationsforschung einen wichtigen Beitrag zu Politikberatung liefert, es überwiegt aber die Vorstellung, dass unabhängige Gremien im Vorhof der Politik eine Agenda verfassen, die dann nicht oder nur zum Teil aufgegriffen wird." Heimische Wissenschafter müssten vielmehr als "public intellectuals" selbstständig ihre Standpunkte in der Öffentlichkeit vertreten, wünscht sich der renommierte Politikwissenschafter, der 2007 Österreich verließ und seither eine Professur am European University Institute in Florenz innehat, wo er sich u. a. mit der Staatsbürgerschaftspolitik in Europa und ihrer Auswirkung auf Migration beschäftigt.

Fixierung auf Sprache

"Es ist Zeit, dass sich die Wissenschafter der verschiedenen Fachrichtungen zusammensetzen", plädiert auch der Germanist Hans-Jürgen Krumm für eine verstärkte Zusammenarbeit unter Migrationsforschern. Krumm, der bei der Tagung über Mehrsprachigkeit und die Debatte um Sprachkenntnisse von Migranten sprechen wird, kritisiert vor allem, dass Integrationspolitik auf Sprachkenntnisse fixiert ist, ohne Sprachwissenschafter ausreichend miteinzubeziehen.

Gegen das "Integrationsparadigma" in der Migrationsforschung spricht sich Assimina Gouma von der Uni Salzburg aus. Sie ist Mitglied der rund um das Graduiertenzentrum Sozialwissenschaften der Uni Wien entstandenen Forschungsgruppe Kritische Migrationsforschung (KriMi) die versucht, alternative Perspektiven zu entwickeln, die sich mehr an den Anliegen und Rechten von Migranten orientieren, anstatt "politische Interessen zu befriedigen". Eine Bestandsaufnahme dazu wird KriMi an der ersten Jahrestagung zu heimischer Migrations- und Integrationsforschung im September liefern.

Auch wenn ein kritischer Dialog unter den heimischen Migrationsforschern ins Rollen kommt - Rainer Bauböck vermisst ein profiliertes Forschungszentrum oder Masterstudiengänge, wie sie im Rest Europas gang und gäbe seien: "Die Forscher brauchen nicht auf die Politik warten." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. Juni 2010)