Medizinerin Brigitte Humer-Tischler und Lebensberaterin Sabine Reisinger gründeten 2005 den Kinderhospiz Verein.

Foto: Blei/derStandard.at

Gemeinsam setzen sie sich auch für Palliativmedizin für Kinder in Österreich ein.

Foto: Blei/derStandard.at

Brigitte Humer-Tischler und Sabine Reisinger unterstützen diese Kinder und ihre Familien mit ihrem Kinderhospiz Verein Netz.

Wenn schon bei der Geburt eines Kindes sich das Sterben ankündigt oder in jungen Jahren eine tödliche Krankheit diagnostiziert wird, dann muss nicht nur der kleine Patient kämpfen, sondern es werden auch seine Eltern und Geschwister auf eine harte Probe gestellt. Schwerkranke Menschen brauchen eine spezielle Pflege – palliative Begleitung: Wenn die bedrohende Erkrankung an sich nicht mehr behandelt werden kann, konzentrieren sich alle Anstrengungen darauf, die Umstände des Patienten zu erleichtern. Solch eine Pflege gibt es in Österreich bereits: aber nur für Erwachsene.

Mitbegründerin hat selbst Kind verloren

Deshalb haben Brigitte Humer-Tischler, Medizinerin, und Sabine Reisinger, Lebensberaterin, gemeinsam mit einer Hand voll Unterstützern im Jahr 2005 das Kinderhospiz Verein NETZ gegründet. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern und Fachleuten wie Ärzten, Juristen oder Sozialarbeitern, betreuen sie die Familien sterbenskranker Kinder, oft über mehrere Jahre hinweg. Reisinger hat selbst 66 Tage nach der Geburt ihre kleine Tochter verloren, und für sie war es "einfach und klar", dass sie mit Eltern arbeiten möchte, deren Kinder gestorben sind.

"Damals, im Jahr 1997, lag meine Tochter 66 Tage auf der Intensivstation und es gab keine Möglichkeit, dass wir sie mit nach Hause bekommen. Sie musste beatmet werden und es war undenkbar, dass so etwas im Kinderzimmer passieren kann", erzählt Reisinger. "Vielleicht wäre vieles durch solch ein Kinderhospiz einfacher gewesen. Vor allem, weil man ja nicht die ganze Zeit im Krankenhaus sein kann und ich eine damals vierjährige Tochter zu Hause hatte."

Kinderhospiz kein Gebäude, sondern mobiler Dienst

Das Kinderhospiz darf man sich aber nicht als Gebäude, in dem Betten mit schwerkranken Kindern stehen, vorstellen. Es ist vielmehr ein mobiler Dienst, denn für Humer-Tischler "ist die gesündeste Umgebung für ein krankes Kind die eigene Familie". Und so kümmern sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter etwa darum, dass die Eltern des Patienten einen Gesprächspartner haben, die Geschwister einen Spielkameraden oder die Kinder selbst einen Menschen, der sich um sie kümmert.
"Ich werde nie vergessen, wie ich mit einer Ehrenamtlichen zu Besuch bei einem 16-jährigen Jungen war, der im Rollstuhl sitzt und dessen Eltern berufstätig sind und er deshalb oft alleine zu Hause ist", erzählt Reisinger: "Zwar kann sich der Bub nicht so gut artikulieren, aber man hat an seinen Augen gesehen, dass er sich ehrlich freut, dass jemand extra kommt, um Zeit mit ihm zu verbringen. Das war sehr berührend." Für Reisinger sind auch das die Momente, die sie am Abend mit nach Hause nimmt und nicht Krankheit oder Tod.

"Nur" fünf Betreuungsplätze möglich

Der Verein finanziert sich rein aus Spendengeldern und ist deshalb auch auf Kreativität beim Spendensammeln angewiesen. "Es gibt jetzt bei uns die Möglichkeit eine Patenschaft für eine Familie zu übernehmen", sagt Humer-Tischler, "in Schönbrunn funktioniert es ja auch, nur haben wir keine Pandabären, sondern echte Familien". Man habe sich ausgerechnet, dass solch eine Unterstützung in etwa 500 Euro pro Monat kostet: "Andere professionelle Einrichtungen kommen mit dem Geld sicher nicht so lange aus." Aufgrund der knappen Finanzlage könne der Verein deshalb zurzeit auch nur fünf Familien begleiten, "obwohl wir eine Warteliste mit etwa 15 Familien haben", sagt Humer-Tischler. Und Reisinger ergänzt: "Wovon viele nicht mehr erleben werden, dass sie von uns betreut werden."

Ärztin über die "Wurzel des Lebens"

"Geburt und Tod verändern das Leben", sagt Humer-Tischler. Bei sterbenskranken Kindern liegen diese beiden Einschnitte oft näher beieinander als üblich. Ob jemand ein erfülltes Leben hat, hängt für sie aber nicht von der Zeitkomponente ab, sondern vielmehr von der Zahl der Beziehungen und Kontakte, die ein Mensch knüpft. "Wenn ich am Bett eines vier Monate alten Kindes stehe und sehe, wie dieses Kind auf Begegnung reagiert und Beziehung anbietet, selbst in der Woche als es starb, dann hat das Kind für mich gelebt", erzählt Humer-Tischler. Im Vergleich hätte die Ärztin in ihrer Tätigkeit beim mobilen Hospiz vom Wiener Hilfswerk auch Erwachsene kennengelernt, die jegliche Beziehungen ablehnen und bis zum Schluss noch nicht "die Wurzel des Lebens erkannt haben".

Als die beiden Frauen das Projekt planten, stellten sie sich drei Fragen: „Ist es machbar, ist es möglich, wird es gebraucht?" Und für Humer-Tischler lassen sich nun alle frei Fragen mit „Ja" beantworten: „Es ist machbar, dass man mit wenigen Mitteln Eltern von schwerkranken Kindern hilft, damit sie sich nicht alleine gelassen fühlen. Es ist möglich, dass man solch einen Verein aufbaut und am Leben erhält und es wird in Wien gebraucht", sagt die Ärztin. Obwohl vor allem die letzte Frage zu Beginn des Projektes auf große Skepsis gestoßen war.

Verein will auch politisch aktiv werden

Die Aufgabe des Vereins besteht für Reisinger und Humer-Tischler aber nicht nur in Betreuung, sondern auch im Lockern des Tabus, dass auch Kinder sterbenskrank sein können und Sterbebegleitung brauchen. „Deshalb werden wir jetzt auch politisch aktiv werden", sagt Humer-Tischler. „Unsere Arbeit muss vom Sozialsystem bezahlt werden." Für sie steht schon in den Menschenrechten festgeschrieben, dass Kinder den Anspruch haben, dieselben medizinischen Standards zu erhalten, wie Erwachsene.

„Das beinhaltet auch Palliativmedizin, aber in Österreich gibt es noch kein einziges derartiges Bett für unter 18-Jährige." Deshalb suchen die beiden Frauen die Öffentlichkeit – „Ich gebe Interviews, obwohl ich dafür nicht geeignet bin." – und sprechen Bezirks- und Gemeindepolitiker aktiv an. Humer-Tischler ist außerdem Mitglied in zahlreichen Palliativgremien, in denen sie auch versucht, ein Bewusstsein für Palliativmedizin für Kinder zu schaffen.

Osteuropa bei Kinderpalliativmedizin "15 Jahr voraus"

Die Lage der Kinderpalliativmedizin ist aber nicht überall in Europa so „trist" wie in Österreich. So sind laut Humer-Tischler vor allem die Osteuropäischen Länder Vorreiter auf dem Gebiet. „Die haben teilweise noch während des Kommunismus mit der Betreuung sterbenskranker Kinder begonnen und sind uns bis zu fünfzehn Jahre voraus." Auch Deutschland wäre auf dem Gebiet schon weitaus fortschrittlicher. Dort werden solche Begleittherapien von der Pflegekrankenkasse bezahlt und viele Stiftungen würden für gemeinnützige Verbände spenden, da das „im deutschen Stiftungsgesetz so festgehalten ist, dass ein kleiner Beitrag des eingebrauchten Vermögens gemeinnützigen Organisationen zugute kommt, das ist in Österreich nicht so", sagt Humer-Tischler.

Was sich die Ärztin in Zukunft wünscht? „Dass wir breite Unterstützung finden und unseren Hospizdienst in einem größeren Ausmaß anbieten können. So würde ich mich auch zum Beispiel freuen, wenn mir jemand fünftausend Euro spendet und ich endlich ein mobiles Ultraschallgerät kaufen kann, damit ich den Patienten unnötige Spitalsaufenthalte ersparen kann. Es ist sinnlos, die Kinder ins Krankenhaus zu schicken, damit ich sehe, ob sie eine vergrößerte Harnblase haben." (Bianca Blei/derStandard.at/23. 06. 2010)