Foto: derStandard.at/Zielina

"Wien wirkt ja größer als es eigentlich ist, es ist ein aufgeblasenes Krems. Total aufgeblasen mit den ganzen Habsburgergebäuden."

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"Ich fahre sehr gerne mit dem Rad, aber es ist lebensgefährlich. Früher wegen der Autos, heute wegen der anderen Radfahrer. Das hat mit einer inkonsequenten und verblödeten Verkehrspolitik zu tun. Es werden alle Verkehrsteilnehmer aufeinander gehetzt."

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"Die Bobos wählen alle Grün, bis auf ein paar, die heimlich schwarz oder rot wählen. Heimliche Blauwähler gibt es meiner Überzeugung nach nicht."

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Ein Kaffeehaus wäre Andrea Maria Dusl für das Treffen lieber gewesen, hätte sie sich nicht nach dem Motto der Wiener Heurigengespräche einen solchen aussuchen müssen. Das Kaffeehaus sei typischer für Wien, meint sie. Der Heurigen habe "etwas Trauriges", die Menschen hätten dort im Wien der 60er und 70er Jahre ihren Kummer betäubt, sagt Dusl und bestellt lieber einen Holundersaft als einen weißen G'spritzten. derStandard.at trifft sie beim Stadtheurigen "Esterhazykeller".

Warum sie die SPÖ gerne hat, obwohl sie es ihr "nicht immer leicht macht", die Bobos zu 90 Prozent Grünwähler sind, und weshalb sie 13A-Fahren in ihrer Kindheit besser als die Hochschaubahn gefunden hat, sagt sie im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wir sitzen beim Heurigen, Sie trinken keinen Alkohol. Können Sie die Heurigenlust der Wiener überhaupt nachvollziehen?

Dusl: Ich weiß wie Alkohol geht, ich kann das sehr gut nachvollziehen. Aber ich sitze deswegen nicht so gerne beim Heurigen, weil es lustiger zugeht, wenn man angetschechert ist. Es macht weniger Spaß, wenn man immer bei der Sache ist. Insofern bin ich keine große Heurigengeherin.

derStandard.at: Heuriger ohne Alkohol funktioniert nicht?

Dusl: Für mich nicht, für andere schon. Aber der Heurige hat auch was Trauriges. Ich kann nicht genau benennen woran das liegt. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich als Kind sehr viele Heurigenbesuche mit absolviert habe und in den 70er Jahren gab es noch sehr viele traurige Menschen beim Heurigen, die dort ihren Kummer betäubt haben. Wenn ich es mir heute aussuchen hätte können, wäre ich in ein Kaffeehaus gegangen, oder in ein Teehaus.

derStandard.at: Mit Heurigen stark verbunden ist das Wienerlied. Da geht es um Wein, Tod und Liebe. Sind das die Themen die Wien bewegen?

Dusl: Auch. Ich glaube aber, es hat sich ein bisschen verschoben. Die Liebe hat andere Prioritäten bekommen, Wein ist nicht mehr die ausschließliche Vernichtungsdroge und der Tod ist nicht mehr so präsent, wie er es früher war, als die Leute wirklich dauernd gestorben sind. Abgesehen davon, dass man das gar nicht genau definieren kann, was ein Wiener, was eine Wienerin ist. Wenn ich müsste, würde ich sagen, das sind alle, die sich in Wien aufhalten, wenn auch nur für eine halbe Stunde. Es bleibt immer was picken an einem von Wien. Wien bleibt picken wie ein Kaugummi.

derStandard.at: Sie sind schon viel in der Welt herumgereist. Warum sind Sie immer wieder nach Wien zurückgekommen? Haben Sie keinen schöneren, besseren Platz gefunden?

Dusl: Ich hab ununterbrochen Städte gefunden, die mir besser gefallen haben. Aber das Wien geht nicht weg von mir. Das ist auch eine Hass-Liebe. Ethnisch habe ich überhaupt nichts Wienerisches. Meine Familie ist immer nur auf der Durchreise. Ich hab zu Wien kein Heimatgefühl, aber ein Zuhausegefühl. Wien hat was Vertrautes – von der Sprache und von der Grammatik des Daseins, könnte man sagen. Mir hat New York sehr gut gefallen.

derStandard.at: New York ist so ähnlich wie Wien?

Dusl: Schmähtechnisch ist das ok. Und lustigerweise Hongkong. Das hat aber eher damit zu tun, dass große Städte die Menschen zu einem gewissen Zynismus zwingen. Wien wirkt ja größer als es eigentlich ist, es ist ein aufgeblasenes Krems. Total aufgeblasen mit den ganzen Habsburgergebäuden. Für Leute, die tatsächlich aus Krems kommen, ist es sehr beeindruckend. Aber Wien hat einen enormen Verlust erlitten. Es sind enorm viele Menschen getötet worden. Sehr viele gescheite Menschen. Ich spreche vom Nationalsozialismus und vom Holocaust. Und die, die sich retten haben können, sind auch in eine große Stadt gegangen – New York oder Los Angeles. Sie haben dort mit Wien weitergemacht.

derStandard.at: Wenn Sie das Wien aus Ihrer Kindheit mit dem jetzigen vergleichen – Wo liegt der Unterschied?

Dusl: Das Wien meiner Kindheit war das der 60er Jahre. Das habe ich als verschroben in Erinnerung. Es war ein bisschen so, wie es auf Fotografien ist. Die Gebäude sind die gleichen, aber die Fassaden sind kaputt. So hat es auch in den Menschen ausgeschaut. Sie haben ja alle die Erinnerung des Krieges und des Faschismus. Ich bin im 2. Bezirk aufgewachsen, ein Bezirk der entvölkert wurde. Das Wien damals war sehr verstaubt und es hat Heurige gegeben und Wirtshäuser und sonst nichts. Es hat kein Straßenleben gegeben.

Ich bin in eine Klosterschule gegangen, habe das katholische Monsterprogramm hineingedrückt bekommen. Die Nonnen waren sehr böse, sie haben uns gedemütigt und gefoltert – seelisch und körperlich. Mir war es vielleicht deshalb als Kind schon wichtig zu wissen, wie die Stadt funktioniert, zu wissen, wo man im Notfall flüchten kann.

derStandard.at: Das klingt alles sehr trist. Man unterstellt ja den Wienern oft diese Lust an der Tristheit. Ist das so?

Dusl: Ich hab sehr viele Reisen in den Osten gemacht. Meine Feststellung ist, dass das slawisch ist. Je weiter man nach Westen geht, selbst in Wien, desto mehr verliert sich das. In Hietzing ist schon ein bisschen weniger arg. Das wird dann – ich will niemanden beleidigen, aber ich muss es – sehr bäuerlich unbedarft. In Kitzbühel und Innsbruck gibt es dann andere Dramen: dass jeder jemanden kennt, der vom Berg runtergefallen ist. Oder in Oberösterreich in die Jauchegrube. In Wien fällt vielleicht alle zehn Jahre jemand in den Lichthof. Dass mir überhaupt so etwas einfällt ist schon wieder sehr wienerisch. Tod im Lichthof – Das schlimmste, was man sich denken kann: ins Freie zu fallen, aber unsichtbar.

derStandard.at: Was sind denn die schönen Dinge, die Sie mit Wien in Ihrer Kindheit verbinden?

Dusl: Aus Wien wegfahren war eine schöne Sache. Wir sind oft ins Salzkammergut gefahren. Das war so viel netter dort, die Kinder haben nie gelogen. Erst im Zuge des Fremdenverkehrs haben sie das gelernt, um die Wiener zu schnalzen. Die kleine Version von Wegfahren ist in ein Lokal gehen und sich "zuanahn", oder "wegspachteln". Sich betäuben – das ist die billige Variante von Wegfahren.

Auch Fahrradfahren war eine Freiheit, denn Straßenbahnfahren war in den 60er, 70er Jahren eine Tortur. Es hat gestunken, war entweder zu kalt oder zu heiß. Du bist als Kind sehr, sehr schlecht behandelt worden. Sitzen war für Kinder verboten. Alte Damen sind gekommen und haben dich angeschnauzt: "Schämst dich nicht!" Die haben das auch zu Schwangeren gesagt. Die Hunde haben alles dürfen, besonders die kleinen Hunde.

derStandard.at: Hat sich da so viel geändert?

Dusl: Nein, aber wir arbeiten daran. Wir, die Freunde des hundefreien Wiens.

derStandard.at: Und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln?

Dusl: Es gibt einige Sachen, die besser sind. Die U-Bahnen, die Nachtbusse. Aber dass der 13A 70 Grad Celsius hat, wenn einmal die Sonne scheint, das finde ich sehr kleinstädtisch und unbrauchbar.

Ein super Kindheitserlebnis waren die Fahrten mit dem 13A aber. Da war er noch ein Doppeldeckerbus. Drei Achsen, hinten eine Doppelachse und vorne war er ganz flach, ohne Schnauze, rot-weiß angestrichen. Über dem Fahrer im ersten Stock gab es eine breite Sitzbank wo man vorne an der Windschutzscheibe sitzen konnte und mit dieser irren Geschwindigkeit durch Wien gesaust ist. Da gab es zwei Stellen an denen der 13A durch eine Hausunterführung gefahren ist. Der Nervenkitzel, ob man in dieses Hauseck hineinknallt und tot ist oder ob es sich ausgeht, war immer groß. Ist sich zum Glück immer ausgegangen. 13A-Fahren war besser als Hochschaubahn.

derStandard.at: Und jetzt fahren Sie mit dem Rad?

Dusl: Ich fahr nicht immer mit dem Rad. Ich fahre sehr gerne mit dem Rad, aber es ist lebensgefährlich. Früher wegen der Autos, heute wegen der anderen Radfahrer. Das hat mit einer inkonsequenten und verblödeten Verkehrspolitik zu tun. Es werden alle Verkehrsteilnehmer aufeinander gehetzt.

derStandard.at: Zu einem ganz anderen Thema. Seit Jahren schafft die FPÖ in Wien ein Wählerpotenzial zu mobilisieren, das nicht klein ist. Steckt in den Wienern diese gewisse Ausländerfeindlichkeit drinnen?

Dusl: Ich habe schon versucht, das zu analysieren. Ich glaube an die Theorie vom Zugsabteil, das schon voll ist. In Wahrheit ist es natürlich noch nicht voll, es gibt immer nur die Angst davor. Diese Gefühle werden von der FPÖ mobilisiert. Und dazu braucht es gar nicht viel. Es braucht eher Intelligenz um das Gefühl als unbrauchbar für die Gesellschaft zu enttarnen. Die Politiker verdienen ihren Lebensunterhalt damit, dass sie diese Ängste bedienen. Und das ist niedrigste Schublade von politischer Arbeit.

derStandard.at: Es zerbrechen sich alle den Kopf darüber, was man dagegen tun kann.

Dusl: Ich hab die SPÖ gerne, auch wenn sie es mir nicht leicht macht. Aber es ist die blödeste Idee, die FPÖ rechts überholen zu wollen. Niemand denkt darüber nach, irgendjemanden links zu überholen. Da ist genug Platz. Die Ängstlichen im Gemeindebau wählen ja den Strache, weil sie jemand anderem was auswischen wollen. Vielleicht wäre es sinnvoller, denen zu sagen, dass sie sich mit ihrer Auswischerei nur selber eines auswischen.

Ich verstehe ja nicht, wie jemand, der blau wählt, auf die Idee kommen kann, die SPÖ wäre Schuld daran, dass viele Ausländer im Land wären. Die werden ja nicht von sozialdemokratischen Firmen ins Land geholt um sie als billige Arbeitskräfte auszupressen, sondern von konservativen Unternehmern. Man müsste die Menschen, die Angst haben, informieren. Das muss schon in der Schule beginnen. Wenn dir jemand aber mit 15 sagt, "du hast zwei Fleck du Idiot, aus dir wird nie was werden", dann ist es kein Wunder wenn man dann zum Träumen anfängt und glaubt, der Herr Türke, der Herr Bosnier und die Arigona sind schuld, dass aus mir nichts geworden ist. Und wenn aus der Arigona was wird und aus mir nicht, dann ist sicher der Häupl schuld.

derStandard.at: Was wählen die Bobos?

Dusl: Die Bobos wählen alle Grün, bis auf ein paar, die heimlich schwarz oder rot wählen. Heimliche Blauwähler gibt es meiner Überzeugung nach nicht, das geht sich von Definition, wer sich als Bobo empfindet, nicht aus. Es gibt zwar durchaus wertkonservative Grüne und liberale Schwarze, aber sicher 90 Prozent der Wiener Bobos sind Grün-Wähler. Davon sind die Hälfte Grün-Mandatare.

derStandard.at: Was würden Sie an Wien ändern?

Dusl: Supermärkte gehören sofort verboten. Wien ist die Stadt mit der größten Supermarktdichte der Welt, das halte ich für unerträglich. Ich wünsche mir Greißler wie in New York, die 24 Stunden am Tag geöffnet haben, sieben Tage die Woche. Die alles verkaufen und privat geführt werden. Dass man in Wien ab 19 Uhr theoretisch verhungert, ist eine Tragödie. Darf ich mir noch was wünschen?

derStandard.at: Ja, gerne.

Dusl: Mein zweiter Wunsch betrifft den ersten Bezirk. Der erste Bezirk ist von seinem ganzen Wesen her eine mittelalterliche Stadt. Die Straßenzüge sind mittelalterlich, werden aber benützt wie der Hauptplatz von Hartberg. Man sollte nur noch gehen oder mit der Kutsche fahren dürfen. Für Gehbehinderte sollte es kleine Shuttles, große Golfwagen, geben, die auf bestimmten Routen im Schritttempo überall hinfahren. Die Stadt würde auf einmal irrsinnig groß werden, weil die geparkten Autos wegfallen. (Rosa Winkler-Hermaden, Anita Zielina, derStandard.at, 4.8.2010)