Frau P. fand kaum Nachbarn, die sich ob der möglichen Mietpreiserhöhung im Karl-Marx-Hof mit ihr solidarisierten. "Viele Mieter haben Angst, irgendwo anzustreifen" , glaubt sie

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Dieses Schreiben lag in Frau P.s Postkasten - "nicht optimal" , räumt man im Stadtratsbüro ein

Faksimile: Beiglbeck

Wien - Der Brief, den Frau P. vor einigen Wochen in ihrem Postkasten fand, war der Tiefpunkt eines langjährigen Streits. Sie habe "Belästigungen und Verängstigungen bei der Wohngemeinschaft" verursacht, stand da, und zwar, "indem Sie in Ihrer Wohnung Prostitution betreiben sollen sowie durch die fahrlässige Haltung ihrer Hunde (Bissgefahr)". Unter Verweis auf die Hausordnung hoffe man auf Frau P.s Einsicht, heißt es in dem Brief weiter, "widrigenfalls wir uns veranlasst sähen, die gerichtliche Kündigung des Mietverhältnisses einzuleiten". Gezeichnet: "Mit freundlichen Grüßen, Ihre Hausverwaltung. Stadt Wien - Wiener Wohnen."

"Ich habe das ganze Wochenende geweint, nachdem ich den Brief bekommen habe", erzählt die junge Frau dem Standard. Seit 2006 wohnt sie im Karl-Marx-Hof, einem Gemeindebau in Döbling, auf 57 Quadratmetern inklusive Loggia, für 360 Euro Monatsmiete inklusive Betriebskosten. Kurz nach ihrem Einzug wurde eine Sanierung angekündigt, die Frau P.s Miete um etwa 100 Euro erhöhen würde. Frau P. telefonierte und mailte durch alle Instanzen und versuchte, die anderen Mieter zu mobilisieren. Mit mäßigem Erfolg: "Viele Mieter haben Angst, irgendwo anzustreifen." Über die Schlichtungsstelle wurden ihre Beschwerden an Wiener Wohnen weitergeleitet.

Unfreundliche Schreiben

Kurz danach - im Juli 2009 - erhielt Frau P. den ersten unfreundlichen Brief von der Stadt. "Bedauerlicherweise" sei Wiener Wohnen zur Kenntnis gebracht worden, "dass durch Ihren Hund im Kreise Ihrer Mitbewohner offensichtlich berechtigter Unmut erwachsen ist, insbesondere, dass Ihr Hund die Notdurft im Aufzug, im Stiegenhaus und in den Außenanlagen verrichtet" . Tatsächlich hält Frau P. zwei Hunde in ihrer Wohnung und war mit ihnen - wie viele andere Mieter - des Öfteren im Hof unterwegs, immer mit dem entsprechenden Gackerl-Sackerl zur Hand, versichert sie. Seit diesem Brief benutzt sie den Hof nicht mehr; trotzdem folgten weitere Beschwerden über angeblich fahrlässige Hundehaltung, der Vorwurf der Prostitution war dann der Gipfel. "Wie soll ich beweisen, dass ich das nicht tue?" , fragt sich Frau P., "Soll ich das Doppelbett und die hohen Schuhe aus der Wohnung räumen?"

Sie versuchte herauszufinden, ob sich jemand aus der unmittelbaren Nachbarschaft über sie beschwert hatte; diese Auskunft wurde ihr aber mit Verweis auf den Datenschutz verwehrt. Im Zuge der Vorwürfe gegen sie wandte sich Frau P. an das Bürgerservice der Stadt-VP. Ihr Fall ärgert Landesgeschäftsführer Norbert Walter: "Wiener Wohnen verschanzt sich hinter dem Datenschutz, die Mieter haben keine Chance, sich zu wehren."

Gestern, Dienstag, gab es einen Lokalaugenschein: Zwei Mitarbeiter von Wiener Wohnen sollten sich davon ein Bild machen, ob Frau P.s Hunde gefährlich seien oder sie gar Prostitution betreibe.

Brief "nicht optimal"

Beide Vorwürfe konnten im Zuge der Wohnungsbegehung entkräftet werden, wie Hanno Csisinko, Sprecher von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, dem Standard bestätigte. Er räumt ein, dass die Kommunikation in diesem Fall "nicht optimal" gelaufen sei. Es habe aber mit der Mieterin schon des Öfteren Konflikte, vor allem wegen ihrer Hunde, gegeben. Grundsätzlich gehe Wiener Wohnen mit solchen Fällen "sensibler um als private Vermieter" , betont Csisinko.

Natürlich hat Frau P. schon oft darüber nachgedacht auszuziehen. "Aber ich bin keine reiche Frau" , sagt sie, der Gemeindebau eine gute Gelegenheit, billig zu wohnen. Bis heute gab es übrigens keine Mietpreiserhöhung. Wann diese ansteht, darüber wurde Frau P. noch nicht informiert. (Andrea Heigl/DER STANDARD, Printausgabe, 4. August 2010)