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Meditationstechniken haben religiöse Ursprünge und ähneln einander. Das Ziel: sich ordnen.

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Die letzten Worte werden am Tag der Anreise gesprochen. Der Zen-Lehrer erklärt, wie die nächsten sechs Tage ablaufen werden. Es geht ums Aufstehen, die Essenszeiten, die Wanderungen. Jeder sucht sich einen Platz im Meditationsraum aus, wo er vom folgenden Tag an seinen Platz einnehmen wird. Nach dem gemeinsamen Abendessen wird früh ins Bett gegangen.

Ein Gong wird die Teilnehmer der Schweigewoche am nächsten Tag wecken, um sechs Uhr früh wird man zusammenkommen, sich aufrecht und gerade im Schneidersitz auf seinen Platz setzen und dann gegen die Wand schauen. 25 Minuten, dann fünf Minuten gehen, dann wieder 25 Minuten sitzen, dann wieder gehen. Bis zu 13-mal pro Tag wird sich dieses Ritual wiederholen. "Es geht darum, sich in dieser Stille ganz auf sich selbst zu konzentrieren, dabei auf den eigenen Atem zu achten und innerlich zur Ruhe zu kommen", sagt Zen-Lehrer Dieter Christoph Singer. Dazwischen werden die Mahlzeiten eingenommen.

Fixe Strukturen

So sieht es die Struktur der Zen-Meditation vor. Die alte buddhistische Tradition bildet das Grundgerüst, das den Schweigenden einen fixen Rahmen vorgibt. Einmal am Tag dürfen die Teilnehmenden mit dem Lehrer ihre Gedanken besprechen. "Es kommen viele Dinge in einem hoch, Erinnerungen und Erlebnisse, die gleichermaßen schön und traurig waren, das ist immer unterschiedlich", erzählt eine Teilnehmerin, die, seit sie das Schweigen vor drei Jahren entdeckt hat, regelmäßig diese Form des Urlaubs praktiziert, weil "man ruhig wird und lernt, im Hier und Jetzt zu sein".

Sie kennt den Rhythmus und die Rituale, die hier das Leben bestimmen, wie etwa dass sich die Teilnehmer während des Kurses nicht in die Augen sehen, ihren Blick beim Essen auf den Teller gerichtet haben und die gemeinsamen Wanderungen im Gänsemarsch absolvieren. "Nicht reden müssen ist für mich Luxus pur", sagt sie. Auch sonst sollte alles, was einen von sich selbst ablenken könnte, möglichst reduziert werden. Kein Handy, keine Musik, keine Bücher, denn nur so könne man zu einer neuen Form der Selbstwahrnehmung gelangen. Der Weg ist der Atem. Einatmen, ausatmen und die Gedanken, die aufkommen, vorbeiziehen lassen - darum geht's.

Auch die katholische Kirche kennt Schweige-Exerzitien. Ignatius von Loyola hat sie als spirituelle Übung im Glauben verankert. Pater Bernhard Bürgler leitet die Schweigewochen im Kardinal-König-Haus in Wien. Es gibt zwei Formen: die Ignatianischen Exerzitien, bei denen neben dem Schweigen gemeinsame Gebete und die Lektüre von Bibelstellen eine wichtige Rolle einnehmen, und die kontemplativen Exerzitien, die weniger Beschäftigung mit Texten und mehr mit dem stillen Dasein in Gott zu tun haben. "Bei der Zen-Meditation richtet man sich am Atem aus, wir richten die Aufmerksamkeit auf Jesus Christus, sein Name ist wie ein Mantra", erklärt Bürgler.

Im Kardinal-König- Haus geht es aber genauso um eine ungeteilte Wahrnehmung der eigenen Gefühle, um ein "zur Ruhe kommen. Auch hier können die Schweigenden einmal am Tag mit dem Leiter der Exerzitien sprechen. "Aus Erfahrung kann ich sagen, dass in den meisten Formen des Schweigens dasselbe passiert: Es ist ein Sich-Ordnen", sagt Bürger.

Die äußeren Strukturen dafür mögen unterschiedlich sein, doch das, was mit den Menschen passiert, ähnelt sich in vielen Fällen. Als "innere Freiheit" beschreiben es viele, "auch als Reinigung und Einswerdung" oder simpler als "Glücksgefühl".

Eine ebenfalls buddhistische Tradition des Schweigens ist Vipassana, so wie sie in Sankt Michael in Kärnten angeboten wird. "Die Phänomene verändern sich schnell, Vipassana ist eine Technik, die Schüler lehrt, Körper und Geist zu beobachten, in Lot zu bringen und diesen Zustand auch zu halten", sagt Vipassana-Lehrer Hubert Knaus, der diese Form der Meditation seit 30 Jahren praktiziert. Als "edles Schweigen" wird die Übung bezeichnet, die in einem vergleichsweise rigiden Rahmen stattfindet.

Aufmerksamkeit üben

Aufstehen um 4.30 Uhr, kein Kontakt zwischen Männern und Frauen, beim Meditieren sind die Augen geschlossen zu halten, und der Tag endet für alle um 21 Uhr. Es gibt im Vipassana-Schweigen zwei Phasen: In den ersten fünf Tagen liegt die Aufmerksamkeit auf dem Atem, bewusst einatmen und ausatmen schärft die Wahrnehmung für sich selbst. Dann "wenn die Teilnehmer sich selbst gegenüber schon sensibel sind, richtet man den Fokus auf die verschiedenen Regionen des Körpers", erklärt Knaus. Diese Phase erfolgt unter Anleitung des Lehrers, der die Schweigenden mit Worten durch die ersten 15 Minuten der Körpermeditation begleitet. Das übergeordnete Ziel ist "gleichmütig beobachten zu lernen", so Knaus. In seinen 13 Jahren als Lehrer hat er wenige Menschen erlebt, die das Schweigen abgebrochen haben.

Denn, und auch da sind sich alle Teilnehmer von Schweigewochen einig: Die Gruppe ist als Unterstützung und Antrieb zum Durchhalten enorm wichtig. Das Schweigen-Brechen ist in jeder Tradition ein großes Ereignis. Nach den langen Tagen der Stille ist das Sprechen und die Kontaktaufnahme mit anderen erst einmal irritierend, "doch schnell reden alle durcheinander, es ist dann wie in einem Bienenstock", sagt Knaus und weiß, dass die durch das Schweigen gewonnene Ruhe mit sich selbst ein Gefühl ist, das sehr viele wiederkehren lässt. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 16.08.2010)