Als Oberhaupt der evangelischen Kirche hat Bischof Michael Bünker auch eine klare Haltung zum "Wiener Blut".

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Standard: Anas Schakfeh, der Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft, hat vorgeschlagen, dass in jeder Landeshauptstadt ein Minarett stehen soll. Ein Gedanke, den Sie unterstützen?

Bünker: Der Islam wird als Religion in Österreich anerkannt. Auf Basis des Menschenrechts der Religionsfreiheit muss die individuelle und kollektive Ausübung möglich sein. Dazu gehört, dass es entsprechende Gebetsräume gibt. Ein Moscheenbau mit Minarett ist eine Frage der Religionsfreiheit. Ob und wo Moscheen mit Minaretten gebaut werden, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Das ist keine Frage, über die die Bevölkerung abstimmen kann. 

Standard: Wie groß ist die Verantwortung der Parteien bei der ablehnenden Haltung der Menschen?

Bünker: Die Ausländerfeindlichkeit ist auf den Islam fokussiert und kriegt eine religiöse Note. Das ist bedenklich. Mit dieser Angst lässt sich leider politisches Kleingeld machen. Die Kirchen haben schon bei "Daham statt Islam" gewarnt. Mit solchen Sprüchen wird Porzellan zerschlagen, das man nicht leicht kitten wird können.

Standard: Sehen Sie jetzt auch politische Instrumentalisierung?

Bünker: Ja, bei „Wiener Blut" werden Emotionen instrumentalisiert. Mein "Wiener Blut" besteht aus tschechischem Slibovitz, Kärntner Schnaps und Schweizer Kirschwasser. Steirisches Kernöl ist auch dabei. Das Schlimme ist die Assoziation, dass das Blut deine Herkunft bestimmt und damit das Recht hier zu leben. Man muss realistischerweise befürchten, dass das erst der Anfang war.

Standard: Inwiefern?

Bünker: Die Menschen haben Angst, und das zu Recht. Es ist ungewiss, wie es wirtschaftlich weitergehen wird. Aber diese Angst herzunehmen und einen Sündenbock in Form von Ausländern und Fremdem bereitzustellen, ist ein gefährlicher Kurzschluss. 

Standard: Wo bleibt hier die Kirche als Hilfeleister für die Menschen?

Bünker: Die Kirche vermittelt Vertrauen in ein Gehaltenwerden durch den Glauben, das über die materiellen Dinge hinausgeht.

Standard: Das vergangene Jahr war nicht gerade ein vertrauenbringendes für Kirchen, nach Auftauchen diverser Missbrauchsfälle. 

Bünker: Das Vertrauen in die Kirche ist gesamteuropäisch im Sinken. Gleichzeitig sind die Europäer auf hohem Niveau religiös. 75 Prozent geben an, zu glauben und zu beten. Soziale Wirkung bekommt das allerdings nur in einer Gemeinschaft. Was wird an solchen selbstlosen Vertrauensorganisationen überbleiben, wenn es nicht mehr die Kirchen sind? Das ist ein großes Problem für die Gesellschaft. 

Standard: Wieso ist die „Konsensökumene" zwischen evangelischer und katholischer Kirche wichtig?

Bünker: Man muss das Gemeinsame vor das Trennende stellen Aber die Unterschiede werden nicht verschwinden. Der Zölibat wird nicht in Frage gestellt werden, die katholische Kirche in Sachen Frauengleichberechtigung oder Anerkennung von homosexuellen Pfarrern nicht der evangelischen Kirche nachkommen. Die Erfahrung gezeigt, dass die Kirchen voneinander lernen.

Standard: Setzen die Katholiken auf ein sinkendes Schiff?

Bünker: Unsere Erfahrung zeigt, dass in der Wahrnehmung der Menschen bei Kirchen nicht unterschieden wird. Wir wären schlecht beraten, würden wir auf Kosten der Probleme in der katholischen Kirche Mitglieder werben oder zum Übertritt animieren.

Standard: Wie viel vom Missbrauch ist dem Wesen der katholischen Kirche selbst geschuldet? 

Bünker: Das ist schwer zu sagen. Es ist mehr dem Umgang damit geschuldet, dieser Kultur des Stillschweigens. In unserer Kirche wurde damit so umgegangen: Die drei Fälle, die es vor einiger Zeit gab, wurden eng mit dem Weißen Ring (Verein für Opferhilfe, Anm.) koordiniert und kommuniziert. Es gab auch Zahlungen.

Standard: Was ist mit dem Zölibat?

Bünker: Es kann sein, dass eine Organisation, die mit Sexualität so umgeht, wie es die katholische Kirche tut, solche Folgen des Missbrauchs mit sich bringt. Vor allem denke ich, dass eine reine Männerkirche anfälliger ist als eine Kirche, in der Frauen gleichberechtigt eingebunden sind.

Standard: Der Papst hat sich bei den Missbrauchsopfern entschuldigt. Eine ausreichende Reaktion?

Bünker: Die Entschuldigung war notwendig, aber es braucht mehr. Ein selbstkritisches Erforschen der Ursachen: Was muss man ändern, wie kann man solche Vorfälle in Zukunft vermeiden? Man kann nur hoffen, dass Vorschläge, die es jetzt in der katholischen Kirche gibt, umgesetzt werden. Ich bin ja nicht beteiligt.

Standard: Sind Sie Ihren Job eigentlich schon leid?

Bünker: Nein, gar nicht! Traumjob: Bischof. Ich denke, dass auch wir als Minderheitskirche mit den 330.000 Mitgliedern doch einen Beitrag leisten können: In sozialen Fragen, in der Bekämpfung der Armut und beim Eintreten für soziale Gerechtigkeit. (Saskia Jugnikl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.8.2010)