Die beiden Häuser in der Operngasse seien "typisch für das Wiener Stadtbild - und auch für das Portfolio von conwert", sagte Geschäftsführer Thomas Rohr. Conwert will hier auf 10.000 Quadratmetern Büros, Wohnungen und Gewerbeflächen entwickeln.

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Und das ist Victoria. Sie brachte am Mittwochabend die Erde zum Beben.

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Im Bild, von links: TU-Graz-Professor Rainer Flesch, ÖIBI-Vizepräsident Walter Brusatti, VCE-Geschäftsführer Helmut Wenzel und conwert-Geschäftsführer Thomas Rohr.

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"Victoria" machte sprichwörtlich ganze Arbeit - auch wenn sie diesmal nur wenig zu tun hatte. Denn die große gelbe Maschine mit dem weiblichen Vornamen, die laut brummend am Mittwochabend vor dem Haus Operngasse 5 in der Wiener Innenstadt platziert wurde, sollte diesmal nur für ein klitzekleines Erdbeben sorgen. Normalerweise, so erklärte es Thomas Rohr, sorgt Victoria nicht nur für Schwingungen im Boden, sondern zieht mittels Stabketten auch regelrecht am Gebäude an. Das war am Mittwochabend in der Wiener Innenstadt aber verboten: "Wir hätten natürlich alles absperren müssen."

Rohr ist Geschäftsführer des auf Altbauten spezialisierten Immobilien-Entwicklers conwert. Und das börsenotierte Unternehmen hat in der Operngasse 5 nichts Geringeres vor als das "bisher größte Projekt der Firmengeschichte", wie Rohr erklärte: Gleich zwei benachbarte Jahrhundertwendehäuser sollen hier in Wohnungen, Büros und Gewerbeflächen mit einer Gesamtnutzfläche von 10.000 Quadratmetern umgewandelt werden.

Ein Mauerwerksgutachten wurde bereits im Vorfeld erstellt. Mit den Ergebnissen des Erdbeben-Großversuchs könne nun mit der Detailplanung begonnen werden. "Wir wissen dann, wie das Haus tickt", erklärte Walter Brusatti, Vizepräsident des Österreichischen Instituts der Sachverständigen für bautechnische Immobilienbewertung (ÖIBI). Er kommentierte am Mittwochabend die Erdbeben-Simulation "live"; erklärte also den zahlreich anwesenden Beobachtern, wie die von "Victoria" draußen auf dem Asphalt verursachten Schwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen - die jenen eines Erdbebens gleichen - auf das Jahrhundertwendehaus einwirkten.

"Historische Substanz weiterentwickeln"

Mit der Simulation und dem Mauerwerksgutachten könne man nun punktgenau bestimmen, welche baulichen Maßnahmen an dem Haus notwendig sind, so Brusatti. Eventuelle Schwachstellen können beim anstehenden Umbau verstärkt werden.

Der Versuch ist eingebettet in ein größeres Forschungsprogramm zur Ermittlung der Erdbebensicherheit von Altbauimmobilien. In Wien würde nämlich die europäische Erdbebennorm "Eurocode" viel zu strikt ausgelegt, beklagte Rohr; Investitionen in Altbauten rentierten sich immer weniger. Jedes Jahr würden auch einige der rund 35.000 noch existierenden Wiener Gründerzeithäuser durch Abbruch verschwinden, man betrachte dies als großen Verlust für die Stadt."Wir wollen helfen, die historische Bausubstanz zeitgemäß weiterzuentwickeln", so Rohr.

Auf der großen Leinwand im Erdgeschoß des Altbaus war dann gut zu sehen, wie die im Gebäude platzierten Sensoren die Schwingungen aufnahmen - spüren konnte man sie freilich kaum. Und so war auch die Spannung, die Rohr mit launigen Sprüchen im Vorfeld zusätzlich anheizte ("Wenn hier heute was schiefgeht, dann wird das garantiert schlimmere Auswirkungen auf die Immo-Branche haben als die jüngste Provisions-Verordnung"), rasch wieder abgebaut. Es war eben doch nur ein Zehntausendstel eines realen Erdbebens - leider, oder irgendwie auch: glücklicherweise.

Horizontale Kraft

Im Wesentlichen sei ein Erdbeben "eine horizontal einwirkende Kraft", erklärte Rainer Flesch, Universitätsprofessor an der TU Graz. Das sei zunächst in der Entwicklung des erdbebensicheren Bauens aber zu wenig beachtet worden.

Heute gibt es strenge Normen, die europaweit im bereits erwähnten "Eurocode" geregelt sind. Auf Grundlage dieser neuen Normen nun aber jedes einzelne Gebäude "nachzurüsten", sei Unsinn, meinte sowohl Flesch als auch Helmut Wenzel, Geschäftsführer der Firma "Vienna Consulting Engineers" (VCE), die die messtechnischen Untersuchungen durchführte. Denn eines sei ohnehin klar: "Hundertprozentige Sicherheit kann man weder versprechen, noch verlangen." Bei Erdbeben seien Schäden an Gebäuden unvermeidbar, es gehe darum, ein "akzeptierbares Schadensniveau" zu halten. "Ein Haus wie dieses darf Risse haben, solange keine Menschen zu Schaden kommen." Wichtige Gebäude wie Spitäler oder Feuerwehrdepots müssten aber im Ernstfall jedenfalls voll funktionsfähig bleiben.

Um dies zu gewährleisten, sei eines unabdingbar: "Es braucht Kenntnisse über das Bauwerk." Mit der Erdbeben-Simulation trage conwert zur Entwicklung eines neuen standardisierten Berechnungsmodells zur Sicherheit von Altbauten bei. "Wir werden Sie in der Literatur an prominenter Stelle erwähnen", zeigte sich Wenzel gegenüber dem conwert-Geschäftsführer ebenso großzügig. Alle bisherigen Versuche hätten aber eines schon gezeigt, so Wenzel: "Unsere Strukturen halten wesentlich mehr aus, als wir bisher dachten." (Martin Putschögl, derStandard.at, 9.9.2010)