Die Sicherheitsvorkehrungen waren für eine Lesung schon außergewöhnlich, zu Zwischenfällen kam es aber nicht einmal im Ansatz.

Foto: derStandard/Martin Obermayr

Die Inszenierung der Präsentation und die Fokussierung auf einen einzigen Termin wird sich wohl nicht negativ auf die Verkaufszahlen schlagen.

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Auf zwei Flatscreens wurde die Lesung übertragen. Die Bühne ist auf dem oberen rechten Rand dieses Bilds zu erkennen.

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Man sollte nicht vergessen, dass sich dem Schicksal von Natascha Kampusch kaum in konventionellen Mustern zu nähern ist. Ausnahmezustand wäre mittlerweile vielleicht übertrieben, aber über viele Jahre hinweg ist es ein solcher gewesen, für eine Frau, die heute 22 Jahre alt ist und in der Buchandlung Thalia in der Wiener Landstraße ihre schriftliche Abrechnung "3096 Tage" einer irgendwie hungrigen Meute präsentiert.

Um 19 Uhr soll die Lesung beginnen. Rund eine halbe Stunde davor ist die Situation in der Filiale des österreichischen Buchgiganten direkt beim Ausgang des Bahnhofs Wien Mitte noch recht entspannt, obwohl alle Sitzplätze angeblich seit 17 Uhr vergeben sind. Das Personal - ein Großteil davon extra für das Ereignis auf meist einzigartigem Posten eingeteilt - ist betont freundlich, die zahlreichen BesucherInnen geben sich fast ausschließlich unaufgeregt. Nur nicht zu laut sein und auffallen, scheint die Devise. Sich möglichst unbetroffen und unbeteiligt geben, eher nüchtern sachlich oder bewusst distanziert. Die meisten sind aber sicher gespannt, obwohl viele das nicht zugeben würden und lieber ein bisschen eine Show abziehen. Aber wer tut das nicht?

700 Neugierige

Das Publikum von rund 700 Neugierigen ist durchmischt: Von der zeitgeistig gekleideten Mutter mit einem State-of-the-art-Kinderwagen über Pärchen, die schon vor einigen Jahren das offizielle Pensionsalter überschritten haben (eines davon aus Ostasien) bis zu einer Gruppe Mädchen im mittleren Teenager-Alter, die sich über das Praktische an Reclam-Büchlein unterhalten. Zwei Polizisten schauen auch geschwind im sich stetig füllenden Kassabereich vorbei, sind aber vor Beginn der Lesung wieder weg. Jemand fragt: "Ist die Kampusch überhaupt scho do?" Eine Thalia-Mitarbeiterin meint, dass sie was wisse, aber nichts sagen dürfe. Schon gar nicht, wo die Protagonistin hereinkomme.

Jedenfalls ist es nicht hektisch, so kurz vor der Weltpremiere eines persönlichen Berichts, der das ZDF genauso anzieht wie die AFP (Agence France Press) oder einen Fotojournalisten aus Bratislava. Zwar muten die Absperrgitter, die mit schweren Betonziegeln stabilisiert werden, ein wenig seltsam an, hier im ersten Stock eines Buchgeschäfts, aber es hat nichts Militantes wie bei einer Demo, eher etwas VIP-mäßiges wie bei einem Society-Event.

"Jetzt tut sich was"

Plötzlich "tut sich was". Christoph Feurstein führt Natascha Kampusch auf die Bühne, kurz danach ertönt Applaus. Eine offizielle Sprecherin des Hauses verkündet die Spielregeln: keine Handys, keine Fotos, keine Fragen. Es folgt eine dieser beklemmenden Situationen, wo Feurstein übernimmt, eine empathie-fordernde Einleitung darbietet und Kampusch fragt, wie sie sich fühlt. Diesmal bekommt er ein leises, eher unsicheres "Ich bin sprachlos" zurück. Ein Teil der Nervosität stammt auch davon, dass das Mikro dauernd verrutscht. Zusatz: "Es ist irgendwie seltsam auf der Bühne." Stille.

Das Menschliche an der Inszenierung

Wie sich die Lesung und die dazwischen eingelegten Interviewphasen abgespielt haben, wurde bereits ausführlich berichtet. Eine Frage bleibt: Ist es wirklich eine glückliche Wahl, in Österreich mit Feurstein immer wieder auf den gleichen Interviewer zurückzugreifen? Nur warum sollte sich Kampusch für jemand anderen entscheiden, wenn sie dem Familien-Intimus wohl doch am meisten vertraut?

Und auch wenn die ganze Angelegenheit nach massiver Inszenierung gerochen hat, so kann doch nicht alles Show gewesen sein - da steckt schon auch etwas zutiefst Menschliches dahinter. Und schade, dass das bei Natascha Kampusch am öftesten vergessen wird. (Martin Obermayr, derStandard.at, 10.9.2010)