Mit einem verblüffenden Trick ärgert die neukaledonische Krähe die Holzbewohner so lange, bis die zur Speise werden.

Foto: Jolyon Troscianko

Das Holz ist morsch und madig, der obere Teil des Stammes längst abgebrochen: die Überreste eines Lichtnussbaumes, der dem Nachwuchs des tropischen Bockkäfers Agrianome fairmairei zum Opfer gefallen ist. Die gefräßigen Larven ließen dem ehemals stolzen Gewächs keine Chance. Doch des einen Tod ist des anderen Brot. Das abgestorbene Gehölz stellt nicht nur für die Maden einen reich gedeckten Tisch dar.

Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) fressen mit großer Vorliebe Bockkäferlarven. Die nur auf der südpazifischen Insel Neukaledonien vorkommenden Vögel erfanden sogar einen erstaunlichen Trick, um des saftigen Brockens habhaft zu werden. Die Krähen nehmen abgebrochene Ästchen und stochern damit so lange im Gang einer Larve herum, bis die verärgerte Bewohnerin sich mit ihrem kräftigen Kiefer in dem Stöckchen festbeißt. Jetzt kann sie der Vogel schnell herausholen und verspeisen. Das bedeutet: C. moneduloides nutzt gezielt Werkzeuge zum Nahrungserwerb. Eine im Tierreich sehr seltene Fähigkeit.

Die Kompetenzen von Geradschnabelkrähen haben Wissenschafter bereits mehrfach verblüfft. Die Tiere sind unter anderem in der Lage, relativ komplexe, von Menschen gestellte Aufgaben zu lösen und gewisse Zusammenhänge zu verstehen (der Standard berichtete). Das Benutzen von Stöckchen als Hilfsmittel scheint allerdings grundsätzlich angeboren zu sein. In Gefangenschaft geborene neukaledonische Krähen zeigten dieses Verhalten ebenso, ohne dass sie je Kontakt mit erwachsenen Artgenossen hatten.

In freier Natur jedoch sind die Jungvögel beim Larvenfischen zunächst wenig erfolgreich. "Es sieht so aus, als müssten sie zuerst lernen, wie das funktioniert", erklärt der Biologe Christian Rutz von der University of Oxford. Diese Trainingsphase kann bis zu zwei Jahre dauern, sagt der Forscher. Lohnt sich der ganze Aufwand?

Drei Maden täglich

Offensichtlich ja. Im Rahmen einer aufwändigen Studie hat Rutz zusammen mit einigen Kollegen von anderen britischen Universitäten die Nahrungsökologie der Geradschnabelkrähen genauer untersucht. Die Schwarzgefiederten fressen nicht nur Agrianome-Larven, sondern auch andere Insekten, Früchte, Nüsse, Eidechsen, Schnecken und Aas. Rutzs Team erstellte Profile der Isotopenzusammensetzung all dieser Futterkategorien und verglich sie mit Proben von Krähenblut und -gefieder.

Die Ergebnisse waren äußerst aufschlussreich: Am Verhältnis zwischen bestimmten Stickstoff-(N)- und Kohlenstoff-(C)-Isotopen konnten die Wissenschafter ablesen, welchen Anteil die Larven an der gesamten Nahrung der Vögel hatten. Aufgrund ihres Holzverzehrs enthalten die dicken Maden besonders wenig 15N.

Was die Proteinzufuhr betrifft, tragen Bockkäferlarven etwa so viel bei wie jedes andere Krähen-Nahrungsmittel. Ganz anders dagegen sieht es bei den Lipiden aus. Die Larven sind extrem fettreich und somit sehr nahrhaft. Etwa drei Maden dürften ausreichen, um den täglichen Energiebedarf einer Geradschnabelkrähe zu decken, schreiben die Biologen in der neuen Ausgabe von Science.

"Larvenfischen ist ein zeitaufwändiges Unterfangen", betont Christian Rutz. Für die Vögel bietet dieses schwierige Verhalten dennoch enorme Vorteile. Agrianome-Larven gibt es oft reichlich, man muss nur wissen, wie man sie erbeutet. Dann ist ein gut gefüllter Bauch garantiert. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. September 2010)