"Stürzen uns nicht in die völlige Umstrukturierung des Medienmarktes": Michael Ogris, Vorsitzender der neuen Medienbehörde.

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DER STANDARD: Wie fühlen Sie sich denn in der neuen Freiheit? Bisher haben Sie alleine eine weisungsgebundene Medienbehörde geleitet, nun sind Sie Vorsitzender einer Medienbehörde mit fünf Mitgliedern, die vieles gemeinsam entscheiden. 

Ogris: Wir haben ja schon bisher keine Weisungen bekommen und konnten unter allen zuständigen Ministern und Staatssekretären relativ unabhängig agieren. So gesehen ist in den ersten Stunden der neuen Behörde nicht die große Freiheit ausgebrochen. 

DER STANDARD: Bisher haben Sie in der KommAustria alleine entschieden. Haben Sie als Vorsitzender der nun fünf Mitglieder Vorrechte? 

Ogris: In Abstimmungen nicht. Ich vertrete die Behörde nach außen, kann der Rundfunk- und Telekomregulierungs GmbH Weisungen erteilen. 

DER STANDARD: Der langjährige ORF-General Gerd Bacher nennt die neue Medienbehörde eine „Superregierung" für die elektronischen Medien, in der Sie ja dann quasi Kanzler wären. Spüren Sie schon den Rausch der angeblichen Macht? 

Ogris: Machtrausch bricht absolut nicht aus. Wir sind uns der Verantwortung bewusst. Wir werden unsere neuen Aufgaben mit Maß und Ziel angehen. Wir stürzen uns nicht wahllos in einem Anfall von Größenwahn in die völlige Umstrukturierung des Medienmarktes. Wir sind fünf Juristen, all unser Tun hat rechtsstaatlichen Hintergrund. Dem sehen wir uns alle fünf verpflichtet. Der Machtrausch hält sich wahrlich in Grenzen. 

DER STANDARD: Sind Sie nun eine „Superregierung"? 

Ogris: Das würde ich auch zurückweisen. Wir haben nun auch die Aufgabe, den ORF zu regulieren. Aber wir sind nicht die neue ORF-Führung. Das ist noch immer völlig klar die Aufgabe des Herrn Generaldirektor, der zuständigen Direktoren und des Stiftungsrats. Wir greifen hier regulierend ein. 

DER STANDARD: In letzter Konsequenz, steht im Gesetz, können Sie den ORF-Generaldirektor absetzen. 

Ogris: Theoretisch ja. Ich sehe aber heute keinen Grund, das zu tun. Das ist eine Möglichkeit, die bisher schon der Bundeskommunikationssenat rein rechtlich hatte. Auch das würde einen rechtsstaatlichen Weg mit Berufungsmöglichkeiten gehen. Die Aufsicht über den ORFhat es so notwendig gemacht, die neueMedienbehörde unabhängig zu stellen. 

DER STANDARD: Unter welchen Umständen könnten Sie ihn absetzen? 

Ogris: Ehrlich gesagt: Damit habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Ich sehe das nicht als meine erste Aufgabe, mich hier zu verwirklichen. Grundsätzlich geht es da um die Frage von groben und wiederholten Rechtsverletzungen, die anders nicht mehr abzustellen wären. Aber das ist nicht neu, da hat sich nur die Zuständigkeit geändert. 

DER STANDARD: Sie kontrollieren künftig zum Beispiel, ob der ORFden öffentlich-rechtlichen Auftrag einhält. Sagen Sie künftig, um wahllos ein Beispiel herauszugreifen, "Chili" stimmt nicht mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag überein, oder "Musikantenstadl"im Hauptabend ist keine öffentlich-rechtliche Programmierung? 

Ogris: Ich will hier nicht einzelne Sendungen kommentieren. Der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF ist in seiner Gesamtheit zu sehen. Einzelne Sendungen herauszupicken, ist vielleicht in Extremfällen richtig, aber man muss das Gesamtprogramm und die Gewichtung der Aufgaben des Auftrags - von Bildung und Information bis Unterhaltung - betrachten. Tatsache ist:Die Behörde hat den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF zu regulieren. Möglichkeiten, hier einzugreifen, haben wir schon. Wir werden sehen, wer im Rahmen der Geschäftsverteilung der Behörde diesen Bereich betreut. 

DER STANDARD: Wie hat man sich die Beurteilung praktisch vorzustellen? Die fünf Behördenmitglieder werden ja nicht ab sofort im Schichtdienst fernsehen. 

Ogris: Das kann ich ausschließen - wir haben ja noch sehr komplexe andere Aufgaben. Wie wir da zu Verfahren kommen, werden wir in unserer Geschäftsverteilung und Geschäftsordnung festlegen. Tatsache ist: Wir müssen Beschwerden nachgehen. Und wir werden auch in eigener Wahrnehmung und von Amts wegen tätig werden. Seit 2004 beobachtet die Komm-Austria Werbeverstöße von ORF und Privaten - auch das hat sich organisieren lassen. Da wird uns eine Lösung einfallen. 

DER STANDARD: Sie haben von komplexen neuen Aufgaben gesprochen. Sie müssen sich auch das Budget des ORF anschauen, ob er ausreichend gründlich und nachhaltig spart, dass er zweimal 50 und danach zweimal 30 Millionen Euro extra aus dem Bundesbudget verdient. 

Ogris: Die erste Zahlung erfolgt noch unabhängig von den Sparmaßnahmen, wir prüfen dann ab Herbst kommenden Jahres. 

DER STANDARD: Sie prüfen künftig auch, ob der ORF für seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag soviele Gebühren braucht, wie er kassiert. 

Ogris: Wir werden das nicht regelmäßig überprüfen. Wenn das ORF-Management eine Gebührenerhöhung beantragt, durchläuft das die Gremien im ORF, und wir sind aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Je kürzer die Frist dafür ist, desto schwieriger die Prüfung. Aber da rechnen wir nicht übermorgen mit dem ersten Verfahren. 

DER STANDARD: Rascher dürfte eine andere ORF-Aufgabe auf Sie zukommen:Bevor der ORFneue Dienste mit Gebührengeld - über einen Probebetrieb hinaus - startet, müssen Sie Ihren Segen dazu geben. 

Ogris: Damit rechnen wir relativ bald, etwa für den neuen Info- und Kulturspartenkanal.Solche neuen Dienste werden in drei Stufen überprüft:Hat das neue Angebot Auswirkungen auf den Markt und welche? Dient es dem öffentlich-rechtlichen Auftrag? Und:Rechtfertigt der öffentlich-rechtliche Mehrwert die Auswirkungen auf den Markt? Das ist ein relativ komplexes Verfahren: Die Bundeswettbewerbsbehörde äußert sich zu Marktauswirkungen, ein Beirat zum öffentlich-rechtlichen Mehrwert ... 

DER STANDARD: Wie lange haben Sie dafür Zeit? 

Ogris: Internationale Erfahrungswerte schockieren mich ein wenig:In Großbritannien haben solche Verfahren eineinhalb, zwei Jahre gedauert. Das kann man einem Rundfunkveranstalter nicht zumuten, der ein neues Produkt auf den Markt bringen will. Die Situation ist nicht leicht für den ORF:Ermuss innovative Ideen offenlegen und prüfen lassen - und seine privaten Konkurrenten können sie in der Zeit aufgreifen. Wir dürfen also nicht sehr lange brauchen. Aber man wird schon die sechs Monate gesetzliche Frist ausschöpfen. In solchen Verfahren ist auch der ORF gefordert. Er will ein neues Angebot, ein neues Programm. Also wird der ORFsehr kooperativ sein müssen. Ich gehe also davon aus, dass vom ORFsehr gut vorbereitete Anträge kommen. Das erleichtert der Behörde die Entscheidung zu treffen, ob nun in die eine oder andere Richtung. 

DER STANDARD: Liegen schon ORF-Anträge auf neue Dienste vor? 

Ogris: Bisher nicht - es sei denn, während unseres Gespräches wäre einer eingelangt. 

DER STANDARD: Sie haben das Dekret für Ihren neuen Job Freitag erhalten: Hat ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz schon angerufen und gratuliert? 

Ogris: Der Herr Generaldirektor hat mir schriftlich Glückwünsche zukommen lassen. 

DER STANDARD: Aber noch kein Telefonterror vom Küniglberg. 

Ogris: Nein, es ist nicht so, dass ich tagtäglich vom ORF angerufen werde. 

DER STANDARD: Besonders dramatisch in der Liste Ihrer neuen Aufgabe klingt:Abschöpfung von zuviel Gebühren oder gegen das Gesetz lukrierten Werbeeinnahmen. 

Ogris: Wenn sich ein Unternehmen - ob in der Werbung oder bei den Gebühren - nicht rechtskonform verhält, soll es sich dadurch nicht bereichern können. Also droht ihm nicht alleine die Kundmachung der Entscheidung und eine Geldstrafe, sondern die Behörde kann nun den finanziellen Vorteil aus diesem Verstoß einziehen.Sonst könnte sich das Unternehmen überlegen:Die Geldstrafe beträgt höchstens 25.000 Euro, das gesetzeswidrige Verhalten bringt mir aber 125.000 Euro, also riskiere ich's. Die Abschöpfung kann ein durchaus adäquates Mittel sein, jemanden zu rechtskonformem Verhalten zu bringen. 

DER STANDARD: Wie hat man sich das bei den Gebühren vorzustellen? 

Ogris: Das Prinzip gilt dort ebenso. 

DER STANDARD: Also wenn die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags billiger war, als der ORFGebühren erhalten hat, kassiert die Behörde die Differenz ein und verordnet dem ORF künftig weniger Gebühren? 

Ogris: Bei rechtswidrigem Verhalten könnte man das so zusammenfassen. Der unrechtmäßig erlangte Mehrbetrag kann von der Behörde eingezogen werden.

DER STANDARD: Sie waren als Behördenleiter bisher überwiegend zuständig für privaten Rundfunk. Bleiben Sie in der neuen Behörde bei dem Schwerpunkt? 

Ogris: Ich habe meine Vorstellungen, wo ich mich als Vorsitzender sehe, aber ich kann zur Geschäftsverteilung noch nichts sagen. Das entscheide ich ja nicht alleine. 

DER STANDARD: Haben Sie noch alle Lizenzverfahren abgeschlossen? 

Ogris: Nein, aber das war bei den 16 größeren Privatradiolizenzen aber auch nicht geplant, deren Zulassungen im Juni 2011 ablaufen. Wir wollten so langfristig wie möglich neu ausschreiben, um auch der neuen Behörde genug Zeit zu geben. Und um den Veranstaltern rechtzeitig und nicht einen Tag vor Auslaufen der Lizenz mitteilen zu können, dass sie weitersenden können, neu beginnen oder abdrehen müssen. Wir wollen versuchen, im ersten Quartal 2011 die Entscheidungen zu treffen. 

DER STANDARD: In einzelnen Verfahren gibt es ohnehin nur einen Antragsteller auf jeweiligen Lizenzen. 

Ogris: Sogar relativ viele:Von 16 Lizenzen sind elf Einparteienverfahren ohne Gegenbewerber. 

DER STANDARD: Hat Sie das überrascht? 

Ogris: Ja, das hat mich überrascht. Bei der letzten Entscheidung über auslaufende Frequenzen haben wir noch andere Erfahrungen gemacht. 

DER STANDARD: Wer bisher das Privatradiogesetz nicht grob verletzt hat, hat ja auch gute Chancen, die Lizenz wiederzubekommen. 

Ogris: Ein Grund ist sicherlich auch die Überlegung: Wenn ich mich gegen diesen Veranstalter bewerbe, tut der das womöglich auch umgekehrt bei meiner Lizenz. Das könnte auch eine strategische Überlegung sein. 

DER STANDARD: Wäre es nicht langsam an der Zeit, aus der Fülle von Digitalradiofrequenzen zu schöpfen, statt knappe Ukw-Frequenzen für weitere zehn Jahre zu vergeben? 

Ogris: Wir stellen ja noch nicht morgen auf Digitalradio um. Tatsache ist:Digitalradio ist noch kein Massenmedium. Das passiert vielleicht in ein paar Jahren. Bis dahin muss es Radios geben. In jedem Haushalt stehen heute - im Schnitt - fünf Ukw-Radios. Man muss einem Konsumenten erst einmal erklären, warum er umsteigen soll. 

DER STANDARD: Eine Radiogruppe - offenbar NRJ - versucht gar in diesen Tagen noch genügend regionale und lokale Ukw-Lizenzen einzusammeln, um daraus ein bundesweites Privatradioprogramm zu machen. Liegt Ihnen schon ein Antrag vor? 

Ogris: Bisher gibt es keinen Antrag. Aber die Ausschreibungsfrist läuft noch bis Februar. 

DER STANDARD: Sie könnten sich dann ja vielleicht die eine oder andere Neuzulassung von den 16 anstehenden ersparen, wenn sie in einer neuen, bundesweiten Lizenz aufgehen. 

Ogris: Dann erlöschen die eingebrachten Zulassungen. Und ich sehe dann keine Handhabe, sie neu zu vergeben. 

DER STANDARD: Wer bisher glaubte, etwa ein "ZiB"-Bericht über ihn oder sie hat nicht dem Objektivitätsgebot entsprochen, dann konnte sich der- oder diejenige beim Bundeskommunikationssenat beschweren. 

Ogris: Ab sofort ist die KommAustria auch dafür zuständig, und der Bundeskommunikationssenat ist auch in diesem Bereich zweite Instanz. Wir sind jetzt zum Beispiel auch für das Fernsehexklusivrechtegesetz zuständig. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 5.10.2010/Langfassung)